Kapitel 30

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Mit dem Blick in den Himmel gerichtet, saß Khione auf dem Weidenzaun und lehnte sich an Sakari, deren Kopf auf ihrer Schulter ruhte. Sie kraulte die Stute hinter den Ohren und summte leise ein Lied, das ihre Mutter ihr oft beim Einschlafen vorgesungen hatte. Es hatte etwas Beruhigendes an sich, doch gleichzeitig schürte es die Sehnsucht nach ihren Eltern. Wie so oft hoffte Khione, dass sie im Himmel von all ihrer Pein befreit waren.

Seufzend gab sie einen Kuss auf Sakaris Nüstern. „Was meinst du? Geht es ihnen gut?", fragte sie rein rhetorisch. Natürlich bekam sie keine Antwort, aber es war ab und zu Balsam auf der Seele, mit ihr über ihre Eltern zu reden. Bei Makhah hatte sie eher das Gefühl, Feuer ins Öl zu gießen, wenn sie darüber sprach.

Müde rieb sich Khione die Haare aus dem Gesicht und gähnte. Schon den ganzen Tag versuchte die Sonne gegen die hartnäckigen Wolken zu gewinnen. Mehr als ein paar hellere Momente ließen diese jedoch nicht zu. Hinzu kam stellenweise dichter Nebel, der die Bergspitzen verhüllte. Nicht nur er, sondern auch die kahlen Bäume brachten den Winter immer näher. Schon jetzt roch die Luft anders. So, als würde Schnee kommen.

Eine Bewegung auf der Bergpassage ließ sie blinzeln. Sie brauchte einige Sekunden, bis sie Pferde und Reiter gegen die grauen Wände erkannte. Sofort vervielfachte sich Khiones Herzschlag und sie rutschte vom Zaun. Waren das ... Sheikah? Was, wenn sie Pah Koha angriffen?

Von der Angst gehetzt rannte sie auf den erstbesten Araki zu und versuchte mit wilden Gesten und stockenden Worten ihre Entdeckung zu erklären. Mit ihm hatte sie so wenig zu tun, dass sie seinen Namen vergessen hatte. Der Blick des Mannes verfinsterte sich und sein Griff um die Axt, mit der er Holz zerkleinerte, verfestigte sich. Erst, als er Khiones Finger folgte, schien er sich zu entspannen.

„Mach dir keine Sorgen. Das sind die Arakis aus dem Terikan weiter im Norden", erklärte er gelassen, fügte aber hinzu, dass sie richtig gehandelt hatte. „Du kannst auf deine Auffassungsgabe stolz sein, Shihara", sagte er lächelnd. „Am besten gibst du dem Shiharu Bescheid, dann könnt ihr sie empfangen", schlug er vor.

Khione nickte mit weiterhin klopfendem Herzen. „Danke", erwiderte sie und ließ ihn stehen. Auf dem Weg zur Burg erinnerte sie sich daran, dass Makhah angedeutet hatte, dass sie Besuch bekämen, sobald sich die Blätter der Bäume lösten. Jetzt war es soweit, und sie wusste nicht, ob sie sich freuen sollte. Wie würden die fremden Arakis auf sie reagieren? Waren sie genauso feindlich wie anfangs Makhah? Allein der Gedanke bescherte Khione Übelkeit und sie zitterte leicht, als sie die Treppen zur Burg hinaufging.

Bevor sie die Tür öffnete, atmete sie mehrmals tief durch und sprach sich selbst Mut zu. Erst dann trat sie ein und traf Avilla, die auf dem Weg in die Küche war und einen großen Korb an Kräutern trug. Das waren sicher die letzten Ernten, die sie für dieses Jahr im Burghof bekam. „Hast du Makhah gesehen?", fragte Khione.

„Er sollte mit Tehew und Kabiha im Besprechungsraum sein", erwiderte die ältere Dame, wobei sie innehielt und Khione musterte. „Ist etwas geschehen? Du siehst blass aus."

„I-ich dachte zuerst, die Sheikahs greifen uns an, aber es sind die Arakis aus den nördlichen Terikan, die ich auf der oberen Bergpassage gesehen habe", erklärte sie leise.

Avilla schnalzte mit der Zunge und nahm den Korb unter einen Arm, um ihr sachte über die Wange zu streicheln. „Das war sicher ein Schock, nicht wahr? Möchtest du eine Tasse Tee, sobald du Makhah informiert hast?"

Erleichtert sah Khione sie an und nickte. Die ältere Dame war so lieb und nahm ihren Schrecken ernst, anstatt sich über sie lustig zu machen. „Ich komme dann in die Küche", versprach sie und drückte sanft Avillas Hand an ihre Wange. Es war eine Geste, die sie oft bei ihrer Mutter angewandt hatte. Eine Geste der Zuneigung und Dankbarkeit, die Avilla scheinbar ebenfalls verstand.

Khione - Gefährtin des stolzen KriegersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt