Kapitel 2

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Im Krankenhaus angekommen brachten die Krankenschwestern meine Mutter direkt in den Kreissaal.

Meine ängstlichen Blicke wanderten zu meinem Vater, der mich lächelnd in den Arm nahm und mir beteuerte, dass es nichts zu befürchten gab. Dennoch wurde ich mit meinen fünf Jahren dieses beklemmende Gefühl nicht los, diese Angst, dass etwas passieren wird. Wir warteten und warteten und irgendwann fielen mir die Augen zu und ich versank in einen tiefen, dunklen Schlaf.

Als ich ein schütteln an meinem Körper warnahm öffnete ich meine Augen und für einen kleinen Moment, dachte ich ich wäre zuhause auf der Couch eingeschlafen. Stattdessen wachte ich im Wartezimmer auf einem ziemlich unbequemen kalten Stuhl auf und sah meinen Vater vor mir knien.

Er sah mir für einen Moment ganz tief in die Augen und wendete dann sein Gesicht zur Seite um seine Tränen zu verbergen. Damals verstand ich es nicht, doch heute kann ich sagen, dass es Tränen der Freude und des Verlustes waren. Eine Mischung aus Anfang und Ende, Glück und Trauer, Willkommen und Abschied. Ich glaube, dass Tränen noch nie solch eine große Bedeutung bekommen haben. Mit meinen kleinen Händen griff ich nach seinem Gesicht, ich wollte ihn umarmen, ihn an die Hand nehmen damit wir zu Mama gehen, doch sein Blick war stur an die Wand gegenüber gerichtet.

Ich wartete ganz geduldig, wie lange wusste ich nicht, aber mein Vater machte keine Anstalten sich zu bewegen. Schließlich reichte es mir. Zuerst liefen nur ganz kleine Tränen meine Augen herunter und ich versuchte mein Schluchzen zu unterdrücken, doch als ich immer noch keine Reaktion von dem Mann neben mir sehen konnte, wurden meine Tränen zu einem Wasserfall und ich begann lauthals nach meiner Mutter zu schreien. Wie wild geworden schlug ich mit meinen Händen um mich herum, stand auf und stampfte auf dem Boden herum. Das Einzige was ich jetzt wollte, war zu meiner Mutter zu gehen. Erst jetzt kam mein Vater zu sich, er erwachte aus seiner Trance und richtete sein Blick auf meinen kleinen, vor Wut zitternden Körper, und nahm mich in den Arm.

Er sagte, es täte ihm leid. Es täte ihm alles leid, was passiert ist und dass nicht mal er davon bescheid gewusst hätte. Er sagte, dass sie beide noch so jung gewesen waren und es wieder probiert hätten, dass Gott ihnen schon ein Kind geschenkt hätte und sie noch lange, lange auf ein zweites hätten warten können. Ich verstand seine Worte nicht und sie wurden immer unverständlicher, sie gingen in seinem Schluchzen unter und irgendwann versagte seine Stimme und ich hörte nur noch das verzweifelte Wimmern eines starken Mannes, dessen Leid nicht mehr in sein Herz passte und nach draußen drang und alle zu überschwemmen drohte.

Nach einer Weile sammelte er sich und seine Stimme wieder und schaute mir in die Augen. Ich vergesse seine Worte bis heute nicht. „Deine Mutter hat uns verlassen.". Ich fragte ihn, was er mit verlassen meinte und diesmal hatte er nicht mehr den Mut mir in die Augen zu schauen. „Tod.", sagte er kurz und knapp.

Dieser Tag veränderte mein ganzes Leben. Nicht nur in der Hinsicht, dass meine Mutter gestorben und mein Bruder geboren war. Dieser Tag zeichnete mein ganzes Leben. 

Wenn das Schicksal das Leben zeichnetWo Geschichten leben. Entdecke jetzt