Zuhause angekommen verschwand mein Bruder direkt im Bad, da er dann nochmal losmusste und ich nutzte die Zeit, um in Ruhe über seine Worte nachzudenken. In meinem Zimmer, das mehr Dachschrägen als gerade Wände hatte, angekommen schmiss ich mich auf mein großes Bett vor dem Fenster. Draußen leuchtete unser Hausberg in der Sonne und in mir keimte der Wunsch auf, diesen Moment festzuhalten. Ich machte ein Foto, um es irgendwann in Ruhe abzeichnen zu können und sog einmal tief die Luft ein. Ich war erschöpft und traurig, dass mein Bruder so unglücklich war. Es stimmte, dass ich niemals auch nur im Entferntesten daran gedacht habe den Hof zu übernehmen. Unser Vater und auch unsere Mutter haben Daniel niemals auch nur angeboten auf die Uni zu gehen. Wobei ich und Daniel nicht das Beste Verhältnis zu unserer Mutter hatten. Sie war oft so unerreichbar und distanziert uns und dem Leben hier im Dorf gegenüber, dass sie manchmal schon etwas wunderlich wirkte. Meine Mutter Linn war ein Großstadtkind, Berlin ihre Heimat. Im Herzen war sie eine Schauspielerin und lebte als femme-fatale in Berlin. Der einzigen Person, der sie nicht abweisend gegenüber war, war mein Vater. Linn war ihm aus Berlin hierher in die Alpen gefolgt, und obwohl sie ihm gegenüber versicherte wie glücklich sie hier war, sah man meinem Vater an, dass er wusste, dass sie manchmal lieber wo anders wäre. Unser Vater hatte dafür gesorgt, dass Daniel und ich liebevoll und behütet aufgewachsen waren. Er hatte uns gepflegt, wenn wir krank waren, die Schultasche getragen und dafür gesorgt, dass wir uns in den Bergen auskannten und auf unzählige Klettertouren mitgenommen. Linn war zwar auch physisch da für uns, aber mental konnte ich die Distanz zu ihr nie ganz überwinden.
Ich seufzte und stand auf. Bevor Emma und Nils kamen, musste ich noch duschen und die Lasagne vorbereiten. Daniel war schon weg, also hatte ich das Bad für mich. Ich drehte die Wassertemperatur so heiß, bis ich es fast nicht mehr aushielt und stellte mich unter den Strahl. Beim Abtrocknen betrachtete ich mich im Spiegel. Ich war hübsch, doch für meinen Geschmack waren meine Oberschenkel eine Spur zu dick, meine Beine eine Spur zu kurz und meine grünen Augen eine Spur zu groß. Ich blickte mir aus dem Spiegel entgegen, meine braunen Locken standen in alle Richtungen ab und ich versuchte sie mit etwas Wasser zu bändigen. Sie waren das einzige an mir, das ich wirklich schön fand. Ich griff nach einer schwarzen Stoffhose und einem beigen Strickpullover und machte mich dann daran meine Wimpern zu tuschen. Als ich fertig war, fühlte ich mich wohl in meiner Haut und freute mich auf den Abend mit meinen besten Freunden.
Es klingelte an der Tür. „Das muss Nils sein!", rief ich aus der Küche und mein Vater machte die Tür auf. „Hallo Nils, schön dich zu sehen! Das letzte Mal ist ja schon eine Weile her.", sagte mein Vater und umarmte ihn, „Komm nach hinten in die Küche, die Caro holt grad die Lasagne aus dem Ofen!" Nils betrat die Küche und stand etwas unschlüssig in der Tür. „Ich lass euch dann mal in Ruhe." Meinte mein Vater und lächelte uns an, bevor er hinaus ging. Ich wischte meine Hände an einem Küchentuch ab und umarmte Nils kurz, bevor ich ihn fragend ansah. „Alles okay?" Nils schaute mich an und antwortete: „Ja, ich habe nur kein gutes Gefühl dabei, Emma zu belügen. Am liebsten würde ich ihr erzählen, was an deinem Geburtstag zwischen uns passiert ist." Mir wurde heiß. „Das haben wir doch schon beschlossen! Es war eine einmalige Sache, wir sind doch Freunde. Wir haben beide zugestimmt, dass sich nichts zwischen uns verändern wird!", sagte ich entschieden, darauf bedacht nicht zu laut zu reden.
Die Erinnerungen an meine Geburtstagsparty drängten sich nach vorne. Nils und ich waren am Heimweg aus der Stadt, als wir beschlossen, dass es für uns an der Zeit war unser erstes Mal zu erleben. Wir hatten beide noch wenige bis keine Erfahrungen auf diesem Gebiet, die über Küsse hinausgingen und waren immer etwas neidisch auf Emma gewesen, die schon mit fünfzehn ihren ersten Freund hatte. Wir scherzten oft, dass wir irgendwann heiraten, falls wir mit vierzig Jahren noch immer alleine waren. Und so führte in dieser Nacht eines zum anderen. Die Geburtstagseuphorie gemischt mit Alkohol und der Tatsache, dass Nils und ich seit einigen Monaten so viel Zeit zu zweit verbracht hatten, brachten uns dazu die Grenzen unserer Freundschaft etwas zu verschieben. Als wir bei mir am Bett saßen, schworen wir uns, dass niemand jemals davon erfahren wird. Schon gar nicht Emma. Schließlich küsste Nils mich. Das Ganze dauerte nicht lange und als wir danach im Bett lagen, war ich froh, diesen Akt endlich hinter mich gebracht zu haben. Ich war mir sicher, dass Nils der absolut richtige dafür gewesen ist, wollte dieses Ereignis aber auf gar keinen Fall wiederholen. Dafür war mir unsere Freundschaft zu viel wert.
Und jetzt stand Nils hier in der Küche und war sichtlich verunsichert. Er schaute mich mit seinen warmen Augen an und seufzte „Fandest du es denn nicht schön, Caro?"
„Äh", stotterte ich perplex, „Ja doch, sehr. Aber du bist mein bester Freund und ich dachte wir waren uns einig, dass diese Nacht nur ein Mittel zum Zweck war?" „Ja, das haben wir so gesagt. Aber das war, bevor wir miteinander geschlafen haben. Ich kann das nicht einfach vergessen Caro! Und ich finde auch, dass wir Emma davon erzählen solltest, schließlich hatten wir noch nie Geheimnisse voreinander!", "Ich weiß nicht ob ich unsere Freundschaft, so wie sie vorher war, weiterführen kann Caro!" fügte Nils leise hinzu, "Ich würde die Nacht gerne wiederholen!"
Hey ihr!
Was glaubt ihr, wie wird sich Caro entscheiden? Wird die Freundschaft zu Nils diese Nacht überstehen?
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Avalanches: Von Liebe und Lawinen
RomanceLawinengefahr ist nichts Neues für Carola, ist sie doch in den Alpen aufgewachsen. Aber in ihrem letzten Schuljahr rollt die Lawine des Lebens auf Carola zu: Verliebt in ihren neuen Sportlehrer muss sie gegen die Schneemassen aus Geheimnissen und Lü...