Kapitel 2: Das Flüstern des Schicksals

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«Die Schatten riefen einen Namen, als ich die Schwelle zwischen Wunsch und Verhängnis überschritt.»

Seit Stunden stapfte ich mit durchnässten Stoffschuhen und einem halbvollen Weidenkorb an Lebensmitteln unter dem linken Arm durch die schmalen Gassen des überlaufenen Marktes am Rande der Stadt von Yardin. Der Geruch nach Regen und verschiedenen Gewürzen umhüllten den Platz und ich zog den Duft nach Kreuzkümmel, Pfeffer, Zimt und Asant tief in meine Lungen.

Erika hatte mich, als Strafe für das zerstörte Tuch, nach Lebensmittel für das Festessen, welches in zwei Tagen auf Gut Fenyridge stattfinden sollte, ausgeschickt. Ich seufzte. Normalerweise liebte ich es, über den vollen Markt zu schlendern und Dinge einzukaufen. Doch heute waren die Straßen leer und der eiskalte Regen nagte unerbittlich an meinen frierenden Knochen. Ich sehnte mich nach der Wärme des knisternden Feuers, das mich bei der Ankunft auf dem Gut in meinem Zimmer erwarten würde.

Es war ihre Art, mir eine Lektion zu erteilen. Sie wusste genau, dass ich den Trüffel, welchen ich neben den anderen Zutaten besorgen sollte, zu dieser Zeit nicht mehr finden würde. Es war Herbst, und die Saison längst vorbei, jeder wusste dies und ich hatte nur fünf Florin dabei, kaum genug für alle Zutaten. Ich erntete reihenweise mitleidige Blicke von kopfschüttelnden Verkäufern, als ich sie nach Trüffeln fragte.

Ich zog mir die triefende Kapuze meines grauen Baumwollmantels weiter über die hohe Stirn, um mein Gesicht vor dem strömenden Regen zu schützen, welcher sintflutartig vom Himmel fiel. Seit Stunden hastete ich nun bereits durch die engen, verwinkelten Gassen der Stadt, mein Blick ständig auf der Suche nach einem Laden, einem Stand, der die eine Zutat vorrätig hatte, nach der ich händeringend suchte.

Mit jedem Stand, den ich hinter mir ließ, mit jedem Kopfschütteln, das ich erntete, wuchs meine Ungeduld und Frust machte sich in mir breit, trieb mir vor Zorn die Tränen in die Augen. Der beißende Wind, der durch die Straßen fegte, zerrte an meiner Kleidung und schlug mir meine braunen Haare in mein eiskaltes Gesicht, doch ein weiteres Gefühl machte sich in mir breit. Es war die Gewissheit, dass Erika genau das geplant hatte. Sie wusste, dass es unmöglich sein würde, weißen Trüffel zu finden. Es war eine Herausforderung, eine Machtdemonstration ihrerseits und ich würde ihr mit hängenden Schultern und Wut im Herzen gegenübertreten müssen.

In meinem Inneren kochte es. Jeder Schritt, den ich durch diese verfluchten Straßen machte, war ein weiterer Beweis dafür, wie sehr sie mich in der Hand hatte. Sie verlangte etwas Unmögliches von mir und ich konnte ihren Anweisungen nicht gerecht zu werden. Das konnte ich nie und das würde ich auch nie.

Meine Finger waren steif vor Kälte und meine Zehen waren in den durchnässten Stoffschuhen taub, als ich dem nächsten Stand abermals enttäuscht den Rücken kehrte und die rutschigen Steintreppen der Gassen vorsichtig weiter hinaufschritt.

Seufzend lief ich an einem alten Mann mit langem weißem Vollbart vorbei und musterte seine angebotene Ware. Zwischen Holzschnitzereien und Töpferwaren lagen weitere getrocknete Kräuter und verschiedene Teesorten. Ich stöhnte resigniert auf und umschloss den geflochtenen hölzernen Griff des Weidenkorbes fester.

Ich zwang mich, tief einzuatmen, mein Blick schoss gen Himmel. Regentropfen fielen auf mein Gesicht, benetzten meine Lippen und die dunklen Wimpern und ließen mich für einen kurzen Moment die Augen schließen. «Möchten Sie etwas kaufen, junge Dame?» Eine dunkle Stimme riss mich aus meinen Gedanken und ich blickte in sein faltiges Gesicht. Schnell wand ich den Blick ab und musterte den Stand des alten Mannes vor mir. Doch auch hier war kein Trüffel und ich schüttelte frustriert den Kopf.

Als ich mich endgültig abwenden wollte, fiel mein Blick auf einen unscheinbaren Korb, der unter Decken fast vollständig verborgen war. Ein letzter Funke Hoffnung flammte auf, und ohne viel darüber nachzudenken, zeigte ich mit meiner zitternden Hand zum Korb. Der alte Mann, der mich bisher still beobachtet hatte, verließ die schützende Überdachung und sah mich mit einem breiten Lächeln und seinen wenigen Zähnen an.

«Was ist in dem dunklen Korb dahinten?», fragte ich, und meine Stimme klang rauer, als ich es erwartet hatte. Der Mann zögerte einen Moment, als würde er meine Frage sorgfältig abwägen.

Mit langsamen, bedächtigen Bewegungen griff er diesen, legte die beigen Decken beiseite und zeigte mir den Inhalt des Korbes. Zu meiner Überraschung lagen darin tatsächlich kleine, weiße Trüffel. Meine Augen weiteten sich, als ich diese erblickte, doch zeitgleich schlich sich ein Grinsen auf meine Lippen. Erika würde vor Rage explodieren.

Der alte Mann lächelte sanft, seine blauen Augen blitzten, als er die Decken behutsam wieder über den Korb legte, als wollte er diesen vor weiteren neugierigen Blicken schützen. «Was willst du dafür?» Meine Stimme zitterte vor Anspannung, und schon streckte ich die Hand nach den Zutaten aus.

Er sah mich ruhig an und ließ sich Zeit, bevor er antwortete. «Neun Florin», sagte er mit bedächtiger Stimme, die keinen Zweifel an seinem Preis ließ.

Meine Hand verharrte mitten in der Bewegung. Neun Florin? Ein kaltes Gefühl breitete sich in meiner Brust aus und zwang mich beinahe in die Knie. So viel hatte ich nicht dabei. Erika hatte mir fünf Florin für den Markt mitgegeben. Mein Herz setzte einen Schlag aus, als ich versuchte, eine Lösung zu finden. Ich war meinem Ziel so nahe. Verzweifelt überlegte ich, ob ich an den anderen Ständen verhandeln oder vielleicht sogar etwas eintauschen konnte.

Während ich innerlich kämpfte, spürte ich den durchdringenden Blick des Mannes auf mir ruhen. Sein Lächeln veränderte sich leicht, wurde härter. Er lehnte sich über den schmalen Tisch, auf dem seine Ware lag und sprach mit einem Ton, der die Luft zwischen uns fast durchschnitt. «Ich gebe dir alles für fünf Florin und deine hübsche Halskette.»

Überrascht sah ich ihn an. Meine Hand schoss zu meiner dünnen Halskette und dem schlichten Silberanhänger, der daran baumelte. Ein Andenken, ein Geschenk, das mir nach all den Jahren immer noch viel bedeutete. Doch würde ich Erika ohne die benötigten Zutaten für das Festessen unter die Augen treten können, oder würde sie mich dieses Mal hinauswerfen lassen?

Ich hatte den Bogen bereits überspannt und bewegte mich seit dem Vorfall mit dem goldenen Paisleytuch auf sehr dünnem Eis, einen weiteren Verstoß konnte ich mir nicht leisten. Ich spürte, wie der Metallanhänger schwer an meiner kühlen Haut lag, als wollte er mich an den Schwur, den ich als Kind geleistet hatte, erinnern. Eine stille Warnung?

Meine Gedanken rasten. Fünf Florin und die Kette? Der Preis war verlockend niedrig, doch der Einsatz fühlte sich verdammt falsch an. Ich stand da, gefangen zwischen dem Wunsch Erika zufrieden zu stellen und dem persönlichen Wert meiner Kette, während der Mann vor mir abwartete, als wüsste er, dass er mich mit seinem Handel ins Wanken gebracht hatte.

«Was ist jetzt?» fragte er ungeduldig und verlagerte sein Gewicht von einem Bein zum anderen. «Willigst du in den Deal ein oder nicht?»

Ich seufzte erneut, stellte den Weidenkorb auf das regennasse Pflaster und griff mit beiden Händen an meine Kette, um den kleinen Verschluss zu öffnen.

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