𝘝𝘐𝘌𝘙 | hamburger nächte

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skagerrakufer, kiel-pries-friedrichsort || volksparkstadion, hamburg-bahrenfeld

»one minute you're there, been waiting for you all night long.«



   »Hast du alles, Emil?« fragte ich ihn am Spätnachmittag seines Geburtstags. Die Sonne stand schon tief am Himmel und kitzelte mich an der Nase, während ich an der Haustür meines Elternhauses auf meinen Bruder wartete.
   »Ja-ha. Sofort. Warte kurz,« brüllte er aus dem oberen Stockwerk und kam wenig später aus dem Badezimmer die Treppe herunter gesprintet.
   »Ist dir das warm genug?« fragte ich und beäugte seine Jackenwahl kritisch, doch er nickte nur, fest von seiner Auswahl überzeugt. Einwände wären zwecklos bei einem pubertierenden 12 jährigen Jungen, weshalb ich ein letztes Mal meinen Kopf ins Wohnzimmer steckte und dem Rest der Familie mitteilte, dass wir uns auf den Weg nach Hamburg machen würden. 

   »Darf ich Musik anmachen?« fragte Emil, als ich das Auto auf die Autobahn in Richtung Hamburg steuerte.
   »Wenn du so lieb fragst, dann immer,« meinte ich grinsend und beobachtete aus dem Augenwinkel, wie er sein Handy rauskramte und konzentriert nach einer Playlist suchte. Florian hatte meine Frage, warum er wissen wollte, wo wir sitzen, unbeantwortet gelassen. Stattdessen schrieb er lange um den heißen Brei herum und meinte, ich würde es früher oder später doch herausfinden. Wirklich beruhigt hat mich diese Aussage nicht, aber mehr war aus ihm nicht herauszubekommen.
   »Was denkst du, wie geht das Spiel aus?« fragte ich ihn eine Weile später, als wir kurz vor Hamburg in einem Stau zum Stehen kamen.
   »Ich denke ein 2:1?« meinte er nachdenklich. »Mit Toren von Musiala und Wirtz, das fänd ich richtig cool, glaube ich,« fuhr er fort. Grinsend nickte ich und atmete erleichtert aus, als sich der Stau langsam löste und wir die Ausfahrt zum Stadion nehmen konnten.
   »Ich sag, dass das ein 3:0 wird,« meinte ich, als wir gerade auf das Stadion zu steuerten.
   »Was denkst du, wer die Tore macht?« fragte er interessiert. Normalerweise war mein pubertierender Bruder alles andere als gesprächig, aber mit Fußball bekam man ihn immer zum Reden.
   »Hm, gute Frage,« murmelte ich, als ich mich hinten an der Schlange zum Parkplatz anstellte. »Ich glaube Doppelpack von Undav und Andrich,« grübelte ich und zeigte dem Kontrolleur mein Parkticket, als wir an der Reihe waren.

   Nachdem wir uns mit Getränken und jeweils einer Brezel eingedeckt hatten, suchten wir unsere Plätze im Volksparkstadion auf. Emil staunte nicht schlecht, als er sich auf seinem Platz neben mir niederließ. Wir saßen quasi auf Höhe der Eckfahne, jedoch in einer der oberen Reihen im Unterrang.
   »Woah,« meinte er und bewunderte die perfekte Sicht, die sich uns aufs Spielfeld bot.
   »Bist du zufrieden? Hab ich die richtigen Plätze ausgesucht?« fragte ich grinsend, während ich mir ein Stück meiner Brezel in den Mund schob.
   »Und wie!« grinste er und nickte wild. »Die sind fast so gut, wie unsere Stammplätze im Holstein-Stadion.« Damit meinte er unseren bevorzugten Stehplatzort im Block M der Osttribüne, der auch direkt hinter der rechten Eckfahne war. An dem Platz stand man nämlich gefühlt selbst auf dem Platz, so nah war man am Spielgeschehen dran. Sowieso war das Holstein-Stadion klein, aber fein. Und immer für ein bisschen Fußballromantik zu haben, wenn die Sonne im Winter bei Nachmittagsspielen schon in der zweiten Halbzeit unterging und den Himmel in wunderschöne Pink- und Orangetöne tauchte. Auch wenn viele sich über die Größe unseres Stadions lustig machten, liebte ich es dafür umso mehr – Diese Familiarität und Nähe zur Mannschaft bekam man nicht überall.

   »Schau mal, Lia. Die laufen voll nah an uns vorbei,« sagte Emil begeistert und zeigte auf die Spieler, die nach dem Aufwärmen nun an der Seitenlinie entlang zurück zu den Kabinen liefen. Schnell schaute ich von meinem Handy hoch, wo ich gerade noch in ein Gespräch mit Carla vertieft war und folgte seinem ausgestreckten Arm. Ich ließ meinen Blick über das Spielfeld schweifen, bis mein Blick an einem Paar grünen Augen hängen blieb, die zu Bleachella höchstpersönlich gehörten. Zeitgleich breitete sich sowohl auf meinen als auch auf seinen Lippen ein Grinsen aus, als sich unsere Blicke für einen kurzen Moment trafen. Der Ausdruck, der sich auf sein Gesicht legte, sah aus der Distanz fast aus, wie einer der pure Erleichterung widerspiegelte. Als hätte er ernsthaft gedacht, dass ich nicht hier sein würde und ihn wieder hab abblitzen lassen. So schnell wie dieser Blickaustausch gekommen war, so schnell war er auch wieder vorbei, als Florian von einem der Holländer in Beschlag genommen wurde, der sehr offensichtlich seine gesamte Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Kopfschüttelnd beobachtete ich, wie besagter Holländer, den Emil mittlerweile als Jeremie Frimpong identifizieren konnte, Florian spaßeshalber in den Schwitzkasten nahm und die zwei schließlich blödelnd in den Katakomben verschwanden. Carla hatte ihm im Sommer, als sie bei mir war, die ganze Leverkusen-Freundschaft-Lore gesteckt und seitdem war er mehr im Thema drinnen als ich. Während wir gespannt auf den Anpfiff warteten, erzählte Emil mir weiter von dem, was Carla ihm alles erzählt hatte. Wenn man die zwei zu lange alleine ließ, könnten sie sowohl deinen persönlichen Downfall, als auch das Ende deines größten Erzfeindes plotten.

𝘛𝘏𝘌 𝘓𝘜𝘊𝘒𝘠 𝘖𝘕𝘌 | Florian WirtzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt