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Hailey

Mittlerweile sind einige Tage vergangen. Ich habe mein Training wieder aufgenommen und mir die benötigten Bücher besorgt. Ich bin mit meinen Mitbewohnerinnen essen gegangen, Jayden aus dem Weg. Er ist mir nicht geheuer, ich werde aus ihm nicht schlau. Für heute bin ich um Punkt halb vier mit Parker verabredet. Wir wollten unser Ritual von früher aufnehmen, bevor er mit seiner Familie nach Philadelphia gezogen ist. Jeden Samstag, bevor die Schule wieder losging, haben wir uns für Stunden in meinem Zimmer verschanzt und einen Film nach dem anderen geschaut. Parker meinte, als er mit acht Jahren damit anfing, dass es uns Glück bringen würde. Wie er darauf kam, weiß ich bis heute nicht. Das wiederum ist auch der Grund, warum ich schon den ganzen Vormittag in der Kletterhalle unserer Uni verbringe. Ich kann nicht den ganzen Tag in meinem Zimmer verbringen, das konnte ich noch nie. Es kam mir immer vor, als würde ich mein Leben nicht unter Kontrolle haben, aber das hatte ich sehr wohl. Bereits mit zwölf wusste ich das ich an der gleichen Universität wie meine Eltern studieren wollte. Ein Jahr später hatte ich mich auf ein Studienfach festgelegt. Sobald ich die Schule beendet hatte, beteiligte ich mich ein Jahr an einem sozialen Projekt. Wenn ich jetzt an die Zeit zurückdenke, vermisse ich die Leute von dort. Zu ein paar habe ich noch immer Kontakt, aber nicht regelmäßig. Dennoch spende ich einen Teil meines Ersparten weiter an die Organisation.

Ich löse meinen Blick von der Wand und greife in den kleinen Beutel mit dem Magnesium. Ich verteile es an meinen Händen, ehe ich meine Finger erneut an die Griffe lege.
„Komm schon Hailey! Du schaffst das, so schwer ist es nicht", murmle ich vor mich hin. Immer wieder wechseln die Positionen meiner Hände und Füße. Mal ziehe ich mich mit meinen Armen hoch, ein anderes Mal kralle ich mich mit meinen Füßen fest. Mein Atem geht schneller als sonst, doch er ist ruhig. Einzelne Haarsträhnen hängen mir ins Gesicht, hindern mich aber nicht an meiner Sicht. Gelegentlich kitzeln sie mich, doch ich puste sie wieder weg. Langsam nähere ich mich der Stelle, an der ich nicht weiterkomme. Ich setze den rechten Fuß ein Stück höher, lege meine linke Hand oberhalb meines Kopfes ab. Meine Muskeln sind angespannt und schnelle ziehe ich mich hoch. Wie unzählige Versuche zuvor bin ich bei meinem nächsten Schritt zu langsam. Ich erwische mit meinen Fingern nicht rechtzeitig den kleinen Griff. Ich verliere das Gleichgewicht und lande, wie zuvor auch, auf der Matte. Frustriert lasse ich mich nach hinten fallen. Ich schließe meine Augen. In meinem Kopf spielen sich die letzten Minuten erneut ab. Ich bin zu langsam, greife daneben statt an die richtige Stelle. Immer und immer wieder. Als ich meine Augen wieder öffne und mich von der Matte erhebe bleibt mein Blick an einer Person hängen. Er lehnt an einer der Wände in der Nähe des Eingangs. Ich mustere ihn genauer und stelle fest, dass es Jayden ist. Augenblicklich wende ich mich von ihm ab. Er kann mir gestohlen bleiben.

Erneut lege ich meine Finger an eine der Griffe. Ich wiederhole den Vorgang von vor ein paar Minuten. Ich ziehe mich hoch, setze meine Füße an andere Stellen und trotzdem bin ich am Ende wieder zu langsam.
„An deiner Stelle würde ich aufhören und es an einem anderen Tag nochmal probieren", erklingt Jaydens Stimme hinter mir. Ich habe nicht bemerkt das sich mir jemand genähert hat und trotzdem erkenne ich seine Stimme wieder. Ich entferne mich von der Wand und drehe mich zu ihm um.
„Danke, aber ich denke das kann ich selbst entscheiden."
„Du solltest deinen Körper nicht überanstrengen, genauso wie deinen Kopf. Manchmal braucht es, bis es klappt. Glaub mir, ich weiß, wie es dir geht." Ich schweige einen Moment. Er hat recht, da bin ich mir mehr als sicher. Ich gebe ihm keine Antwort, stattdessen gehe ich schweigend an ihm vorbei. Ich schnappe mir meine Flasche und trinke einen Schluck, bevor ich in der Umkleide verschwinde.

Das leise Klingeln meines Handys ertönt. Ein Blick auf das Display lässt mich wissen das es meine Mutter ist.
„Hey Mom, wie geht es dir?", frage ich, sobald ich das Gespräch angenommen habe.
„Mir geht's gut. Aber wie geht es dir, Liebes?"
„Mom, ich- Mir geht es gut."
„Hailey, ich höre doch das es nicht so ist. Sag mir was dich beschäftigt."
„Ich will dich nicht damit belasten", gebe ich leise zu.
„Du bist meine Tochter. Du belastest mich damit nicht. Ich bin deine Mom." Seufzend gebe ich nach.
„Es ist Parker. Er..hat mir seinen Bruder vorgestellt", murmele ich vor mich hin.
„Sicher das es nur das ist?"
„Was soll das Heißen?", frage ich unsicher.
„Jayden und du wart früher ein Herz und eine Seele. Daran sollte sich nicht viel verändert haben. Hailey, Schatz, was liegt dir wirklich auf dem Herzen?"
„Mom.., woher kennst du-?"
„Sag mir was los ist", fordert sie mich sanft auf.
„Ich.. ich habe keine Ahnung Mom. Einerseits ist es die Sache mit Jayden, andererseits..", gebe ich seufzend nach. „Ich weiß nicht was mit mir los ist. Seit Parker ihn mir vorgestellt hat ist es komisch zwischen uns. Jedes Mal, wenn ich mit ihm zusammen bin, sage ich Sachen zu ihm die ich sonst für mich behalte."
„Liebes, das ist in Ordnung. Es ist nicht ideal, aber ihr habt euch mehrere Jahre nicht gesehen. Ich denke du musst zu ihm erst wieder eine Verbindung und Vertrauen aufbauen. Bei Parker war es doch ähnlich." Gedankenverloren spiele ich an meinen Händen herum und denke über die Worte meiner Mutter nach.

„Danke." Meine Stimme ist leise, doch die Worte aufrichtig.
„Immer mein Schatz. Du musst mir nur eine Nachricht schreiben und ich komm zu dir." Ein leichtes Lächeln schleicht sich auf meine Lippen. Auch wenn wir einander nicht sehen können, weiß ich das uns beiden dieses Gespräch viel bedeutet.
„Danke Mom. Es tut mir wahnsinnig leid, aber ich muss jetzt auflegen."
„Okay. Ich ruf dich demnächst nochmal an. Ich habe dich lieb, pass auf dich auf."
„Du auch auf dich." Ich packe mein Handy zurück in die Tasche und setze meinen Weg zu den Wohnheimen fort. Mittlerweile ist auf dem Campus mehr los als an dem Tag, an dem ich ankam. Ich lasse meinen Blick über die anderen Studenten wandern und das Lächeln auf meinen Lippen wird breiter. Die Worte, die mein Bruder zu mir gesagt hat, bevor ich abgereist bin, kommen mir wieder in den Sinn.

Genieße es, solange es geht. Sammle Erinnerungen und denk nicht zu viel über Sachen nach die du nicht ändern kannst.  
Erst jetzt wird mir die wahre Bedeutung seiner Worte bewusst und mit einem Mal tut sich unbemerkt das gleiche Loch wie vor ein paar Jahren auf. Es existiert erneut, aber ich nehme es nicht richtig wahr, zu fokussiert bin ich auf den ersten Teil der Worte meines Bruders.

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⏰ Letzte Aktualisierung: a day ago ⏰

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