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Die nächsten Tage vergingen in einer seltsamen Mischung aus Vorahnung und Stille. Lena fühlte, dass etwas in der Luft lag, ein Flüstern, das von den Tiefen des Waldes zu ihr getragen wurde. Der Mann im schwarzen Umhang war verschwunden, aber seine Worte hallten in ihrem Kopf wider: „Es ist noch nicht vorbei."

Eines Nachts, als der Mond hoch am Himmel stand und sein silbernes Licht die Bäume in einem geisterhaften Schein erstrahlen ließ, erwachte Lena von einem seltsamen Geräusch. Es war ein leises Pochen, wie das Schlagen eines gigantischen Herzens. Sie sprang auf und spähte aus dem Fenster ihrer kleinen Hütte, die sie am Rande des Waldes bewohnte.

Der Klang schien aus der Tiefe des Waldes zu kommen, genau von der Lichtung, wo sie den Fluch gebrochen hatte. Ohne zu zögern, zog Lena ihren Umhang an, griff nach einer kleinen Laterne und machte sich auf den Weg.

Der Wald war still – zu still. Kein Wind wehte, keine Tiere raschelten, und der einzige Laut war das dumpfe Schlagen, das in regelmäßigen Abständen durch die Stille brach. Es fühlte sich an, als würde der Wald selbst leben und nach ihr rufen.

Als Lena die Lichtung erreichte, sah sie ihn: den alten Baum, den sie damals berührt hatte. Doch diesmal war etwas anders. Das Herz des Baumes pulsierte mit einem schwachen, bläulichen Licht, und der Boden darunter schien zu vibrieren.

„Was... passiert hier?" Lena flüsterte die Worte mehr zu sich selbst, doch eine Stimme antwortete ihr.

„Es erwacht."

Lena fuhr herum und sah den Mann im schwarzen Umhang am Rande der Lichtung stehen. Sein Gesicht war noch immer im Schatten verborgen, aber diesmal wirkte er nicht bedrohlich – eher nachdenklich.

„Was meinst du? Was erwacht?", fragte Lena mit zitternder Stimme, während sie langsam auf den Baum zuging.

„Der Wächter des Waldes war nicht die wahre Macht, Lena. Er war nur ein Torwächter, der den Zugang zu etwas Größerem bewachte." Der Mann trat näher und deutete auf den Baum. „Unter diesem Baum liegt etwas verborgen, das seit Jahrhunderten ruht. Etwas, das nie wieder ans Licht kommen sollte."

Lena fühlte, wie sich ihr Herz zusammenzog. „Was genau liegt da unten?"

„Etwas, das älter ist als die Menschen. Älter als die Wächter und älter als die Magie, die diesen Wald durchzieht. Es ist eine uralte Kraft, die weder gut noch böse ist – aber sie ist mächtig. Zu mächtig für einen einzelnen Menschen."

Lena trat noch näher an den Baum heran, das blaue Licht wurde heller, und sie spürte eine Energie, die sie fast umwarf. „Was soll ich tun?"

Der Mann schwieg einen Moment, dann sagte er leise: „Du hast eine Wahl, Lena. Du kannst das Erwachen stoppen – aber es wird ein großes Opfer von dir fordern. Oder du lässt es geschehen und riskierst, dass diese Kraft die Welt verändert, wie wir sie kennen."

Lena fühlte, wie ihr Magen sich zusammenzog. „Ein Opfer? Welches Opfer?"

Der Mann sah sie an, sein Gesicht war jetzt klarer zu erkennen. Es war ein altes, von Narben durchzogenes Gesicht, das viel Schmerz und Leid erlebt hatte. „Dein Leben, Lena. Du bist die Hüterin des Waldes geworden. Nur du kannst diese Macht binden, bevor sie erwacht. Aber dafür musst du einen Teil von dir aufgeben. Für immer."

Lena starrte auf den Baum. Die Erde unter ihm schien sich zu bewegen, als ob etwas darunter schlief, das kurz davor war, aufzuwachen. Sie dachte an die Zeit, die sie im Wald verbracht hatte, an die Jahre, in denen sie gelernt hatte, die Magie zu verstehen und den Wald zu schützen. Sie hatte immer gewusst, dass ihre Aufgabe eine große Verantwortung war – aber sie hatte nie gedacht, dass es so enden würde.

„Und wenn ich es nicht tue?", fragte sie leise.

Der Mann trat näher, und seine Stimme wurde leiser. „Dann wird die Welt, wie wir sie kennen, nicht mehr existieren. Die Macht, die hier ruht, wird alles verändern. Es gibt keine Garantie, dass es zum Guten ist."

Lena stand still, ihr Blick auf den pulsierenden Baum gerichtet. Sie wusste, was sie tun musste, auch wenn ihr Herz sich dagegen sträubte. Es gab keinen anderen Weg.

„Wie... wie mache ich es?", fragte sie schließlich, ihre Stimme kaum mehr als ein Flüstern.

Der Mann zog ein kleines, silbernes Messer aus seinem Umhang und hielt es ihr hin. „Es muss freiwillig geschehen. Du musst dein Blut dem Baum opfern. Dein Leben wird in die Wurzeln fließen und die Macht binden, bevor sie vollständig erwacht."

Lena zögerte, nahm dann jedoch das Messer mit zitternden Händen. Sie trat an den Baum heran, spürte die Wärme, die von ihm ausging, und hob das Messer an ihre Hand. Einen Moment lang hielt sie inne, bevor sie einen tiefen Atemzug nahm und die Klinge über ihre Hand zog.

Das Blut tropfte auf die Wurzeln des Baumes, und sofort begann der Boden unter ihr zu zittern. Das blaue Licht wurde heller, und eine seltsame, uralte Melodie erfüllte die Luft. Lena spürte, wie ihre Energie aus ihr herausgesogen wurde, als der Baum ihr Leben in sich aufnahm.

Mit jedem Tropfen Blut, der den Boden berührte, wurde das Zittern des Baumes schwächer, und das Pochen in der Erde verstummte langsam. Lena fühlte, wie ihre Knie nachgaben, und sie sank zu Boden. Ihre Sicht wurde verschwommen, doch sie konnte sehen, wie das blaue Licht verblasste und der Baum wieder ruhig wurde.

Der Mann im schwarzen Umhang trat näher und kniete sich neben sie. „Du hast es geschafft", sagte er leise. „Der Wald ist sicher."

Lena lächelte schwach. „Ich... wusste, dass es so enden würde. Aber es ist in Ordnung."

Mit diesen Worten schloss sie die Augen, und eine tiefe Stille legte sich über den Wald.

Doch obwohl Lena's Leben langsam erlosch, blieb ein Teil von ihr für immer im Wald. Sie war nicht verschwunden, sondern wurde eins mit der Magie des Waldes, mit seinen Wurzeln und Bäumen. Der Schwarze Wald hatte eine neue Hüterin gefunden – und sie würde ihn für alle Ewigkeit schützen.

Darkens The battle of light and and shadow Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt