Kapitel 1 - Ära des Winters

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Ein rhythmisches Pulsieren von goldenem Licht strömte aus unserem Handschlag heraus und beförderte uns geradewegs auf eine neue Ebene der Realität. Der grelle Strahl blendete und zwang uns, die Augen vor seinem Licht zu schützen. Das eindringliche Leuchten warf das Gewicht der Leere von unseren Schultern und ließ die endlose Dunkelheit um uns herum stetig kleiner wirken. Nun war die Veränderung der Welt um uns herum deutlich spürbar und die Umsetzung meines Planes nahm endlich Gestalt an. Dieser war der Moment, auf den ich seit Jahren wartete. Durch die Unterstützung des naiven Jungen war es mir nun endlich möglich, eine Welt nach meinen Idealen zu schaffen. Meine Sicht verschwamm und alles um mich herum drehte sich. Eine betäubende Kälte stach auf meiner Haut, als mein Körper sich endlich beruhigte und ich taumelnd zu Halt kam. Ich hustete, griff mir an den Kopf und als sich meine Sicht klärte, erkannte ich eine weitere Person vor meinen Augen deutlich wieder. Robert war durch unseren gemeinsamen Pakt ebenso an diese Welt gebunden wie ich. Hektisch sprang mein Blick von einem Punkt zum nächsten, denn nichts hier schien so, wie es sein sollte. Ein blendend weißes Licht schien von oben auf uns herab und füllte die Umgebung mit einem tristen Ambiente. Es war so hell, dass ich nicht erkennen konnte, was sich oberhalb des Ortes befand, an dem wir nun zu zweit verweilten. Schneeflockten legten sich langsam zu Grunde und bildeten eine weiche Schneedecke auf dem gefrorenen Blumenbeet, auf dem Robert und ich landeten, als wir diese wundersame Welt betraten. Auch er schwenkte seinen begeisterten Blick umher wie ein Kind, das zum ersten Mal nach draußen ging. An den schroffen grauen Felsen um uns herum ragten knorrige tote Äste hervor, die sich von Eissplittern bedeckt sanft in der frostigen Brise bewegten. Die Ruhe und Melancholie, für die dieser triste Ort sorgte, war nahezu unheimlich. Alles, was uns in diesem Gebiet mit Klängen bescherte, war der scharfe und beißende Wind, der wie ein Schleier um unsere Körper streifte. Mein Atem kondensierte vor meinen Augen und bevor Robert und ich ein Wort miteinander wechselten, waren bereits einige Minuten der Stille und Faszination vergangen. Er wirkte ebenso bezaubert von unserer gemeinsamen Kreation und mich überkam erst jetzt das Gefühl der Freiheit. Nach all den Jahren war ich wieder wer ich sein sollte. Mein Blick schwenkte auf meine blassen Hände über, die sich langsam drehten und bewiesen, dass ich wirklich lebte; die beißende Kälte brachte sie zum Zittern. Vor Unglaube stieß ich ein Keuchen des Glücks hervor. Ich spürte endlich wieder, wie sich Kälte anfühlte. Robert bemerkte meinen Zustand und näherte sich langsam durch den dumpfen Schnee, was mich aus meiner Trance weckte. Instinktiv schritt ich zurück mit dem Glauben, er wolle mir weh tun, doch nichts dergleichen. Ich vergaß, dass er seine Kämpfe unbewaffnet ausdiente.
"Chara, wo sind wir hier?" Seine warme Stimme war von Faszination und Unglaube geprägt, während er sich noch immer fassungslos umschaute. Mit offenem Mund und weiten Augen musterte er unsere Umgebung und mich überkam wieder ein leichter Hauch von Frustration.
"Wie soll ich dir diese Frage beantworten? Wir sind beide an diesen Ort gebunden," antwortete ich schnippisch. Nach einem kurzen Moment der Stille wandte sich Robert zu mir und sah mir mit einem entschlossenen Blick in die Augen. Seine Wangen und Nase färbten sich rot durch die Kälte und Schneeflocken sammelten sich in seinen lockigen Haaren.
"Nun, dann lass es uns herausfinden." Vorsichtig schritt er voran und der Schnee knirschte unter seinen braunen Fellstiefeln. Mit verwunderter Miene folgte ich ihm für einen Moment und beschloss kurz danach, mich ihm anzuschließen. Die beißende Kälte schüttelte mich und schnitt tiefer als heiße Klingen. Auch Robert wirkte vom winterlichen Wetter mitgenommen zu sein, da er selbst zitternd durch den Schnee watete wie ein orientierungsloser Wanderer. Um uns herum türmten sich ramponierte Monumente aus alten Zeiten und Torbögen, sowie zerbröckelte Säulen auf gefrorenem Grund auf, bewachsen von zu Eis kristallisierten Pflanzen. Das dunkelgraue Gestein schien in Robert eine Erinnerung geweckt zu haben, da er für einen Moment innehielt, um die antiken Gebilde näher zu betrachten. Mit einer Hand fegte er den Schnee von einem torähnlichen Trümmer und deckte ein bekanntes Symbol auf. Die Deltarune prangte in die Überreste eingraviert unter Roberts Hand hervor.
"Dieser Ort erinnert mich an die Ruinen... dieses Symbol erkenne ich. Die Legende besagt," begann Robert, doch ich schnitt ihm das Wort ab.
"Ich kenne die Legende." Stumpf reagierte ich seufzend und ignorierte ihn, bevor ich langsam weiter voranschritt. Meine Schuhe waren bereits völlig durchnässt und die Schneeflocken kümmerten sich indes um meine Kleidung, die sich schwer über meinen Körper legte und die Kälte langsam immer unerträglicher machte. Robert folgte mir und sprach mich von der Seite an, während ein Stück Metall an der Wand meine Aufmerksamkeit erregte. Ein dunkles eisernes Gitter, mit Eiszapfen geschmückt, versperrte uns den Weg.
"Die Prophezeiung entstand vor deiner Ankunft im Untergrund. Sie sagten, du seist der Engel, der sie aus dem Untergrund befreien würde." In Roberts Stimme war eine leichte Enttäuschung zu hören. Ich zuckte und drehte mich keuchend zu ihm um. Langsam spürte ich Wut in meinen Fingern aufsteigen und dieses Gefühl war deutlich von der stechenden Kälte zu unterscheiden. Robert reagierte auf meinen Wechsel der Emotionen und wärmte seine Hände, indem er sie mit seinem Atem anhauchte. Unsere Blicke kreuzten sich und er merkte sofort, dass seine Aussage mich verletzte. Er wusste gar nichts über mich. Seine neugierige Art frustrierte mich immer wieder. Ich konnte ihm keine  Antworten geben... Seufzend drehte ich mich wieder um und schenkte ihm keine Beachtung mehr. Meine Schultern spannten sich an, als wir am eisernen Gittertor ankamen und jeder Atemzug brannte in der Lunge. An der Wand war ein Hebel festgefroren, dessen runder Griff sich nur noch blass rot vom Eis abhob. Zögernd legte ich meine Hand auf das Metall des Hebels und die gefrorenen Kristalle stachen auf meiner Hand. Der Hebel ließ sich mit einer Hand nicht bewegen, egal wie fest ich ihn nach unten drückte. Nachdem ich versuchte, mit meiner zweiten Hand nachzuhelfen, entkam aus meinem Mund nur ein angestrengtes Ächzen. Die Frustration und Wut erfüllten meinen Körper erneut und ich atmete hektisch. Innerlich überkam mich eine Hitze, die diesen verdammten Schalter aber keinen Millimeter nach unten bewegen würde. Zornig trat ich gegen das eiserne Tor, in der Hoffnung, es würde sich vielleicht öffnen. Bis auf einen dumpfen Ton tat sich an diesem Gitter aber gar nichts. Robert schritt nun langsam nach vorne, um sein Glück am Hebel zu versuchen. Ich erwartete nicht viel und keuchte spottend hinter seinem Rücken, doch er zog nicht daran. Nachdem er seine Hände auf dem eiskalten Metall ablegte, wanderte sein Blick seelenruhig in meine Richtung und ein sanftes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. In seinen müden Augen war die reine Gutherzigkeit zu erkennen, von der er vermeintlich behauptete, sie würde ihn erfüllen.
"Ich brauche deine Hilfe, Chara. Wir schaffen das nur zu zweit," sprach er ebenso ruhig, wie er am Hebel verharrte und die einzige Bewegung die er tat war das Zittern seines Körpers in der bitteren Kälte. Inzwischen legte sich eine dünne weiße Schicht von Schnee über sein Haar und kleine Eiskristalle verfingen sich in den Maschen seines dunkelgrünen Pullovers. Skeptisch näherte ich mich dem naiven Menschen und sah ihm hasserfüllt in die Augen. Auch, wenn es nicht seine Schuld war, dass sich das Tor nicht öffnen ließ. Sein Anblick frustrierte mich immer wieder. Er hielt den Augenkontakt aufrecht und nickte einmal bestätigend, als ich nun vor ihm stand und damit zögerte, meine Hände auf den Griff des Hebels zu legen, wo sich auch Roberts befanden. Vorsichtig platzierte ich sie auf seinen Händen und spürte die Wärme seiner Haut. Es war ein angenehmes Gefühl, welches ich seit vielen Jahren nicht mehr erfahren durfte. Gemeinsam drückten wir den gefrorenen Hebel nach unten und nutzten all unsere Kraft, um den Mechanismus zu betätigen. Eine rostige Kette begann zu klimpern, die das eiserne Gitter nach oben zog. Das Gefühl der Schwere in meinem Körper erleichterte sich ein wenig, nachdem sich unser Weg nun ebnete. Ich zog meine Hände zurück und verlor die Wärme, die Roberts Haut erfüllte. Nun, wo die Reise fortfahren konnte, brauchte ich seine Hilfe nicht mehr. Ich schritt voran und ein mächtiger kahler Baum reckte nicht weit von mir aus dem gefrorenen Boden empor. Sein schwarzer Stamm schüttelte an meinen Erinnerungen. Das matte und graue Licht verwandelte die winterliche Atmosphäre in eine deprimierende und melancholische Szene, doch tief in meinen Gedanken lebte etwas auf, was mich an die heitere Wärme von Zuhause erinnerte.
"Das orangene Laub," flüsterte Robert unterdrückt und er gewann wohl an Klarheit, doch ich verstand nicht, was er meinte. Alles was er sagte schien stets so überflüssig. Es war eine Zeitverschwendung mit ihm im Schlepptau. Zu Eis gefrorene Blätter schmückten die Schneedecke um den Baum herum, welcher leise knarrte und auch die fragilen Äste, die die dunkelgrauen Felswände dekorierten, bewegten sich noch immer raschelnd im Wind. Mein Blick zuckte jedoch direkt in die Richtung einer subtilen Regung im Schnee und ich griff sofort nach dem Messer in meiner Hosentasche. Mein altbekannter Freund würde mich diesmal nicht im Stich lassen, schwirrte es durch meinen Kopf, als sich wegen der Auseinandersetzung mit Robert Wut in mir ausbreitete. Die Niederstreckung dieses gottverdammten Menschen hätte mir seine sinnlose Anwesenheit erspart, doch wäre ich ohne ihn nicht hier... Wohl oder übel war eine Zusammenarbeit anscheinend unvermeidbar. Die blutlustige Entschlossenheit schob diesen sensiblen Gedanken ein für allemal beiseite und ich näherte mich vorsichtig der Stelle im Schnee, an der ich zuletzt die Bewegung des unbekannten Wesens ausmachen konnte. Es schien sich wohl vor mir zu verstecken, denn inzwischen waren keine Regungen mehr zu sehen.
"Was war das?" fragte Robert leise und ich rollte mit den Augen.
"Halt den Mund du Idiot. Wenn ich das wüsste, wäre es bereits tot." Ich zischte wütend in seine Richtung und er nahm wieder den typisch enttäuschten Gesichtsausdruck an. Mein Geduldsfaden riss allmählich. Frustriert knirschte ich mit den Zähnen und richtete all meine Aufmerksamkeit auf jene Bewegung, die ich ausfindig machen würde. Ein Winterling mit gefrorenem Stängel wuchs langsam aus dem Boden hervor und Eiskristalle splitterten von den Blüten der zarten goldenen Pflanze. Instinktiv stieß ich mit meinem Körper vorwärts und umklammerte fest den Griff meines Messers, doch der eindringliche und überraschte Ausruf Roberts hielt mich von meinem Angriff zurück.
"Flowey," keuchte er. Eine Mischung aus Entsetzen und Unglaube breitete sich auf seinem Gesicht aus, als ich mich wütend zu ihm umdrehte.
"Bist du es wirklich?" fragte Robert und schritt übervorsichtig auf die Pflanze zu, die schlotternd in der dicken Schneedecke verharrte. Was für ein Idiot. Gestresst ballte ich meine Fäuste und bereitete mich auf einen Angriff vor. Die Pflanze zitterte so heftig, stärker gar noch als ich und zuckte in unsere Richtung. Robert schien wohl zu wissen, um wen es sich hier handelte, doch für mich war das mickrige Gesicht des Monsters vor unseren Augen absolut unbekannt. Meine Hand schmerzte, mit der ich den Griff meines Messers fest umklammerte und ich starrte das Wesen vor mir nieder.
"W- wer seid i- ihr," stotterte das Monster fragend in einer so hellen und penetranten Stimmlage, dass es mich wütend machte, dieses Ding lebend zu sehen. Es schien sich jedoch nicht vor uns zu fürchten. Hielte Robert mich nicht zurück, hätte das Stück Unkraut jedoch allen Grund dazu. Robert griff sich mit einer Hand an die Brust und seine Lippen färbten sich durch die Kälte inzwischen bläulich.
"Ich bin es, Robert. Wo sind wir hier?" Dieses sinnlose Gequatsche zwischen den Beiden machte mich furios. Während sie hier ihre Zeit verschwendeten, betäubte sich nach und nach der Sinn für Gefühl in meinem Körper.
"Robert... W- wer auch immer. Hier a- an diesem Ort seid ihr nicht s- sicher. Mein N- Name ist Flowey. Es bleibt k- keine Z- Zeit mehr, der Winter bricht ein. E- Es ist besser zu f- frieren als zu erfrieren, also s- sputet euch," drohte Flowey sehr schwach. Ehe er sich wieder in seinem verdammten Erdloch vergraben konnte, hielt Robert ihn davon ab.
"Bitte warte, was willst du uns damit sagen?" Mir wurde das Gerede zu viel und ich ignorierte sie. Mit dem Messer in der Hand stapfte ich auf dieses fragile Monster zu und kniete vor ihm nieder, um seinen Stängel zu durchtrennen. Mit der linken Hand griff ich danach, um ihn festzuhalten und setzte mit dem Messer an, doch Roberts Stimme hallte erneut in meinem Kopf.
"Stopp! Chara, lass ihn am Leben," rief er und mein Herz raste vor Zorn. Dieser Idiot war von keinem Belangen und es ging nicht darum, was er zu sagen hatte. Wenn ich mich nicht beeilte, würde ich hier draußen sterben. Ich sägte mit der scharfen Kante meines Messers an dem mickrigen Monster vor meinen Augen und es verwunderte mich, dass Flowey keine Reaktion zeigte. Die Hand, mit der ich nach seinem Stängel griff, fühlte sich nach wenigen Sekunden jedoch extrem taub an und ich ließ los, da sich der Körper der verdammten Pflanze langsam vereiste. Die Fläche meiner linken Hand war kreidebleich und sie zitterte heftig, als ich mit der anderen Hand danach griff, nachdem ich mein Messer wegsteckte.
"Tu ihm nicht weh, er kann uns helfen!" Robert näherte sich und berührte mich sanft an meiner Schulter, woraufhin ich endgültig die Fassung verlor und diesem Spinner wutentbrannt in die Augen starrte. Mit nur einem Arm stieß ich seinen schwachen Körper von mir und er landete rücklings im Schnee. Indes gefror Flowey vollständig zu einer Statue aus Eis. Langsam schritt ich auf Robert zu und sah ihm von oben herab in die Augen.
"Du stehst mir im Weg. Wieso macht ihr Menschen es euch nur immer so schwer? Dein Idiotismus kostet uns noch das Leben! Bleib einfach zurück und halte dich raus, oder ich bringe dich ein für allemal um." Diese Frustration in mir wuchs immer mehr und ich spürte ein stechendes Gefühl in meinem Herzen. Zwar hatte ich ihm mein Leben zu verdanken, aber durch sein Missgeschick würde es auch mein Ende bedeuten. Nachdem ich mich von ihm abwandte, erblickte ich eine Kreatur in lilafarbenem Mantel in der Ferne. Ihre Silhouette war kaum auszumachen, doch ich erkannte ihre Kleidung. Robert putzte sich den Schnee von den Klamotten und stellte sich an meine Seite. Sein gesamter Körper zitterte heftig, er wirkte durchgefroren und schwach. Dennoch richtete er sich wieder auf. Dieser Junge war mir wahrlich ein Rätsel. Warum blieb er nicht einfach zurück oder ging seines eigenen Weges?
"Wir sollten ihr folgen..." hustete Robert kraftlos und schritt langsam voran. Seine Schritte sorgten für ein knirschendes Geräusch im Schnee und sein gesamter Oberkörper war durchnässt. Ich glitt mit meinen Fingern sanft durch meine Haare, um die Schneeflocken zu entfernen und sah ihm leicht mitleidend hinterher. Vielleicht wusste auch ich nichts über ihn.

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