Part 1

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Aus Uenoyamas Sicht:

Ich öffnete langsam meine Augen und musste einige Male blinzeln bis ich sie offenhalten konnte. Mein Blick wanderte zu dem großen Fenster neben dem Bett: Draußen dämmerte es lediglich, weshalb das Zimmer sich erst nach und nach mit Licht füllte. Unter einem herzhaften Gähnen drehte ich mich um. Fast völlig in seine Decke eingewickelt, lag direkt neben mir ein friedlich schlafender junger Mann, dessen rote Haare nahezu sein gesamtes Gesicht verdeckten. Ich rückte ein gutes Stück näher an ihn heran und legte einen Arm um ihn. Ich spürte wie er zaghaft seinen Kopf in meiner Brust vergrub und schloss meine Augen wieder.

Als ich sie das nächsle Mal öffnete war der Raum mit Sonne ausgefüllt und die weißen Wände verstärkten den Effekt von allen Seiten her geblendet zu werden. Mafuyu und ich hatten uns kein Stück bewegt sondern lagen immer noch dicht aneinander gekuschelt auf der Matratze unseres gemeinsamen Bettes. Vorsichtig strich ich ihm einige Haarsträhnen aus dem Gesicht als meine Augen sich an das Licht gewöhnt hatten. Auch wenn wir bereits vor in etwa drei Jahren zusammengezogen waren konnte ich mich nicht daran gewöhnen jeden Morgen neben ihm aufzuwachen. Sein süßes Gesicht, wenn er schlief, die Art wie wir einander ansahen und das Gefühl, wenn er in meinen Armen lag. Ich wollte ihn niemals loslassen. Nichts sollte ihm je wieder Schmerzen zufügen. In mir keimten Zweifel auf.

Was wenn ich ihn nicht beschützen konnte? Wenn ich ihn verletzte? Was wenn ich nicht gut genug für ihn war? In Wahrheit war es wohl die Angst, an die ich mich nicht gewöhnen konnte. Vorsichtig strich ich mit meinen Fingem über seine Schläfe und ließ sie hin zu seiner Wange gleiten. Er wirkte so unbeschwert. Ich spürte die Wärme seiner weichen Haut und die feine Bewegung seiner Muskeln. Mafuyu sah mich mit verschlafenem Blick an. Ich verlor mich in seinen großen bernsteinfarbenen Augen. Doch wie so häufig entsprang ihnen eine Trauer, die ich nicht beschreiben konnte. Sie war ständig da, wenn auch manchmal versteckt hinter den Fassaden anderer Emotionen. Am liebsten würde ich das einfach für ihn entfernen. Ich würde ihn umarmen bis sich jeglicher Kummer verflüchtigt hätte und er mich nie wieder mit diesem Blick, den ich so gut von ihm kannte, ansehen müsste. Doch in diesem einen Moment überkam es mich wie eine unsichtbare Macht und ich hatte einfach das Bedürfnis ihn zu küssen. Ich ließ meine Finger an seinen Nacken gleiten und drückte meine Lippen auf seine Stirn. Gleich darauf sah Mafuyu mich aus großen Augen heraus an als wolle er fragen: "Wofür war der denn?" Und auch wenn er keinen Ton von sich gab hatte ich das Gefühl ihm eine Antwort schuldig zu sein. "Happy Birthday" 

Wir beide legten keinen großen Wert auf unsere Geburtstage. Natürlich gratulierten wir uns aber keiner forderte oder erwartete ein Geschenk oder eine Party. Außer an unseren zwanzigsten Geburtstagen hatten wir nie etwas spezielles unternommen oder waren groß mit Freunden aus gewesen um zu feiern. Doch heute, an seinem fünfundzwanzigsten Geburtstag, hatte ich den gesamten Tag für uns und vor allem für ihn geplant.

Es dauerte noch einige Minuten bis wir gemeinsam umgezogen am Esstisch, vor jeweils einer Tasse Kaffee, saßen. "Hiiragi hat mir ne Line geschickt", murmelte ich beiläufig. "Im Zepp Haneda spielt heut' Abend ne Band. Hast du Lust? Laut Hiiragi soll'n die wirklich gut sein." Ich hob den Blick von meinem Handy und wartete auf eine Reaktion. "Okay. Warum nicht?" Mafuyu hatte den letzten Schluck seines Kaffees ausgetrunken und war gerade dabei aufzustehen als ich das schnelle Tippeln von kleinen Pfoten auf dem Parkettboden hörte. Im nächsten Moment flitzte Kedama - Mafuyus weißer Zwergspitz - schon um die Ecke und hüpfte vor ihm auf und ab. Er sah aus wie ein Schneeball auf Stummelbeinen und irgendwie waren die beiden sich ziemlich ännlich. Beide hatten manchmal diesen Blick durch den sie so ahnungslos und unschuldig aussahen. Und auch wenn man es sich schwer vorstellen konnte, wenn man ihn nur ein bisschen kannte: Mafuyu konnte genauso aufgeregt und voller Energie sein wie dieser kleine Hund. Aber vermutlich lernte man diese, fast kindliche, Seite an ihm erst kennen, wenn man sein halbes Leben und seinen Alltag mit ihm teilte. Bissig waren beide fast nie. Meiner Meinung nach war Mafuyu sogar fast verschmuster als Kedama. Was vielleicht auch daran lag, dass Mafuyu sich weniger hin und her wälzte, wenn man neben ihm lag. "Ritsuka?" Ich sah blitzschnell auf und Mafuyu blickte mich fragend an. "Tut mir leid. Was hast du gesagt?" Ich war viel zu sehr in meinen Gedanken versunken gewesen. "Möchtest du heute wieder mit Tama und mir raus?" "Oh, ja... klar. Warte, ich hol' die Leine." Mit diesen Worten kippte ich auch meinen restlichen Kaffee in mich rein und stand auf. Als ich dieses doofe Ding endlich gefunden hatte dauerte es nicht mehr lange bis wir startklar vor der Wohnungstüre standen. Ich schloss ab und steckte den Schlüssel in die Tasche meiner graublauen Winterjacke. Scheiße war das kalt!In Windeseile vergrub ich meine Hände in den Jackentaschen. Mafuyu und Kedama guckten mich aus großen Augen heraus an. "Mir geht's gut. Lass uns einfach geh'n"

Die Sonne hatte sich hinter einer Wolkendecke versteckt und es schien als wollte sie auch erst einmal nicht mehr hervorkommen. Uns kamen kaum andere Menschen entgegen und falls wir doch mal jemandem begegneten war diese Person meist auch ein Opfer der Pflichten eines Hundebesitzers. Wir waren nun in einem weniger zugebauten Teil der Stadt angelangt. Im nächsten Augenblick blieb Mafuyu, der direkt rechts neben mir lief, einfach stehen. Kedama war davon anscheinend genau so überrascht wie ich, denn er versuchte sich gegen die Leine durchzusetzen. Ohne Erfolg. Ich sah rüber zu Mafuyu, doch der starrte geradewegs in den gräulichen Himmel. Es vergingen ein paar Sekunden bis er etwas sagte. "Es schneit." Tatsächlich. Kaum hatte er diesen Satz beendet landete ein kleiner Zusammenschluss aus ein paar Schneeflocken auf meiner Jacke. Kurz darauf noch einer. Es war ungewöhnlich, dass es Ende Februar hier noch schneite. Ich blickte erneut zu Mafuyu, der unverändert in den Himmel sah. Er wirkte so gedankenverloren. Ich nahm meine rechte Hand aus meiner Tasche und griff vorsichtig nach seiner Linken. Seine Finger waren überraschend warm. Endlich drehte er seinen Kopf in meine Richtung. Auf seinem Gesicht erschien das umwerfendste Lächeln. Es war wie damals bei unserem Ausflug nach Yokohama. Sein Lächeln war wie an jenem Tag, an dem er mir mit drei Worten alles gegeben und kurzzeitig den Verstand geraubt hatte. Vielleicht würde ich diesen Augenblick irgendwann vergessen. Doch manche Momente waren für die Ewigkeit. Und jeden weiteren davon wolte ich mit Mafuyu schaffen. "Lass uns langsam zurück gehen", schlug ich vor und ließ meinen Blick zu Kedama wandern, der mit seinem buschigen Schwanz hin und her wedelte, während er zu uns hinauf schaute. Wir drehten um und bis wir die Wohnung erreicht hatten, hatte ich Mafuyus Hand nicht losgelassen.

Wir zogen unsere Schuhe aus und ich machte mit einem bereitliegenden Tuch Kedamas Pfoten sauber. Ein Blick auf meine Armbanduhr verriet mir, dass noch genug Zeit war bis wir uns wieder auf den Weg machen mussten. Ich ließ mich auf die Couch fallen. Aus irgendeinem Grund war mir immer noch etwas kalt. "Möchtest du einen Tee?" Ich drehte meinen Kopf zur Seite, heraus aus dem Kissen, in dem ich ihn vergraben hatte und sah Mafuyu neben dem Sofa stehen. "Nein, danke", murmelte ich und machte ein wenig Platz neben mir. Doch anstatt sich einfach neben mich zu legen beugte Mafuyu sich über mich und eine Sekunde später lagen seine Lippen auf meinen. Eine plötzliche Wärme breitete sich in meinem Körper aus. Ich richtete meinen Oberkörper auf und bewegte meine Hände zu seinem Nacken und an seinen Rücken. Vorsichtig zog ich ihn in meine Richtung und gleich darauf kniete ich über ihm auf dem Sofa. Mit meiner linken Hand stützte ich mich ab, während ich mit meiner Rechten Mafuyus Arm entlang glitt bis unsere Finger sich verschränkten. Ich spürte seine andere Hand an meinem Nacken und Hinterkopf. Mit einem sanften Druck zog er mich weiter zu sich hin. Ich konnte es nicht sehen, doch ich wusste irgendwie, dass es draußen immer noch schneite. Die Welt um uns herum verschwand und übrig blieben nur wir beide. Diese Wärme, die vom tiefsten Innersten meines Herzens ausging vertrieb jeden noch so kleinen Zweifel. Ich wollte genau hier sein. Mit Mafuyu. Mein Leben lang. Ich wollte die Musik und alles mit ihm teilen. Ich wollte derjenige sein, der die Melodie zu jedem seiner Texte schrieb. Ich trennte meinen Mund von seinem doch hielt mein Gesicht dicht über Mafuyus. Wir öffneten beide unsere Augen. Sein Blick war so unglaublich sanft. Wir mussten kein Wort sagen um zu wissen was der andere dachte. Ich gab ihm einen Kuss auf die Stirn und wir legten uns Arm in Arm nebeneinander auf die Couch. "Ich muss nachher noch zum Musikladen. Wir haben kaum noch Saiten da", flüsterte ich. "Nur noch ein bisschen", hörte ich Mafuyu wispern. Und als wolle er mich daran hindern zu gehen, rückte er noch näher an mich heran.


Melodie für die EwigkeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt