Kapitel 3

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Kapitel 3: Die Umarmung der Schatten

Miriam stand wie erstarrt da, das Küchenmesser zitternd in ihrer Hand, unfähig, den Blick von dem Schattenhund und ihrer Tochter abzuwenden. Das Grinsen des Tieres schien breiter zu werden, und Claras Augen leuchteten in einem tiefen, bösartigen Rot. Das Haus schien sich um sie herum zu verändern – die Wände schienen näher zu rücken, die Schatten tanzten unnatürlich, als ob sie zum Leben erwachten.

„Clara..." flüsterte Miriam, in der verzweifelten Hoffnung, noch einen Teil ihrer Tochter erreichen zu können. „Bitte, komm zurück zu mir."

Doch Clara lächelte nur. „Mama, ich bin schon lange nicht mehr die, die du kanntest. Es ist so schön hier, in der Dunkelheit. Du wirst es verstehen, wenn du zu uns kommst." Ihr Kopf neigte sich, während ihre Stimme immer kälter wurde. „Wir werden wieder eine Familie sein."

Der Schattenhund machte einen Schritt nach vorne, sein tiefes Knurren erfüllte den Raum, und Miriam spürte, wie sich die Luft um sie herum verdichtete. Die Dunkelheit war nicht einfach nur Abwesenheit von Licht – sie war lebendig, eine bösartige Präsenz, die sie langsam verschluckte. Es fühlte sich an, als würde der Raum sie ersticken.

In einem letzten Akt des Überlebensinstinkts drehte sich Miriam um und rannte zur Hintertür. Sie warf die Tür auf und stürmte in die Nacht hinaus, das Messer immer noch fest in ihrer Hand. Der Wald hinter ihrem Haus lag im Nebel, die knorrigen Bäume ragten wie scharfe Klauen in den Himmel. Die Kälte kroch in ihre Knochen, doch sie rannte weiter, ohne zurückzusehen.

Hinter ihr ertönte das unheimliche Heulen des Schattenhundes, gefolgt von Claras Stimme, die sie rief: „Mama, du kannst nicht entkommen. Du gehörst uns."

Miriam stolperte durch den Wald, ihre Schritte waren ungleichmäßig, als ob die Dunkelheit ihre Beine lähmte. Sie wusste, dass sie keine Chance hatte, wenn sie stehenblieb. Die Bestie und ihre Tochter würden sie finden. Und doch spürte sie eine unheilvolle Präsenz, die sie verfolgte, immer dichter werdend, wie eine kalte, schwarze Wolke, die sie umschloss.

Endlich erreichte sie den Fluss. Das rauschende Wasser spiegelte den silbrigen Mond wider, und für einen Moment fühlte sich Miriam in Sicherheit. Doch in den Schatten am Ufer erkannte sie plötzlich eine Bewegung – der Schattenhund tauchte lautlos aus der Dunkelheit auf, gefolgt von Clara, die jetzt ganz anders aussah. Ihre Haut war blass und schien fast durchsichtig, als hätte die Dunkelheit sie vollständig eingenommen. Die roten Augen leuchteten wie brennende Kohlen in der Nacht.

„Es gibt keinen Ort, an dem du sicher bist, Mama", flüsterte Clara. „Die Dunkelheit gehört jetzt zu uns. Sie gehört auch zu dir."

Miriam wich zurück, ihre Füße schlitterten über den nassen Boden am Ufer. Der Fluss rauschte bedrohlich hinter ihr, doch sie hatte keine Wahl. Die Bestie hatte ihre Tochter genommen und würde sie auch holen. Sie fühlte, wie der Nebel um sie herum dichter wurde, wie die Kälte ihre Haut durchdrang. Der Schattenhund kam näher, seine Augen fixierten sie gierig.

„Ich werde nicht zulassen, dass du mich holst!" schrie Miriam, ihre Stimme von der Angst zerrissen. Sie hob das Messer und schwang es verzweifelt in die Luft, doch es schien keine Wirkung zu haben. Der Schattenhund wich zurück, als ob er nur darauf wartete, dass sie ihren letzten Schritt tat.

Und dann, in einem Moment völliger Verzweiflung, sah Miriam nur noch einen Ausweg. Sie drehte sich zum Fluss um, das Wasser schäumte wild, und sie wusste, dass das, was sie vorhatte, vielleicht ihre einzige Chance war. „Ich lasse mich nicht von euch verschlingen", rief sie und sprang in die tosenden Fluten.

Das kalte Wasser riss sie sofort mit sich. Der Fluss war reißend, stärker als sie erwartet hatte, und für einen Moment spürte sie die Strömung, die sie nach unten zog. Doch etwas war anders. Sie hörte keine Schreie mehr, keine unheimlichen Flüstern in ihrem Kopf. Die Dunkelheit, die sie verfolgte, schien sich zurückzuziehen, als ob das Wasser eine unsichtbare Grenze bildete.

Aber dann sah sie es. Unter der Oberfläche des Wassers bewegte sich etwas Großes, Dunkles. Es war kein Schattenhund und keine Bestie. Es war eine uralte Kraft, etwas, das viel älter war als die Legenden über den Fluch, der das Dorf heimsuchte. Es war die Quelle der Dunkelheit selbst, die im tiefen Grund des Flusses lauerte.

Plötzlich spürte Miriam, wie kalte, unsichtbare Hände nach ihren Beinen griffen und sie tiefer ins Wasser zogen. Sie versuchte zu schreien, doch das Wasser füllte ihre Lungen. Das Letzte, was sie sah, bevor die Dunkelheit sie verschlang, war das grinsende Gesicht ihrer Tochter, das über der Wasseroberfläche erschien.

Clara stand am Ufer, während der Schattenhund an ihrer Seite saß. Ihr Grinsen war jetzt voller Triumph, und ihre Augen glühten stärker als je zuvor. „Es gibt keinen Ort, an dem du dich verstecken kannst, Mama", flüsterte sie, und dann war alles still.

Die Fluten beruhigten sich, und das Dorf schlief weiter, unwissend über das, was in der Dunkelheit des Waldes und des Flusses vor sich ging. Doch die Legende lebte weiter, und mit jeder Nacht schien die Dunkelheit ein Stück weiter ins Dorf vorzudringen. Die Bestie, die einst in einem Spiegel gefangen war, hatte einen neuen Wirt gefunden – und sie würde nicht aufhören, bis die Dunkelheit alles verschlungen hatte.

Ende des Kapitels 3.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Oct 04 ⏰

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