Kapitel 6

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Kurz darauf betrat eine Krankenschwester das Zimmer. Ich kannte sie, wahrscheinlich waren wir uns gestern irgendwo in der Klinik schon einmal über den Weg gelaufen. Sie erklärte mir, dass ich die nächsten Tage im Krankenhaus bleiben und mein in Mitleidenschaft gezogenes Schienbein vorerst nicht belasten sollte. Na super! Und das während des Praktikums. Warum musste sowas immer mir passieren? Als sie sich wieder zum Gehen wandte, verlangte ich Verbandszeug und Desinfektionsmittel und begann mich um Florians verletzte Hände zu kümmern. Das war nicht gerade angenehm, wie ich aus eigener Erfahrung wusste. Ja, ich bin eben ein kleiner Schussel. Aber Florian hielt still, bewegte sich kein Stück, während der gesamten Prozedur. Schließlich sah ich auf und bemerkte, dass er seine grün-glitzernden Augen auf mich gerichtet hatte "Was schaust du so?" fragte ich. "Ach nichts... Hat dir eigentlich schon einmal jemand gesagt, wie hübsch du bist", gab er zurück. Okay... das war jetzt überraschend! Und ja, das hatte ich durchaus schon häufiger gehört. Damals von meinem arroganten Arschloch von Exfreund, mit dem ich insgesamt ganze zweieinhalb Jahre mein es Lebens verschwendet hatte, bis ich ihn vor drei Monaten beim Fremdgehen mit seiner Arbeitskollegin erwischt und aus meiner Wohnung geworfen hatte. Ich hatte mir geschworen mich nicht mehr so schnell auf irgendeinen Mann einzulassen. Aber als mir nun Florians verträumter Blick ins Auge fiel, waren die schmerzhaften Erinnerungen wie weggewischt. "Danke. Aber jetzt übertreib's bitte nicht.", antwortete ich lächelnd. "Das würde ich doch nie tun." - "Schauspieler!"

Mein Blick wanderte zum Fenster, durch das ich das Glitzern der Sonne auf den frisch gefallenen Schnee erkennen konnte. Florian war meinem Blick gefolgt. "Fährst du Ski?", fragte er auf ein Mal. "Richtig gerne sogar! Hatte nur schon ewig nicht mehr die Gelegenheit dazu. Und mit meinem Fuß kann ich das dieses Jahr sowieso wieder vergessen!", antwortete ich. Florian nickte. Aus verschiedensten Interviews, die ich mir gestern in der Mittagspause angesehen hatte, wusste ich, dass er ein begnadeter Skifahrer war.  Schließlich meinte er: " Aber raus gehen können wir ja trotzdem. Komm, ich schieb dich!" Er nickte zu einem Rollstuhl, der in der Zimmerecke stand, hinüber. Ich musste lachen. Der Gedanke daran, dass Florian David Fitz mich in einem Rollstuhl durch die Münchner Winterwelt schieben würde, kam mir so verrückt, aber gleichzeitig auch so wunderschön vor, dass ich einwilligte. In eine dicke Decke gewickelt, humpelte ich die wenigen Meter von meinem Bett bis hin zum Rollstuhl.

Nachdem wir die Klinik verlassen hatten, schob Florian mich über den Parkplatz, bis hin zu einem angrenzenden Park, der unter einer dicken Schneedecke versteckt lag. Links und rechts wölbten sich die Äste der Bäume unter dem Gewicht des frisch gefallenen Weiß'. Florian schien langsam anzufangen, Spaß zu haben. Er fing an zu laufen, sodass mir die kühle Winterluft nur so ins Gesicht peitschte. In mir stieg plötzlich ein sonderbares Gefühl der Freiheit auf, wie ich es schon seit gefühlten Ewigkeiten nicht mehr gespürt hatte. Ich wünschte mir, er würde nie damit aufhören. lachend stürmten wir zusammen den winterlichen Pfad entlang. Wir beide... zusammen bis ans Ende der Welt. Letztendlich wurde Florian aber langsamer und seinem Keuchen zu entnehmen, lag es nicht daran, dass er meinen wilden Fantasien nicht zustimmte. Schwer atmend schob er mich in Richtung einer Bank, von der jemand bereits den Neuschnee beseitigt hatte, und setzte sich. Ich sah ihn an und seine Augen leuchteten. "Danke!", lächelte ich. Aber statt einer Antwort beugte er sich langsam zu mir vor und nahm meinem Kopf in seine Hände. Auf einmal berührten sich unsere Lippen, nur leicht, ganz sachte. Doch jede noch so kleine Berührung seinerseits löste in mir ein Feuerwerk aus: Ein Feuerwerk der Gefühle, dass sich bis in jede noch so kleine Zelle meines Körpers ausbreitete. Ich erwiderte den Kuss. Trotz der Minusgrade, die hier draußen herrschten, fror ich in keiner Hinsicht. Eine unglaubliche Wärme erfüllte mich. Einen so schönen Kuss hatte ich noch nie erlebt. Es stimmte einfach alles. Alles war perfekt.

Florian und LeonieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt