0| Prolog

57 5 7
                                    

Welten wie unsere nehmen
Welten wie unsere streben
Welten wie unsere leben
Gesellschaften wie unsere überleben
~

Trist und kahl liegt die Straße vor mir. Eine leere Plastikflasche da. Eine alte Zeitung dort. Die Wolkendecke ist dunkelgrau und scheint einen fast zu erdrücken. Ein Wunder, dass es noch nicht regnet. Seit Tagen sieht es nach Regen aus. Aber es ist noch kein einziger Tropfen vom Himmel gefallen.
Die alte Zeitung wird von dem kühlen Winterwind aufgeschlagen.

Ich beobachte zwei Frauen, die von Haus zu Haus ziehen. Eingehüllt in dicke Wintermäntel. Der eine schwarz der andere weinrot. Hohe warme Stiefel an den Füßen. Wollmützen auf den Köpfen. Handschuhe an den Händen. Aus ihren Mündern kommen klein Wölkchen als sie die Luft ausatmen. Ja, der Winter ist gekommen und somit auch die Zeit in der die Frauen rumlaufen als würden Temperaturen von Minus fünfzig Grad herrschen. Mein Gott wir haben für Anfang Dezember warme 5 Grad. Sie sollen aufhören gleich so zu übertreiben.

Sie stehen vor einem Haus. Die Tür öffnet sich und ein Mann sieht die zwei Frauen lächelnd an. Aus der Ferne sieht es aus als würde er rote Wangen haben. Aber ich kann mich auch täuschen.

„Guten Tag. Wir sind von der örtlichen Hilfsgruppe und wollten sie fragen, ob sie breit wären ein wenig Geld für Kinder in Rumänien zu spenden."

Wie typisch.

Der Mann zögert kurz. Fragt sie dann etwas, was ich durch die Entfernung aber nicht höre.

Die Frau mit der lauten Stimme antwortet daraufhin:„ Aber natürlich! Sie können auch gerne auf unserer Homepage die Bilder anschauen. Dort sehen sie dann auch gleich, wie glücklich die Kinder sind."

Aha.

Der Mann nickt. Und verschwindet dann kurz und kommt kurz darauf mit seiner Geldbörse wieder. Zieht einen Schein heraus und reicht es der kleinen Dame. Die mit dem lautem Organ bedankt sich laut, schüttelt seine Hand und meinte, dass die Kinder sich sehr freuen werden.

Ich seufze.

Es ist schlimm mitansehen zu müssen, wie sich dieses Szenario jedes Jahr um die selbe Zeit wiederholt. Jedes verdammte Jahr. Jedes Jahr um die Weihnachtszeit. Wie die Leute dann noch einmal versuchen eine gute Tat zu vollbringen. Als seien durch ein fünf Euroschein alle Sorgen vergessen. Als würde es einen Unterschied machen, die Kinder einen Tag im Jahr glücklich zu machen. Möglicherweise habe ich kein Verständnis dafür. Möglicherweise halten mich deswegen viele für egoistisch. Aber seien wir doch mal ehrlich. Die Kinder haben vielleicht an einem Tag ein paar schöne Stunden. Aber macht es das wirklich aus? Wenn man sein Leben auf der Straße verbringt jeden Tag um das Überleben kämpft und dann an einen Tag ein paar Stunden gezeigt bekommt, wie schön das Leben eigentlich sein könnte. Wenn man direkt vor die Nase gebunden bekommt, was man alles verpasst. Sag mir bitte jemand, ist es diese eine Stunde wert? Ist dieser eine Tag es wert. Ein Tag an dem sich die Kinder wie etwas besonderes fühlen und am nächsten Tag wieder in die harte Realität zurück kehren und vielleicht nur noch mehr um das Leben trauern welches sie vielleicht gerne hätten.

Es ist nicht so als würde ich es den Kindern nicht gönnen. Nein, ich gönne es ihnen von ganzem Herzen. Aber ich verstehe denn Sinn dieser Aktion nicht. Denn so viel ich mitbekommen habe, werden von dem zusammengekommenen Geld Schoko-Nikoläuse gekauft. Das und jede Menge Kuscheltiere.
Wieso sorgt man nicht dafür, dass etwas gescheites dabei heraus kommt. Etwas was vielleicht auch mehr Leuten helfen würde.

Aber der eigentliche Grund der mich sauer macht ist der, dass die Leute das Geld geben um sich selbst besser zu fühlen. Um sich auf die Schulter klopfen zu können und sagen zu können, dass sie etwas dazu beigetragen haben, dass es anderen Kindern für einen kurzen Augenblick besser geht. Die Wahrheit aber sperren sie aus. Was ist mit uns? Was ist mit den ganzen Obdachlosen, die in der selben Stadt wie diese Menschen leben und um ihr überleben kämpfen? Wieso helfen sie uns nicht?

Sie helfen in einem anderen Land sind aber nicht in der Lage in ihrer eigenen Stadt zu helfen.

Sie versperren die Wahrheit vor ihrer Nase. Sie gehen mit starren Blicken an uns vorbei. Auf keinen Fall anschauen! Er könnte ja ein Krimineller sein, der nur unser Geld will. Sie weinen um ihre Liebe. Sie weinen um ihre kleinen Problem. Aber wissen nicht zu schätzen was sie haben.

Sie haben ihr Leben! Sie haben genug Geld um sich ein Dach über dem Kopf zu leisten. Sie haben genug Geld um sich Essen zu kaufen. Sie haben genug Geld um zu verschwenden.

Alles was ich habe sind die Klamotten, welche ich seid einem Jahr nicht gewechselt habe. Eine geklaute Decke und mich selbst. Mehr habe ich nicht.

Wie oft schon habe ich überlegt etwas großes zu machen um ins Gefängnis zu kommen, um wenigstens ein Dach über dem Kopf zu haben. Wie oft schon habe ich mich dagegen entschieden, weil mir meine Freiheit wichtiger ist, als ein Dach über dem Kopf.

Vielleicht bin ich gegen die Aktion für Rumänien, weil ich neidisch bin. Das kann sein. Aber ist es nicht irgendwie verständlich? Würde nicht jeder in meiner Situation so denken. Es ist nun einmal so, dass wir Menschen egoistisch sind. Das sind wir von Natur aus. Und ich fühle mich auch nicht schlecht, weil ich so denke. Denn es ist nun einmal in meiner Situation so, dass man egoistisch sein muss um zu überleben. Überleben, ein Instinkt welchen wir schon seit Beginn der Zeit  hatten. Und dieser Instinkt ist das einzige was für mich noch zählt und wofür ich meine gesamte Kraft einsetzte. Für das überleben.

Das ich meine Kraft irgendwann nicht mehr für diesen Instinkt einsetzen werden würde, war mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt. Aber da kannte ich ja auch noch nicht Olivia.

FarbenweltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt