Zerrissen

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Finley ließ die stickige Luft des Klassenzimmers hinter sich und machte sich auf den Heimweg. Die Sonne stand hoch am Himmel, und es war ungewöhnlich warm für diese Jahreszeit. Er entschied sich, seine Jacke auszuziehen, und fühlte sich in seinem T-Shirt wohler. Dabei störte es ihn nicht, dass seine Tätowierungen sichtbar waren. Im Gegenteil, er genoss die Blicke, die ihm gelegentlich zugeworfen wurden, und fühlte sich dadurch in gewisser Weise bestätigt.

Levin war ebenfalls draußen unterwegs, wie es seine Routine vorsah. Er machte seine übliche Runde, als er Finley von weitem bemerkte. Sein Blick verweilte auf dem Jungen, der ihm mehr und mehr auffiel. Finley hatte etwas Anziehendes, eine gewisse Mischung aus Rebellion und Selbstsicherheit, die Levin nicht ignorieren konnte. Er musterte ihn interessiert, während er ihm unauffällig folgte.

Finley, der Levin noch nicht bemerkt hatte, blieb an einer Ampel stehen, die gerade auf Rot umschaltete. Während er wartete, zog er eine Zigarette aus seiner Tasche und zündete sie an, als ob es ihm völlig gleichgültig wäre, dass er dafür eigentlich zu jung war. Er nahm einen tiefen Zug, blies den Rauch langsam aus und beobachtete gedankenverloren die Autos, die an ihm vorbeifuhren.

Als die Ampel schließlich auf Grün schaltete, setzte Finley seinen Weg fort, ohne sich groß umzusehen. Levin nutzte den Moment, um auf ihn zuzugehen. „Hey," sagte er in einem neutralen Ton, ohne Vorwurf in der Stimme. Es schien ihn nicht zu stören, dass Finley rauchte. „Geht es dir halbwegs?" fragte er, wobei er versuchte, durch die Frage einen Zugang zu dem Jungen zu finden.

Finley hielt inne, musterte Levin mit einem genervten Blick und verdrehte die Augen. „Wieso fragst du? Mach ich den Eindruck, dass was nicht stimmt?" antwortete er scharf, als ob er jeden Versuch, sich ihm zu nähern, sofort abwehren wollte.

Levin ließ sich nicht abschrecken. „Ich weiß doch, wie es deiner Mutter geht," sagte er, als ob er damit erklären wollte, warum er sich Sorgen machte. Doch Finley wollte nichts davon hören. „Halt die Klappe und kümmere dich um deine eigenen Probleme," entgegnete er verärgert, warf die Zigarette auf den Boden und trat sie mit dem Fuß aus, bevor er weiterging, ohne Levin eines weiteren Blickes zu würdigen.

Levin seufzte leise und beobachtete Finley, wie er davonlief. Ein schlechtes Gefühl beschlich ihn, doch er entschied sich, es für den Moment dabei zu belassen und seiner eigenen Wege zu gehen.

Später am Abend, als Levin bereits seine Nachtschicht angetreten hatte, kehrte Finley nach Hause zurück. Kaum hatte er die Wohnung betreten, sah er seine Mutter, die erneut zur Flasche gegriffen hatte. Wütend riss er ihr die Flasche aus der Hand. „Woher hast du die schon wieder, verdammt? Du wolltest doch aufhören!" Seine Mutter war jedoch bereits zu betrunken, um wirklich auf seine Worte zu reagieren, und starrte stattdessen nur leer auf die Flasche, die er ihr weggenommen hatte. Finley, entnervt und enttäuscht, schüttete den Rest des Alkohols in den Abfluss und stellte die leere Flasche zu den anderen in die Kiste.

Er machte sich etwas zu essen, doch seine Gedanken waren woanders. Er war müde, erschöpft von der endlosen Verantwortung und dem Stress zu Hause. Nachdem er einen Blick aus dem Fenster geworfen hatte und sah, dass es bereits dunkel geworden war, entschied er sich, das Haus zu verlassen. Er konnte die Enge der Wohnung nicht länger ertragen.

Finley zog durch die dunklen Straßen und fand sich schließlich auf einer alten Baustelle wieder, die er oft als Rückzugsort nutzte. Hier oben, auf einem der Stahlträger in der letzten Etage, war es ruhig und abgelegen – genau der Ort, an dem er seinen Gedanken freien Lauf lassen konnte, ohne gestört zu werden. Heute jedoch war es nicht die Einsamkeit, die ihn hierherzog, sondern ein anderes, intensiveres Bedürfnis.

Er ließ sich auf einem der breiten Stahlträger nieder und genoss den kühlen Wind, der ihm um die Nase wehte. Die Nacht war still, und die Geräusche der Stadt schienen weit entfernt. Finley lehnte sich zurück, nahm die Umgebung in sich auf und spürte, wie sich die Anspannung in seinem Körper langsam löste. Die Gedanken an den Tag, an die Wut auf seine Mutter und die Konfrontation mit Levin, vermischten sich zu einem verworrenen Knoten in seinem Kopf, den er auf seine Weise lösen wollte.

Lodernde GeheimnisseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt