Kapitel 1: Daan

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Die grünlichen Nebelschwaden, die sich zwischen Daans Finger bildeten, waren so widerspenstig wie eh und je. Vorsichtig beugte er sich vor, wobei ihm einige Strähnen seines verstrubbelten, schwarzen Haares ins Gesicht fielen, und näherte sich der kleinen, bauchigen Glasflasche, die zwischen einigen Scherben auf einem schartigen Tisch stand. Kurz bevor seine Finger die Öffnung des kurzen Flaschenhalses berührten, hielt er inne und konzentrierte sich darauf, die Strömungen so ruhig wie möglich zu halten. Dann legte er seine Finger an den Rand und schob mit seinen Handflächen vorsichtig den Rauch hinein. Winzige Blitze aus Energie schossen durch die Schwaden und ließen das Ganze wie ein widernatürliches Gewitter aussehen. Daan stopfte hastig den Korken in den Hals der Flasche und legte seine Hände um die Rundung des Flaschenbauchs. Die Venen an seinen Handrücken traten hervor, als er all seine Kraft auf seine Finger konzentrierte, um den zappelnden Zauber unter Kontrolle zu halten. Einen Moment lang schien es, als würde sich das Gewitter zu beruhigen, doch dann bäumten sich die Wolken auf, wurden dunkler und versuchten, sich in der Flasche auszubreiten. Der Schweiß stand ihm auf der Stirn und er murmelte unflätige Worte, während er verzweifelt versuchte, die Kontrolle zu behalten. Einige Minuten lang stand er so da, die Hände vor Anstrengung zitternd. Dann ertönte ein leises, hohes Knirschen. Er knurrte und ein Schweißtropfen fiel auf die Tischplatte. Das Knirschen hielt an, dann erschien der erste Sprung auf der glatten Oberfläche. Mit einem lauten Klirren barst die Flasche und die Glassplitter mischten sich unter die anderen Scherben auf dem Tisch. Der Zauber verflüchtigte sich und Daan lehnte sich seufzend in seinem Stuhl zurück und fuhr sich mit einer Hand durch das kinnlange Haar. Der gigantische Haufen von zersprungenen Flaschen war ein Zeugnis seiner stundenlangen Bemühungen. Immer wieder war ihm der Versuch misslungen und langsam verlor er die Geduld.

Seufzend stand er auf. Vielleicht würde ja ein kleiner Spaziergang seine verkrampften Muskeln lösen und seine aufgebrauchten Energiereserven wieder auffüllen. Er durchquerte den Lagerhallen artigen Raum, dessen Wände mit groben, stark mitgenommenen Tischen gesäumt waren. Darüber hingen vollgestopfte Schränke voller Bücher, Schriftrollen, Phiolen und anderen Plunders. Daan hatte sogar einmal eine Bannkreiskreide hinter ein paar fast ausgebrannten Kerzen entdeckt und fragte sich bis heute, welcher stümperhafte Magier damit wohl seine Zeit verschwendet hatte. Klar, Bannkreise konnten gewissen Zaubern das gewisse Etwas verleihen, doch dafür wurde ein Wissen verlangt, dass in der Akademie nicht gelehrt wurde und ein magisches Potenzial von mindestens Stufe vier.

Magier wurden gemeinhin in fünf Stufen unterteilt. Je höher die Stufe, desto mehr magisches Potenzial. Viele Leute verwechselten die Höhe der Stufe mit Macht, doch nichts lag Daan ferner. Er hatte genug Magier der ersten Stufe kennengelernt, die mit ihrem Potenzial mehr angefangen hatten als die meisten der dritten Stufe. Es war eher mit Kraft zu vergleichen. Ein Mann, der den ganzen Tag seine Muskeln trainierte, mochte zwar stärker sein, als einer, der es nicht tat, konnte aber trotzdem gegen einen schmächtigen Meister der Kampfkunst verlieren.

Daan selbst war ein Magier der fünften und höchsten Stufe. Soweit er wusste, war er der einzige im gesamten Reich. Dennoch hätte er sich selbst niemals als besonders mächtig angesehen. Meist verbrachte er seine Tage mit praktischen, aber wenig beeindruckenden Spielereien. Selbst jetzt, wo er sich seit etwa zwei Wochen auf den Geheiß der Akademie am Hofe des Königs befand, widmete er sich seiner neuesten Kreation, der Faust im Glas. Sinn dahinter war es, seinen Zauber sicher in einer Flasche abzulegen. Dort sollte er so lange ruhig verbleiben, bis er die Strömungen aufweckte, das Glas zerbrach, und eine riesige und doch recht kraftvolle Faust dem Menschen, der der Flasche am nächsten war, ein hübsches, blaues Auge verpasste. Das war weder sehr praktisch, noch wirklich mächtige Magie, aber er stellte sich gerne vor, wie einer der sehr langweiligen und sehr hochnäsigen Höflinge seinem kleinen Trick zum Opfer fielen. Vielleicht würde er einmal ein paar Flaschen im Hofgarten vergraben, um sie aufs Geratewohl auszulösen...

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