Teil 4

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"Schönen Nachmittag zusammen. Wie Sie alle hoffentlich schon gesehen haben, steht hier ein Stillleben vor Ihnen. Ich erwarte von Ihnen, dass Sie in den nächsten zwei Stunden das Abbild mit Bleistift fertig gezeichnet haben. Dann kann ich Ihr Talent schon einmal gut einschätzen.", beginnt Professorin Weiß die Runde und blickt erwartungsvoll durch die Reihen. Sie hat mein Stillleben tatsächlich stehen lassen. Der Saal ist recht groß, aber kleiner als der Vorlesungssaal. Es sind auch weniger Leute im Raum, wie in den Vorlesungen. Jeder hat Papier, Bleistifte, Radiergummi und Schwämme vor sich. Ich begutachte die Materialien und beginne mir mein selbst aufgebautes Stillleben anzuschauen. Ich werde mit den Trauben im Vordergrund beginnen und mit der Flasche hinten aufhören. Ich schaue noch einmal zu Fenja, die schon fleißig am skizzieren ist und fange schließlich an. Einige holen Kopfhörer heraus und hören Musik. Schon nach einigen Minuten Stillarbeit, versinke ich komplett in meiner Welt. Irgendwann spüre ich einen Blick auf mir ruhen, der mich ziemlich nervös macht. Ich hebe meinen Kopf und sehe direkt in ihre Augen. Die Professorin begutachtet mich nachdenklich, was mich ziemlich nervös macht. Mich bringt sonst eigentlich nichts aus der Malerei, wenn ich einmal angefangen habe. Sobald sie merkt, dass ich sie ebenfalls beobachte, nickt sie mit ihrem Kopf in Richtung meines Blattes, um mir zu signalisieren, dass ich weitermachen soll. Dann schaut sie auf ihre Unterlagen vor sich und beginnt zu schreiben. 

Verwirrt schaue ich wieder auf mein Blatt und zeichne  weiter. Als mich ihre laute Stimme erschreckt, zucke ich merklich zusammen. "Noch dreißig Minuten. Bei einigen von Ihnen frage ich mich jetzt schon, wie das in den nächsten Monaten funktionieren soll.", sagt sie laut und schüttelt enttäuscht den Kopf. Ich setze meinen letzten Strich und begutachte meine Skizze. Ich halte es ein wenig weg, dann wieder nahe. Schließlich radiere ich noch einige Kanten weg und verwische verschiedene Schattierungen noch ein wenig besser. Plötzlich spüre ich ihre Präsens genau hinter mir. "Sind Sie fertig Frau Bergmann?", fragt Professorin Weiß und stützt sich mit ihrem rechten Arm auf meinem Tisch ab. Ich schlucke und schaue mir mein Bild noch einmal an. Dann wende ich meinen Blick wieder zu ihr. Bevor ich ihr allerdings in die Augen sehe, wandert mein Blick in ihren Ausschnitt, der auf meiner Kopfhöhe ist. Einige Sekunden verweile ich darauf, bis ich realisiere, wie unangebracht das ist. Als ich mit klopfendem Herzen in ihr Gesicht schaue, zieht sie ihre rechte Augenbraue missbilligend in die Höhe. Fuck, sie scheint es bemerkt zu haben. "Ich denke ich bin fertig, ja.", sage ich leise und lege ihr mein Blatt vor die Nase. Sie begutachtet es einige Sekunden und nickt schließlich. Dann geht sie wortlos nach vorne und widmet sich einen Mitstudierenden. 

Nach einigen Minuten des Wartens ertönt ihre Stimme schließlich wieder: "So die Zeit ist abgelaufen. Alle Blätter bitte zu mir nach vorne, wenn Sie den Saal verlassen. Sie bekommen ihre Blätter übermorgen wieder, ich möchte sie mir nur mal anschauen. Sie können gehen." Ein erleichtertes Gemurmel geht durch den Raum und gleich verlassen die ersten eilig den Saal. Ich packe mein Zeug zusammen, nehme das Papier und gehe zu ihr nach vorne. Bei ihr angekommen, lege ich das Blatt hin, werfe ihr noch einen flüchtigen Blick zu und drehe mich wieder um. Als ich ihre Stimme hinter mir höre, bekomme ich eine Gänsehaut. "Frau Bergmann, räumen Sie das Stillleben bitte wieder auf?" Ich verdrehe die Augen, nicke freundlich und verstaue das aufgebaute wieder in die Kiste. Das Glas Wein kippe ich in das Waschbecken in der Ecke. Ich spüle es kurz aus, trockne es ab und stelle den Wein mitsamt Glas in die Kisten. "Emma, wir sehen uns heute Abend zuhause. Ich muss los.", ruft Fenja noch und verlässt eilig den Saal. "Soll ich ihnen gleich noch helfen die Kisten wieder aufzuräumen?", frage ich leicht genervt und lehne mich an einen der Tische. Meine Dozentin erhebt sich von ihrem Stuhl und kommt ein wenig auf mich zu. "Das wäre wirklich hilfreich. Folgen Sie mir, dann zeige ich Ihnen wohin die Kisten kommen.", sagt sie und hebt zwei Kisten in die Höhe. Ich nehme den Rest und folge ihr durch die mittlerweile recht leere Universität. Ich folge meiner Professorin interessiert durch die hohen Hallen und zucke kurz zusammen, als sie anfängt zu sprechen: "Studieren sie die Kunst wegen ihrer Eltern?" Ich überlege einen Moment und antworte: "Naja, ich mach es schon für mich. Sie haben mich aber schon sehr geprägt. Irgendwie beides, keine Ahnung." Sie nickt still und schließt einen fast unscheinbare Tür auf. 

Sobald sie das Licht anmacht, treten wir beide ein und räumen die Kisten in einer der vielen Schränke. In dem Raum riecht es modrig und nach Leder. Ich rümpfe meine Nase und schaue mich nochmal um. "Shit, ich habe vergessen den Wein aus der Kiste zu holen.", motzt Frau Weiß eher zu sich selbst, als zu mir. Schnell holt sie den Wein aus der Kiste und packt ihn zu sich in die Tasche. Ich beobachte die Szene eher belustigt und folge ihr schließlich wieder aus dem Raum. Draußen angekommen, fragt sie plötzlich: "Wohnen ihre Eltern noch in Berlin?" Ich schüttle den Kopf und antworte: "Nein, beide sind aktuell viel unterwegs wegen diversen Ausstellungen. Ich wohne in der Eigentumswohnung von beiden. Fenja ist gestern zu mir gezogen." Sie nickt und antwortet: "Wenn ihre Eltern mal in der Stadt sind, sagen Sie mir bitte bescheid." Verwirrt schaue ich sie an, aber nicke kurz. Wenn sie das will, dann mach ich das gerne. Ich nehme mir sowieso vor, heute mit Mama zu telefonieren und sie wegen der Weiß auszufragen. Am Haupteingang angekommen, hole ich mir eine Zigarette aus meinem Etui. Meine Dozentin rümpft verächtlich die Nase und bestraft mich mit ihrem Blick. Ich grinse sie nur an und zünde mir meine Zigarette an. "Ach, Frau Bergmann. Haben Sie nicht etwas vergessen?", fragt nun meine Dozentin, die ihren Autoschlüssel aus der Tasche angelt. Ich lege meinen Kopf schief und frage: "Nicht das ich wüsste? Was denn?" Sie hebt wie so oft einer ihrer Augenbrauen in die Höhe, kommt nahe zu mir und murmelt leise und fast schon bedrohlich: "Wie wäre es, wenn sie Sich für ihren Blick in meinen Ausschnitt entschuldigen würden?" Ich huste erschrocken auf und spüre, wie mir die Hitze in die Wangen schießt. Ich räuspere mich und murmle leise: "Entschuldigung Frau Weiß." Diese zieht ihre Mundwinkel belustigt nach oben und lässt mich ohne ein weiteres Wort auf dem Treppenansatz stehen. 

Zwischen den LinienWo Geschichten leben. Entdecke jetzt