Kapitel 3: Das Echo der Stille

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«Die Schatten waren meine einzigen Zeugen, während ich in die Tiefe fiel.»

Das Gewicht der Kette lag schwer in meiner linken Handfläche, schwerer als die fünf Florin, die ich dazulegte. Ich streckte den Arm aus und überreichte dem alten Mann seinen geforderten Preis für unseren Handel.

Ein hungriges Glitzern blitzte in seinen faltigen Augen auf, als er seine Hand gierig darum schloss. Mit einer hastigen Bewegung stopfte er sie in seinen kleinen Lederbeutel, der an seinem breiten Gürtel baumelte. «Hier, dein Trüffel», murmelte er und reichte mir die Knolle.

Mit einem mulmigen Gefühl legte ich diesen in ein dünnes Tuch gewickelt vorsichtig in meinen Korb. «Hüte dich vor der Dunkelheit», warnte er mit leiser Stimme. «Sie ist hungrig nach dem, was du verloren hast, Kind.» Mein Blick suchte erschrocken den alten Mann, doch er war plötzlich verschwunden, als hätte er sich in Luft aufgelöst. Ich blinzelte, den Druck der eingetauschten Kette noch immer in meiner Hand spürend.

Der Regen hatte nachgelassen und so huschte ich unter der Überdachung hervor, glücklich darüber endlich nach Gut Feynridge zurückzukehren und meine eiskalten Glieder am knisternden Kaminfeuer zu wärmen. Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen, ich hatte den Trüffel und Erika würde vor Wut schäumen. Doch da war auch dieses kleine Gefühl tief in mir, das mich anschrie, einen riesigen Fehler mit dem Handel gemacht zu haben.  Einen Fehler, den ich bitter bereuen würde.

Ich musste mir Worte zurechtlegen, Sam würde mich, wie jedes Jahr, bei den kommenden Festlichkeiten besuchen. Ich hatte keine Ahnung, wie er reagieren würde, wenn ich ihm erzählen würde, dass ich unseren kindischen Schwur gebrochen und die Kette für einen winzigen Trüffel eingetauscht hatte. Ich seufzte laut auf, als ich den Markt hinter mir ließ und den schmalen Pfad folgte, der mich zu Gut Feynridge führen würde.

Flankiert von hohen Bäumen schweiften meine Gedanken zu dem alten Mann zurück. Gänsehaut bildete sich auf meinen Armen, als ich an seine seltsame Warnung dachte. «Hüte dich vor der Dunkelheit, sie ist hungrig nach dem, was du verloren hast.» War er verrückt gewesen? Oder wusste er etwas, das für mich verborgen zu sein schien? Was hatte er mit dieser Aussage gemeint?

Der Wald war still, zu still und die Bäume waren von der Dunkelheit vollständig umhüllt. Mit jedem Atemzug wuchs meine Nervosität und ich erwischte mich dabei, wie ich des öfteren über meine Schultern blickte, als ob ich den alten Mann, oder das, was er erwähnt hatte, hinter mir im Schutz der Dunkelheit lauerten. Das Herz schlug wild in meiner Brust und ich beschleunigte meine Schritte hektisch.

Der Wind trug ein leises Flüstern mit sich, das sich wie ein kaltes Gefühl in meinem Nacken ausbreitete. War der Handel wirklich nötig gewesen? Unsicherheit kroch in mir hoch, doch es war zu spät. Ich straffte meine Schultern. Ich hatte das Richtige getan, der Trüffel würde meine Stellung verbessern und ich würde Erika endlich zeigen, dass ich nützlich sein konnte. Als ich schließlich die winzigen Öllampen an der Fassade von Gut Feynridge in der Ferne erblickte, atmete ich erleichtert laut auf.

Doch als ich die schwere Pforte erreichte und sie mit etwas Druck öffnete, hatte ich das Gefühl, dass die Dunkelheit mir weiterhin folgte. Und tief in mir regte sich die Angst, dass ich mit der Kette mehr eingetauscht hatte als nur einfache Ware. Dass ich mehr verloren hatte, als nur ein Schmuckstück. Ich schüttelte meinen Kopf, verbannte die Gedanken aus diesem und lief zügig über den Innenhof.

Erika saß an ihrem kleinen Holztisch, umgeben von Kräutern und Zutaten. Ihre Augen verengten sich, als sie mich erblickte. «Du bist viel zu spät! Wo hast du dich so lang herumgetrieben?» Ich setzte den Weidenkorb vor ihr auf die Tischplatte ab und breitete die Ware neben dem bereits dort liegenden Kartoffelkraut aus. «Ich habe alles erledigt. So wie Sie es wollten.» Ich hielt ihr den Trüffel mit einem Grinsen unter die Nase.

Sie musterte mich mit einem abschätzigen Blick. «Das soll ein Trüffel sein? Er ist viel zu klein für die Vorspeise! Wieso denkst du nie nach?» Sie seufzte theatralisch. Mein Lächeln erstarb sofort und ich ließ die Schultern sinken. Hilflosigkeit machte sich in mir breit, Erika erdolchte mich mit scharfen Blicken und mir wurde klar, das ich nie eine Wahl hatte. Sie hatte mich nur in dem Glauben gelassen, ich hätte eine. Sie erhob sich von ihrem Stuhl und baute sich vor mir auf. Wie erstarrt blickte ich in ihr Gesicht.

«Du Nichtsnutz! Geh mir aus den Augen, du bist hier auch um zu arbeiten, also beweg dich! Wird's bald!» Tränen rannen mir über das kühle Gesicht, doch ich wischte sie nicht fort. Erikas Worte schnitten sich wie ein Messer in meine Seele. «Ich wollte nur einmal gut genug sein, nur einmal wollte ich für Sie nützlich sein.» Ein boshaftes Lachen hallte durch den Raum. «Gut genug? Und nützlich? Du bist der größte Schandfleck auf dem Gut. Ein törichtes, dummes Kind. Ich hätte dich damals in diesem Waisenheim verrotten lassen sollen! Der Junge wäre die bessere Wahl von euch beiden gewesen.»

Ich biss mir, wie damals, auf die Lippen, bis ich Blut schmeckte. Jeder Schlag meines Herzens fühlte sich an wie ein stummer Schrei, der in der Stille des Zimmers vollständig unterging. Die Worte von Erika hallten in meinem Kopf, wie ein unaufhörliches Echo, das mich daran erinnerte, wie wenig ich wert war. Ich wollte schreien, wollte die Wut und die Enttäuschung aus mir herauslassen, doch ich wusste, dass es keinen Sinn hatte. Was würde es ändern? Die Dunkelheit, die sie über mich brachte, war wie ein dichtes Netz, das mich festhielt und immer mehr erstickte.

Ich zwang mich, mich endlich zu bewegen, doch jeder Schritt schien schwerer zu fallen als der vorherige. Der Gang zum Küchenbereich war lang und quälend, und ich spürte die Scham, die mich wie ein Schatten verfolgte. Die anderen Dienstmädchen tuschelten hinter meinem Rücken, ihre Blicke auf mir haftend wie ein schmutziger Fleck, den ich nicht abwaschen konnte. Ich fühlte mich nackt, entblößt von all ihren urteilenden Blicken und der scharfen Zunge Erikas.

Als ich die Küche erreichte, schnitt der Geruch von gebratenem Fleisch durch meine Traurigkeit, doch er brachte mir keinen Trost. Die Wärme des Kamins war in meinen Augen nun wie ein Hohn, ein ständiges Erinnern daran, dass ich hier niemals wirklich willkommen war. Ich versuchte, meine Gedanken zu ordnen.

«Du bist zu spät, Lilly», murmelte eine Stimme. Es war Clara, die mir nie viel Sympathie entgegenbrachte.  «Erika hat gesagt, du sollst das Abendessen schnell zubereiten, oder du wirst die Konsequenzen spüren.» Ohne eine Antwort zu erwarten wandte sie sich bereits missbilligend wieder von mir ab und griff nach einem weiteren Topf.

Ich nickte mechanisch, meine Hände zitterten wie Espenlaub, als ich begann, die Zutaten zusammenzustellen. Doch während ich die zahlreichen Karotten schnitt und darauf achtete nicht eine Fingerkuppe zu verlieren, waren meine Gedanken bei dem alten Mann und meiner Kette, die ich verloren hatte. «Die Dunkelheit ist hungrig nach dem, was du verloren hast, Kind», hatte er gesagt. Und ich fühlte, wie die Dunkelheit sich in meinem Inneren ausbreitete, als hätte ich den letzten Schutz verloren, den ich hatte.

Die Demütigungen, die ständigen Zweifel, die Überzeugung, dass ich niemals genug sein würde. Ich wollte alles hinschmeißen, wollte weglaufen und nie wieder zurückkehren. Mit jeder Bewegung in der Küche fühlte ich mich, als würde ich tiefer in einen Abgrund sinken. Die Tränen stiegen mir in die Augen, und ich kämpfte gegen die Welle der Verzweiflung an. «Du bist nichts», flüsterte ich mir zu.

Mit einem tiefen Atemzug wandte ich mich der neuen Arbeit zu. Ich würde das Abendessen zubereiten und es würde perfekt werden, und vielleicht, nur vielleicht, würde ich eines Tages stark genug sein, Gut Feynridge den Rücken zu kehren.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Nov 09 ⏰

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