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Es war eine Nacht, wie sie nur selten vorkommt – der Mond stand voll am Himmel, doch eine dicke Wolkendecke verhinderte, dass sein Licht die Erde erreichte. In dem kleinen Dorf am Rande des Schwarzen Waldes herrschte eine unheimliche Stille. Die Bewohner sprachen nur selten über den Wald, und wenn sie es taten, flüsterten sie. Jeder wusste, dass es dort etwas Dunkles gab, etwas, das nicht von dieser Welt war. Doch niemand wagte es, den Wald zu betreten – zumindest bis an diesem Abend.

Lena war die Tochter des Dorfältesten und hatte schon immer eine starke Verbindung zur Natur. Sie liebte es, durch die Wälder zu streifen, die Tiere zu beobachten und die Pflanzen zu sammeln, die sie für ihre Heiltränke brauchte. Doch es gab eine Grenze, die sie nie überschritten hatte: den Schwarzen Wald. Ihre Großmutter hatte sie oft gewarnt: "Betritt den Wald nicht, Lena. Es gibt Dinge dort, die nicht für uns bestimmt sind." Doch an diesem Abend war alles anders.

Lena saß allein in ihrem Zimmer, als sie ein seltsames Gefühl überkam. Es war, als würde etwas nach ihr rufen. Eine leise Stimme in ihrem Kopf flüsterte: "Komm zu mir... Komm in den Wald." Sie schüttelte den Kopf, versuchte, den Gedanken zu vertreiben, aber das Gefühl blieb. Unruhig ging sie zum Fenster und sah hinaus. Der Schwarze Wald lag wie ein dunkles, undurchdringliches Geheimnis am Horizont, doch an diesem Abend schien er sie magisch anzuziehen.

Nach langem Zögern zog sie ihren Mantel über und schlich sich aus dem Haus. Die Luft war kühl, und ein leichter Wind wehte durch die Bäume. Ohne es wirklich zu wollen, trugen ihre Füße sie in Richtung des Waldes. Je näher sie kam, desto lauter wurde die Stimme in ihrem Kopf. "Komm näher... Ich warte auf dich."

Als sie den Waldrand erreichte, hielt sie einen Moment inne. Es war, als würde die Zeit stehen bleiben. Die Bäume vor ihr wirkten höher und bedrohlicher, als sie sie jemals gesehen hatte. Doch anstatt umzukehren, machte sie den ersten Schritt in den Wald hinein. Sofort spürte sie, wie die Luft schwerer wurde, als würde der Wald selbst atmen.

Sie ging tiefer in den Wald hinein, und mit jedem Schritt fühlte sie sich, als würde sie in eine andere Welt eintauchen. Der Boden war feucht, und das Laub unter ihren Füßen schien zu knistern, als würde es sie vor etwas warnen. Plötzlich hörte sie ein Geräusch – ein leises, unheilvolles Flüstern, das von allen Seiten zu kommen schien. Sie blieb stehen, ihr Herz pochte laut in ihrer Brust.

"Wer ist da?", rief sie, ihre Stimme zitterte vor Angst.

Das Flüstern verstummte, und für einen Moment war alles still. Doch dann tauchte vor ihr, zwischen den dichten Bäumen, eine Gestalt auf. Es war ein Mann, gekleidet in einen langen, schwarzen Umhang, sein Gesicht von einer tiefen Kapuze verdeckt. Lena konnte seine Augen nicht sehen, aber sie spürte seinen Blick auf sich.

"Was machst du hier, Kind?", fragte er mit tiefer, rauer Stimme. "Dies ist kein Ort für Sterbliche."

Lena wollte antworten, doch die Worte blieben ihr im Hals stecken. Etwas an dem Mann machte ihr Angst, doch gleichzeitig fühlte sie sich seltsam zu ihm hingezogen. "Ich... ich weiß nicht", brachte sie schließlich hervor. "Etwas hat mich hierher gerufen."

Der Mann trat einen Schritt näher, und Lena konnte das leise Knirschen seiner Stiefel auf dem Waldboden hören. "Der Wald hat dich gerufen", sagte er leise. "Er wählt nicht zufällig."

"Was meinst du damit?", fragte Lena und trat einen Schritt zurück. "Warum bin ich hier?"

Der Mann schwieg für einen Moment, bevor er antwortete: "Es gibt einen alten Fluch, der auf diesem Wald lastet. Seit Jahrhunderten sucht er nach jemandem, der ihn brechen kann. Du bist die Auserwählte."

Lena spürte, wie sich eine kalte Hand um ihr Herz legte. "Was für ein Fluch?", fragte sie, obwohl sie die Antwort fürchtete.

"Vor langer Zeit lebte hier eine mächtige Hexe", erklärte der Mann. "Sie herrschte über den Wald und alle Geschöpfe, die darin lebten. Doch sie wurde verraten und verfluchte den Wald mit ihrem letzten Atemzug. Seitdem wandelt ihre Seele hier umher, gefangen zwischen den Welten. Der Wald ruft nach jemandem, der den Fluch brechen kann, doch das ist gefährlich. Bisher hat es niemand überlebt."

Lena schauderte bei diesen Worten. Sie hatte nie an solche Geschichten geglaubt, doch jetzt, in der Dunkelheit des Waldes, fühlte sich alles realer an als je zuvor. "Und was muss ich tun?", fragte sie zögernd.

Der Mann hob eine Hand und deutete auf eine Lichtung, die in der Ferne durch die Bäume schimmerte. "Dort", sagte er. "Auf dieser Lichtung steht ein alter Baum, älter als die Zeit selbst. Du musst den Baum berühren und ein uraltes Ritual vollziehen, um die Hexe zu befreien. Doch sei gewarnt – die Hexe wird versuchen, dich aufzuhalten. Sie wird alles tun, um ihren Fluch aufrechtzuerhalten."

Lena spürte, wie ihr Mut sie fast verließ, doch tief in ihrem Inneren wusste sie, dass sie keine Wahl hatte. Der Wald hatte sie gerufen, und sie musste den Fluch brechen, um sich und das Dorf zu retten. "Ich werde es tun", sagte sie leise, obwohl ihre Stimme vor Angst bebte.

Der Mann nickte und drehte sich um. "Dann folge mir", sagte er, und Lena tat, wie ihr geheißen. Gemeinsam gingen sie durch den dichten Wald, bis sie die Lichtung erreichten. Der Baum in der Mitte war gigantisch, seine Äste ragten wie knorrige Arme in den Himmel, und die Luft um ihn herum schien förmlich zu vibrieren vor dunkler Magie.

Lena trat vorsichtig auf die Lichtung, während der Mann im Schatten stehen blieb. "Dies ist der Moment", sagte er leise. "Wenn du den Baum berührst, gibt es kein Zurück mehr."

Lena zögerte, doch dann streckte sie ihre Hand aus und legte sie vorsichtig auf die raue Rinde des Baumes. Sofort spürte sie, wie eine Welle von Energie durch ihren Körper strömte. Es war, als würde der Wald selbst zum Leben erwachen, als würde sie Teil von etwas Größerem werden.

Doch in dem Moment, als sie den Baum berührte, ertönte ein lauter, durchdringender Schrei. Die Luft um sie herum wurde kalt, und eine dunkle Gestalt erhob sich aus dem Boden. Es war die Hexe, ihre Augen glühten vor Hass, ihre knochigen Hände streckten sich nach Lena aus.

"Du wirst mich nicht brechen!", fauchte die Hexe, während sie auf Lena zu schnellte.

Doch Lena wich nicht zurück. Sie hatte keine Angst mehr. Mit aller Kraft, die sie in sich spürte, sprach sie die Worte, die der Mann ihr beigebracht hatte. Es war ein uraltes Ritual, in einer Sprache, die sie nicht verstand, doch die Worte kamen ihr wie selbstverständlich über die Lippen.

Die Hexe schrie, als ihre Gestalt sich auflöste und der Fluch gebrochen wurde. Der Wald erstrahlte in einem neuen Licht, die dunklen Wolken verzogen sich, und die Magie, die den Wald jahrhundertelang gefangen gehalten hatte, verschwand.

Lena sank erschöpft zu Boden, doch in ihrem Herzen wusste sie, dass sie es geschafft hatte. Der Fluch war gebrochen, und der Schwarze Wald war frei.

Darkens The battle of light and and shadow Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt