tiessenkai, kiel-holtenau.
»you're the risk, i'm gonna take it.«
Mayday? Mayday! Geplagt von einer unruhigen Nacht vor lauter Aufregung wegen einer Sache, die ich mir selbst eingebrockt hatte, tigerte ich verzweifelt durch mein Wohnzimmer. Es war zum verrückt werden. Warum war ich noch mal auf diese unsagbar grandiose Idee gekommen und was hatte mich überhaupt dazu geritten? Kopfschüttelnd starrte ich auf den Nord-Ostsee-Kanal aus meinem Wohnzimmerfenster. Selbst das Wetter musste sich natürlich zum unpassendsten Zeitpunkt überhaupt mal wieder von der schlechtesten Seite zeigen. Der Wind fegte nur so über die Wasseroberfläche her, dass das Wasser wild gegen die Kaimauer am Ende der Schleuse peitschte. Willkommen im echten Norden. Mein Blick fiel auf mein iPad, das ich mittlerweile achtlos am Esstisch zurückgelassen hatte. Lernen war jetzt sowieso sinnlos, mit meinem Nervenkostüm.
Mit zusammengezogenen Augen beobachtete ich, wie der Sekundenzeiger meiner Wanduhr sich langsam im Kreis bewegte und den Stundenzeiger immer näher zur vereinbarten Uhrzeit drängte. Seufzend griff ich nach meinem Handy, begab mich auf wackeligen Beinen zur Garderobe, schlüpfte in meine Schuhe und Jacke, bevor ich mir meine Mütze tief ins Gesicht und über die Ohren zog. Gerade als ich die Tür hinter mir ins Schloss zog, erreichte mich die Nachricht, auf die ich die ganze Zeit eigentlich wartete. 'Ich glaube, wir sind gleich da.' prangte auf meinem Sperrbildschirm. Gleich konnte dummerweise nur alles bedeuten. Kanalhochbrücke? Schon in Holtenau? Oder doch erst von der Autobahn abgefahren? Warum konnten Männer nie genaue Angaben machen?! Kopfschüttelnd nahm ich zwei Stufen auf einmal auf dem Weg nach unten und rümpfte wenig erfreut die Nase, als mir der Wind noch in der Haustür zum Mehrfamilienhaus um die Ohren pfiff. Schnell zog ich den Reißverschluss meiner Jacke bis zum Anschlag zu, ehe ich mich auf den Weg zum Kanalpackhaus machte.
Mit jedem Schritt durch den ersten richtigen Sturm dieses Herbsts wuchsen die Zweifel in mir, warum ich das hier überhaupt machte. Normalerweise opferte ich meine kostbare Zeit, vor allem an einem Sonntag, nicht so einfach. Und schon gar nicht für männliche Lebewesen. Ich verlangsamte meine Schritte, bis ich schließlich am Parkplatz vor dem alten Kanalpackhaus zum Stehen kam. Nur vereinzelt standen Autos am hinteren Ende vor einer der Gastwirtschaften – selbst hier trieb sich keine Menschenseele herum. Der Wind pfiff Lautstark durch die Baumkronen und ließ den letzten Dreimaster, der noch vor Anker am Tiessenkai lag, knirschend gegen die Kaimauer kratzen. Mit zusammengezogenen Augen sah ich in den Himmel, der so aussah, als würde er sich jeden Moment mit all seiner Last über der Kieler Förde ergießen wollen.Unruhig und als elendiger Versuch, mich warm zu halten, wippte ich vom einen Bein aufs andere, bis ich schließlich einen dunklen SUV entdeckte, der sich einsam und alleine die Straße herunter zum Tiessenkai schlängelte. Je näher der Wagen kam, desto klarer war das DFB Logo und das des Mobilitätsservices zu erkennen. Wie viel Bestechung das wohl gebraucht hat.
Mit verschränkten Armen beobachtete ich, wie das Auto ein paar Meter vor mir zum Stehen kam und sich eine der hinteren Türen öffnete. Florian kletterte aus dem Auto und bedankte sich bei seinem Fahrer, während er sich seine Jacke überzog. Zögerlich kam ich ihm ein paar Schritte entgegen und spürte wie meine Nerven verrückt spielten und mein Herz mir beinahe in die Hose rutschte. Ein Teil von mir würde am liebsten in der Zeit zurückgehen und die Nachricht erst gar nicht abschicken – der andere, der sich diese verrückte Idee überhaupt erst in den Kopf gesetzt hatte, trieb mich trotzdem voran. Es war komisch, ihn hier – in meiner Welt – zu sehen. Er wirkte nicht wirklich fehl am Platz, jedoch ganz anders als in der gewohnten Stadionumgebung. Florian kam mit großen, selbstbewussten Schritten auf mich zu und noch bevor irgendein Laut meine Lippen verlassen konnte, überrumpelte er mich mit einer Umarmung. Er tat es mit einer Selbstverständlichkeit, die mir beinahe den Boden unter den Füßen wegriss.
»Wie wär's mit einem 'Hallo'?« murmelte ich gegen seine Jacke, konnte das Grinsen jedoch nicht unterdrücken, das sich schmerzhaft auf mein Gesicht zwang. Es fühlte sich viel zu normal und richtig für meinen Geschmack an – Wo hatte ich mich nur schon wieder reingeritten?
»Überbewertet,« meinte er, als er mich wieder losließ. Zweifelnd legte ich den Kopf schief und zog eine Augenbraue in die Höhe.
»Ah ja,« schmunzelte ich. »Wie war das mit den Manieren?« schob ich schelmisch grinsend hinterher und wich im nächsten Moment seiner Hand aus, die mir am liebsten in den Oberarm gezwickt hätte.
»Als ob die Umarmung nicht viel besser ist, als ein simples 'Hallo',« entgegnete er mit einem breiten, selbstbewussten Grinsen.
»Um ehrlich zu sein, frage ich mich gerade, wie ich es überhaupt in Erwägung ziehen konnte, dich hier abzuholen,« scherzte ich, als ich den ersten Regentropfen auf meiner Nase spürte und beobachtete, wie der Wagen vom Mobilitätsservice wieder vom Parkplatz rollte.
»Tu nicht so, eigentlich machst du das liebend gern,« grinste er und zog sich den Reißverschluss seiner Jacke bis unters Kinn.
»Du musst es ja am besten wissen,« grinste ich und stopfte meine Hände tief in meine Jackentaschen. »Eigentlich opfere ich meine Freizeit nicht so einfach,« murmelte ich.
»Siehst du?« grinste er in seiner Annahme bestätigt.
»Freu dich nicht zu früh, bis jetzt bist du nur ein privilegierter Ausnahmefall,« antwortete ich mit einem schiefen Grinsen. »Glaub mir, das hier ist nicht der Standard,« schob ich hinterher, als wir uns langsam in Bewegung setzte.
»Ich werd alles dafür tun, dass ich das Privileg behalten darf,« meinte er mit einem erschreckend ernsten Unterton, der mich schlucken ließ.
»Viel Spaß dabei, und viel Glück, mich heute bei Laune zu halten, dann sehen wir weiter,« murmelte ich, während wir am Tiessenkai entlang schlenderten. Florian lachte leise und passte sich an mein Tempo an, während ich beobachtete, wie ein Containerschiff der größeren Sorte die Schleuse des Kanals verließ und sich nun direkt an unseren Augen vorbei in die Ostsee begab.
»Du unterschätzt meine Fähigkeiten,« meinte er und zog sein Handy aus der Hosentasche, um ein Foto von der Förde zu machen, die meiner Meinung nach bei diesem Wetter, wo alles grau in grau schien und die Wolken so tief hingen, das selbst der Fernsehturm hinter diesen verschwand, nun wirklich nicht viel her machte.
»Ach ja?« grinste ich. »Bis jetzt hast du es in der kurzen Zeit sehr oft geschafft, mir ziemlich auf die Nerven zu gehen.«
»Aber das war doch aus Versehen,« jammerte er. »Und außerdem hab ich das doch gestern schon wieder gut gemacht,« fügte er brummend hinzu.
»Meinst du? Pluspunkte gab's dafür auf jeden Fall, aber meinst du nicht, dass ich mich ein bisschen vernachlässigt fühle?« witzelte ich.
»Führst du etwa Strichliste?«
»Ne, ich kenn nur meinen Selbstwert ziemlich gut,« grinste ich zufrieden und blieb auf Höhe des letzten verbliebenen Dreimasters stehen.
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𝘛𝘏𝘌 𝘓𝘜𝘊𝘒𝘠 𝘖𝘕𝘌 | Florian Wirtz
FanfictionEine Auswärtsfahrt. Eine Begegnung. 500km Distanz. Als Talia ihre beste Freundin Carla im Rheinland besucht, rechnet sie nicht damit, mit einer one-sided Rivalität eines gewissen Fußballspielers konfrontiert zu werden. »𝘵𝘩𝘦𝘺'𝘭𝘭 𝘵𝘦𝘭𝘭 𝘺𝘰𝘶...