Kapitel 9

1.8K 118 26
                                    

Seine laute Stimme hallte durch das einsame Hausinnere. Er griff sich in sein zerzaustes Haar, saß vor der Fensterpromenade im Wohnzimmer, und der Wind von draußen fegte durch seinen Braunschopf, unter dessen Deckhaar sich noch einzelne blonde Strähnen versteckten, und erst vom Winde aufgewirbelt und sichtbar wurden. Wir waren zu zweit, ein Schwarm an Wut in seinen Körper und die Verständnislosigkeit über meinen Vater.

»Nach all den Jahren«, sagte seine, vom verschwundenen Tageslicht ins dunkle gezogene, Gestalt, »nach all diesen beschissenen Jahren kann dein Vater noch immer die Realität nicht akzeptieren?!« Er fauchte; ich hoffte er würde die Kinder nicht wecken. Es war spät am Abend, der Mond stand am Himmelszelt, er bildete einen Halbkreis.

»Hey, gib mir dafür nicht die Schuld.«, gab ich zurück. Er drehte seinen Körper zu mir, das offene Fenster neben ihm schwang hin und her. Es herrschte ein Unwetter draußen, das Laub wirbelte am Boden umher; vermischte sich miteinander.

»Ich gebe dir nicht die Schuld daran, Stel.« Die Tiefe seiner Stimme beruhigte mich. Sie war warm. Seine Stimme war immer warm und doch konnte sie so kalt werden. Aber nun, in diesem Moment, war sie warm und umhüllte mich mit Wohlsein.

»Du kannst ihn nicht ändern. Er ist ein Sturkopf und kann schwer verzeihen.«, sagte ich, »Du bist auch ein Sturkopf.«

»Bin ich das?«, fragte er.
»Manchmal ziemlich, ja.«, sagte ich; er lachte leise.

Er trug seinen Körper zu mir herüber, verließ das offene Fenster. Groß stand er vor mir. Sein Kopf über meinem, auf mich herab geschaut. Die Hände an meinem Körper platziert; die Linke fuhr meine Seite hinauf, über meinen Arm und streichelte dann meine Wange. Direkt wurde sie hitzig, tauchte wahrscheinlich in der roten oder rosanen Farbe, die oft seinen Lippen glich, mit dem Unterschied, dass seine Lippen nunmal seine Lippen waren - voll und jahrelang anzustarren, und ohne müde draus zu werden sie zu küssen, da es immer wieder wunderschön war.
Seine Augen sahen direkt in meine, in meine Seele und das was in mir verborgen lag. Der Brustkorb hob und senkte sich, von einem dunklen T-Shirt ummantelt. Er hatte sich keine Mühe gemacht gut auszusehen, er tat es auch so, und das unbewusst.
Vielleicht würde er über mich das gleiche sagen, vielleicht auch nicht, aber falls er das tun würde, würde es mich ehren.

Wortlos küsste er mich auf meine Lippen, die unter seinen pulsierten und ebenfalls anfingen hitzig zu werden. Seine warmen Fingerspitzen wanderten zu meinem Nacken, den er hielt, und sein Daumen vorsichtig an meinen Kiefer gedrückt. Ich fühlte mich wie eine schöne und zerbrechliche Porzellanpuppe.
Nur die Geräusche unserer Münder waren zu hören, dieses Schmatzen zwischen Küssen und das Atmen, das ihnen entfloh und entwich. Seine Nase rieb gegen meine, ich lachte leise gegen seine Lippen. Meine Finger hielten sich an seinem Saum des Shirts, die an der rechten Hand lagen an seinem Hals an. Unsere Oberkörper schmiegten sich an einander. Er war mir so vertraut nahe, ich liebte es.
Seine Augen waren geschlossen, er küsste mich weiter. Innig und voller Liebe, wie er es immer und gerne tat und getan hatte. Ein lauter Donner kam uns zu Ohren, das Zischen eines Blitzes. Es brachte Ardian zum Lachen, lautlos. Ich kicherte etwas, als ich schnelle Fußschritte hörte und darauf das Herunterrennen der Treppe. Ich fuhr ihm noch über seinen Hals, an dem eine Gänsehaut entstand, küsste seine Lippen ein letztes Mal und presste dann meine aufeinander.

»Mama, Mama!«, hörte ich eine weinerliche Stimme nach mir rufen. Es war Rosie, sie eilte verwirrt und beängstigt durch den Flur.
»Mama?!«, weinte sie dann lauter, »Papa?!« Ich sah in Ardian's Augen, er in meine. Sein Gesicht lief rot an, als er >Papa< hörte. Er lächelte leicht, so wie ich es tat.

Ich drehte mich zum Flur um.
Die Tür zum Wohnzimmer wurde aufgerissen. Rosie stand da, mit ebenfalls zerzausten Haaren und diesen blauen Augen, die uns unter Tränen ansahen. Ihre blasse Haut hatte Rötungen, Tränen liefen ihre Wangen hinab. Sie stürmte auf uns zu, rannte in meine Arme und weinte gegen meine Schulter. Ich kniete, Ardian kniete sich ebenfalls hin. Er streichelte Rosie's Rücken, küsste ihren Kopf und murmelte immer wieder: »Shhh ...« um sie zu beruhigen.

Rosalie & Summer | Erkenne dein wahres Ich 3 Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt