Kapitel 1: Schnitzel mit Sahne

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...und Ketchup. Das wird es heute zu Mittag geben, und ich kann jetzt schon sagen, dass es die dümmste Idee aller dümmsten Ideen war, mich dem Kochen zu verweigern. Denn meine Mutter alias der Putzfreak schlechthin alias die Psychologin Dr. Gisela Reiber hielt es gestern für eine wunderbare Idee, das "Sozialverhalten" unserer Familie "zu stärken", indem wir uns "bestimmte Aufgaben" teilen. Generell muss ich "alles", "was" "meine" "Mutter" "sagt", in Anführungszeichen setzen, weil sie eben meine Mutter ist. Auf jeden Fall hat sie meinen hochmotivierten Gesichtsausdruck bei ihrem Vorschlag gesehen und gemeint, ihre Tochter mit der Verantwortung, ein anständiges Gericht zu kochen und die Küche dabei nicht abzufackeln, zu belasten. Super. Natürlich habe ich protestiert und protestiert und mein kleiner Bruder Mike, der im Moment dringend Geld für eine neue PlayStation braucht, hat sich begeistert und hilfsbereit für mich eingesetzt. Dass ich nicht lache. Der ist in Wirklichkeit zutiefst deprimiert, weil er nicht seine tägliche Dosis 10 Stunden GTA 6 bekommt, seitdem er dumm genug war, das Gerät mutwillig zu zerstören, indem er draufgetrampelt ist. Ja, so hohl muss man erst einmal sein. Vermutlich strebt er aber auch einfach das neuere Model der PlayStation an, während ich mit meinem Steinzeit-Handy leben muss. Idiot.
Jedenfalls kocht er für heute und ich werde Gott danken, wenn ich diese Mahlzeit überlebe. Dass mein Bruder etwas mit Herd oder Ofen anfängt, kann ich vergessen, es sei denn, es stehen verkohlte Schnitzel auf dem Menü. Für ein Dessert fehlt mir einfach die Hoffnung und von Beilagen will ich gar nicht erst anfangen. Natürlich könnte ich auch einfach nichts essen, jedoch ist meine Mutter dabei und die ist ohnehin schon hellauf begeistert, dass ihr Sohn freiwillig etwas anderes tut als zocken. Es wäre also mein sicherer Tod, in den Hungerstreik zu gehen.
Tja, dumm gelaufen, Maya.

"Schatz, da bist du ja endlich!" Meine Mutter strahlt mich an.
"Ja, so wie jeden Tag, es sei denn, mein Bus explodiert und ich muss aufgrund dessen zu Fuß von der Schule heim und falle, unbekümmert meines Weges, in ein Erdloch."
Mum ignoriert den Kommentar.
"Wie war die Schule?"
Kotz. Frag mich alles, nur das nicht.
"Gut."
"Irgendwelche besonderen Vorkommnisse?"
Ja. Mein Freund Tom hat vor vier Wochen mit mir Schluss gemacht, was ich aber besser nicht erzähle, weil du ja nicht mal weißt, dass ich einen Freund hatte. Und es auch nicht wissen solltest, denn deine Erziehung erlaubt keinen Freund wenn man noch nicht volljährig und "bereit für das Leben" ist. Auf jeden Fall ist Schulschlampe Bonnie mit ihm zusammen und kann es nicht lassen, mit ihrem abgemagerten Größe-30-Flacharsch herumzutänzeln und mit ihren acrylkrallenverziehrten Fingern zu schnippen, weil Tom ja immer sofort angerannt kommt.
"Nein."
"Gut, dann essen wir jetzt."
Mum begleitet mich feierlich zum Tisch, als ob ich noch nie in unserer Wohnung gewesen wäre. Zunächst werfe ich meine Umhängetasche mit dem Schulzeug in eine Ecke, strecke mich und setze mich schließlich an meinen gewohnten Platz am Esstisch. Mike kommt aus seinem Zimmer.
"Hey."
Er setzt sich neben mich.
"Hey."
"Wie war Schule?"
Gott, hat die Menschheit denn keine abwechslungsreichere Gesprächsthemen auf Lager?!
"Gut, bei dir?"
"Hatten heute früher aus."
"So, das sieht aber wirklich sehr gut aus. Frischer, gesunder Salat. Mhmm, lecker, Schatz."
Mum gesellt sich zu uns und stellt eine Schüssel Salat in die Mitte des Tisches. Naja, "Salat".
"Ich hatte Probleme mit dem Kochen der Eier und so, aber naja."
Er hat also Eier gekocht. Respekt, dass er den Herd benutzt hat ohne ihn zu zerstören. Wäre ich jetzt in einer Kochshow mit meinem Bruder als Koch, würde ich klatschen.
"Ach was, das sieht sehr lecker aus. Mhmm, und die Tomaten und Gurken erst! Man sieht, dass du dir Mühe gegeben hast."
Aha. Ich weiß nun also, dass die weißen Dinger da Eier sind und der Matsch wohl Tomaten. Ich glaube, mehr Informationen über die Zutaten brauche ich nicht. Zumindest weiß ich nicht, ob ich es schaffe, eine Portion davon zu verdrücken, wenn ich weiß, was das gelbe gliberige Zeug auf dem anderen gelben gliberigen Zeug da ist. Ich beginne mich ernsthaft zu fragen, wann das Gebräu da anfängt zu brodeln.
"Herzlichen Glückwunsch Mike. Du hast in dieser Salatschüssel einen neuen Lebensraum für nicht existente Sumpfinsekten geschaffen."
Verdammt. Das hätte ich nicht sagen sollen. Warum muss ich auch immer so fies sein, wenn ich schlechte Laune habe? Alles wegen dieser Bonnie. Wie sehr ich mir gerade wünsche, ihr den neuen Lebensraum ins Gesicht zu klatschen. Hmmm. Schöner Gedanke. Auf jeden Fall schaut Mike geknickt in die Runde und ich glaube, er meint das auch so. Meine Mum greift ein.
"Maya Reiber, du hast kein Recht, deinen Bruder derart zu demütigen. Er gibt sich Mühe und möchte seinen Beitrag für diese Familie leisten."
Und dann kommt noch ein Vortrag über Geschwisterliebe, Familie und die Wichtigkeit des Zusammenhalts in dieser. Blablabla. Schließlich fangen wir an zu essen und ich muss mir tatsächlich zwei Dinge eingestehen: Erstens, dass Mikes Pampe nicht so miserabel schmeckt wie erwartet, und zweitens, dass es eigentlich ganz schön ist, eine Mutter zu haben, die ihren Sohn so überzeugend motiviert, obwohl ihr deutlich anzusehen ist, wie bemüht sie das Essen herunterwürgt.

Und plötzlich war ich totWo Geschichten leben. Entdecke jetzt