PART 1

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PART 1
mittelmeer

Bené! Ich bitte dich, hast du mich auch nur einmal singen und noch viel besser, rappen gehört? Ich glaube wirklich nicht, dass ich die richtige für euer Video bin!"

Lachend schüttelte ich den Kopf, während wir das Treppenhaus betraten. Es stank nicht besonders doch war über und über mit Graffiti bemalt.   

„Lovina, bitte! Du musst noch nicht einmal was rappen! Einfach nur mit uns da chillen und für eine Szene mit ihm einen Jib' teilen!"
„Beni bitte, ich kann das wirklich nicht! Ich bin niemand der sich gerne vor die Kamera stellt! Es gibt bestimmt genug hübsche Mädchen, die sich darum reißen mit euch zu drehen."
Stöhnend rieb sich mein Gegenüber seine Schläfen, immer darauf bedacht ja nicht seine gegelten Haare zu ruinieren.
„Vina, bitte! Es ist sein erstes großes Ding und wir brauchen dich. Du bist perfekt dafür, ihr beide passt perfekt zusammen!"
„Bené! Hör auf jetzt, es tut mir wirklich leid, aber ich kenn Can und alle anderen ja nichtmal!" Ich blieb stehen, wir waren an der Haustür meines besten Freundes stehen geblieben.
„Warum eigentlich nicht? Nie willst du mit uns chillen, die sind alle todes sympathisch! Komm noch mit rein, später kommen die vorbei, wir wollen hier bisschen chillen und dann vielleicht noch rausgehen. Wenn du willst können auch Aylia und so kommen!"

Ein Grinsen schlich sich auf meine Lippen. Aliya also..
Ich legte meine Hand an seine Wange, „Beni, so verlockend das Angebot auch klingt, ich muss heute Abend arbeiten. Und auch sonst wäre ich nicht gekommen. Aber wenn du möchtest, kann ich Aliya fragen ob sie kommen will?" Dann kniff ich ihm in die Wange und wand mich ab, nur um eine Etage höher meine Tür aufzuschließen und sie kurz nach Benés in's Schloss fallen zu hören.

Ich ließ meinen Rucksack fallen und lief geradewegs in die Küche, um mir ein Glas Wasser einzuschenken.
Es war warm draußen. Nicht mehr heiß, aber der Sommer war noch nicht gegangen. Ein paar Sommernächte und Nachmittage am See waren noch übrig bevor der Winter begann und in Berlin früher Nacht wurde. Und die wollte ich unbedingt ausnutzen.

Ich streifte meine schwarzen Nike Shox ab und zog mir meinen Pulli über den Kopf. Es war viel zu warm für Herbst Klamotten. Sofort spürte ich wie mir kühler wurde und der Wind durch das offene Fenster um meine nackten Arme strich.
Meine Haare öffnete ich aus dem hohen Dutt und setzte mich mit meinem Handy an den weißen Esstisch, welcher in der Mitte des Raumes stand.

Meine Eltern waren nicht zu Hause. Das waren sie nie. Kurz nach meinem fünfzehnten Geburtstag war meine Mutter abgehauen. Sie hatte einen neuen Mann kennengelernt, ihre Sachen gepackt und mir und meinem Vater nichts als einen kleinen Zettel gelassen, auf dem nichts stand, als dass sie eine neue Familie habe.

Mein Papa war „unten", wie er es nannte. Unten in Montenegro. Seit fünfzehn Monaten.
Damals meinte er, er brauche eine Pause. Müsse raus aus seinem Umfeld, brauche die Chance, sich ein neues Leben aufzubauen. Dafür wollte er zurück in sein Heimatland, ohne mich.
Bis auf das Geld, welches er mir monatlich überwies hörte ich nichts mehr von ihm. Und die Hoffnung, dass ich das noch würde war langsam auch vergangen.
Er wollte zwei Monate weg. Daraus wurden fünf, daraus sieben, daraus zehn und dann hörte ich nichts mehr.

Aber na ja, ich kam klar.
Auch, wenn mein Leben ganz schön abgefuckt war, ging es mir nicht schlecht.
Ich hatte ein zu Hause, hatte Essen und Freunde.
Nicht viele, aber die besten.
Aliya, Liara und Auria.

Ja und dann war da noch Bené. Ich wusste nicht, was das zwischen uns war. Freundschaft oder mehr?
Ich liebte ihn. Empfand mehr als Freundschaft für ihn. Aber definitiv nicht diese Art der Liebe.
Mehr so eine Geschwisterliebe.
Ich kannte ihn seit ich denken konnte. Er war mein erster bester Freund und mein erster Kindergartenkuss.

Bei ihm ging es drunter und drüber. Als er nur ein paar Monate nach seiner Geburt in die Wohnung unter uns zog, waren er und seine Mutter alleine. Was mit seinem Vater war, wusste ich nicht. Das wusste niemand.
Doch als seine Mutter vor drei Jahren an Krebs verstab kamen die beiden wieder in Kontakt. Sie hatten kein gutes Verhältnis, doch ab und zu schaute sein Vater vorbei.

Ja und so landeten wir hier. Bené und ich in unseren Wohnungen in der Hagelbergerstraße 11. Beide nicht wirklich alleine doch auf eine verkorkste Art schon.
Aber wenigstens hatten wir uns.

Uns und jeder seine Freunde.

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