Unnötig zu erwähnen, wie todmüde ich am nächsten Morgen bin. Nicht einmal drei Kaffee und ein Red Bull können mich annähernd in einen Zustand der Wachheit bringen. Meine roten Haare hängen glatt und traurig herunter, meine Augen sind leer und ich sehe aus, als könnte ich jeden Moment spontan in Ohnmacht fallen.
"Guten Morgen, Zombie", zieht mich Mike auf. Ich schaue ihn böse an und er tut, als ob er sich fürchten würde. Natürlich lacht er sich im nächsten Moment halb tot. Wie kann man nur so früh am Morgen so gute Laune haben? Ich setze mich genervt an den Esstisch und nehme mir einen Apfel aus dem Obstkorb.
"Wohl nicht so gut geschlafen, was?"
Ach ne, auch schon gemerkt.
"Doch, Mike, wunderbar."
Er zieht die Augenbrauen hoch. Das kann er verdammt gut.
"Zumindest hätte ich sicher wunderbar geschlafen, wenn ich überhaupt geschlafen hätte."
"Man merkt's. Das war nämlich ein ganz fieser Wiederholungsfehler. Muss ich mir etwa in Zukunft jemand anderes suchen, der meine Deutschaufsätze schreibt?"
Das ist so eine Sache zwischen uns. Ich schreibe seine Deutschaufsätze, er macht meine Mathe- und Physikhausaufgaben.
Mit einem letzten genervten Blick und einem Apfel in der Hand verschwinde ich zur Haustür hinaus auf den Weg zur Schule. Ich weiß jetzt schon, dass der Tag wundervoll werden wird."Huhuuu!"
Ich drehe mich um. Liz.
"Na, wie geht's? Brav für Chemie gelernt?"
Ich schaue sie müde an.
"Ich sitze an der Posterwand. Ich muss nichts lernen."
"Oh, da hat wohl jemand nicht sehr gut geschlafen. Lass dich von Bonnie nicht so unterkriegen, okay?"
Und dann umarmt sie mich. Ja, ich weiß schon, warum Liz und ich so gute Freunde sind. Sie weiß, wann es mir mies geht und meistens auch warum.Wir sind ein Stück bis zum Schulhof gegangen und mittlerweile dort angekommen. Heute ist das Wetter kühl, eigentlich zu kühl, wenn man bedenkt, dass es Mitte April schon wärmer werden sollte. Immerhin ist es windstill. Ich hasse Wind, er ruiniert mir grundsätzlich die Frisur. Wobei man heute, was meine Haare angeht, nicht wirklich von einer Frisur sprechen kann.
Wir gehen zu den Spinden und warten auf Kat. Vorsichtig schaue ich mich um. Gut. Noch kein Tom, keine Bonnie.
Dieses Miststück. Tom macht mit mir Schluss, um mit einer oberflächlichen, hohlen Nuss zusammen zu kommen, die ihn wiederum betrügt. Nicht dass mir Tom leidtut, nur ärgert es mich, dass der Rest der hohlen Erbsenzähler hier an der Schule zu unterbelichtet ist, um zu kapieren, dass das Mädchen, dass alle für so wahnsinnig toll halten, in Wirklichkeit eine blöde Kuh höchster Stufe ist. Und wegen so einer verlassen zu werden, das ist die dicke, fette, verfaulte Kirsche auf dem Sahnehäubchen der Ungerechtigkeit."Hallo", schnauft Kat und reißt mich aus meinen Gedanken.
"Sorry für die Verspätung."
Ich schaue auf die Uhr. Tatsächlich ist es schon 5 Minuten vor Unterrichtsbeginn. Viel zu wenig Zeit, um sich auf die bevorstehende Doppelstunde Latein seelisch vorzubereiten.Schon nach den ersten zehn Minuten wünsche ich mir, ich wäre aus dem Fenster gesprungen. Das habe ich mir nämlich überlegt, zu tun, als ich das Klassenzimmer betreten habe. Habe es aber dann doch sein gelassen. Latein ist nämlich fürchtervoll. Frau Kahre alias der lateintexte-spuckende Drache alias unsere reizende Lateinlehrerin hat nämlich das Talent, die komplette Klasse mit nur ein paar Worten spontan ins Koma fallen zu lassen. Ätzend.
Nach Geographie (oder auch "Warum ist die Erde rund?") und Geschichte (Fakten, Fakten, Fakten, schnarch) ist Chemie an der Reihe und Herr Steppmeier wagt es tatsächlich, einen unangekündigten Test zu schreiben. Entspannt gehe ich zu meinem Platz und freue mich. Ja, eine eins in Chemie schadet mir wirklich nicht. Siegessicher lehne ich mich auf meinem Stuhl zurück und freue mich schon auf den (vermutlich einzigen) Höhepunkt meines Tages, als dieser durch sieben Worte vernichtet wird.
"So, die Plakate hängen wir aber ab."
Ich schlucke.
"Du hast ja gelernt, Maya, oder? Den Test habe ich immerhin ausreichend angedeutet."
Er zwinkert mir zu und ich muss mich beherrschen, nicht komplett durchzudrehen. Denn wenn ich jetzt eine fünf oder sechs schreibe, falle ich in Chemie durch. Das Jahr dauert zwar noch, aber Steppmeier schreibt grundsätzlich nur einen Test im Halbjahr und macht so gut wie keine mündlichen Noten. Scheiße.Wir haben 20 Minuten Zeit. Die ersten zehn vergeude ich schon einmal damit, mir das Atmen wieder beizubringen, und dann konzentriere ich mich voll auf die Aufgaben. In meinem Kopf schwirren die Worte Katalysator, Anode und Elektrolyse, nur leider habe ich absolut keine Ahnung, was sie bedeuten.
Warum muss Herr Steppmeier ausgerechnet bei diesem Test klug genug sein, um die Plakate abzuhängen?! Ich habe das seltsame Bedürfnis, jetzt aufzustehen und im Kreis zu laufen.
Ahhhhhhhh!!
Ok. Ganz ruhig.
Noch fünf Minuten. Fünf. Minuten. 300 Sekunden. 299 Sekunden.
Ok, denk nach.
296 Sekunden.
Ich beginne, irgendwas hinzukritzeln, in der Hoffnung, gut im Raten zu sein. Bin ich gut im Raten? Ich weiß es nicht. Ich gehe jetzt einfach mal davon aus.
"Noch eine Minute!"
Ok. Wird schon.
In meiner Not skizziere ich noch ein paar Atome und ihre Elektronenabgabe bei schlag mich tot, dann heißt es "Noch zehn Sekunden" und ich lege den Stift zur Seite. Idiot. Welcher Lehrer kündigt schon die letzten zehn Sekunden der Arbeitszeit an? Ich beschließe, Herrn Steppmeier spontan zu hassen.Natürlich trösten mich Liz und Kat später, jede auf ihre eigene Art. Kat beschimpft Herrn Steppmeier nonstop als Vollpfosten und sadistischen Lehrertrottel, Liz tröstet mich mit versprochener Nachhilfe und dass das Leben weitergehen würde. Und gerade als ich einigermaßen getröstet bin, kommt der nächste Schock.
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Und plötzlich war ich tot
HumorMayas Leben könnte nicht besser laufen: Vater in Entzugsklinik, kleiner Bruder mit IQ im Minusbereich und die neue Freundin des verfluchten Ex, alias Schulschlampe Bonnie, die natürlich auf Platz 1 der Attraktivitätsskala des Ribeus-Gymnasiums sein...