Olivia
Ich hasse den Winter! Es ist viel zu kalt, es wird viel zu früh dunkel und man nimmt alleine beim anschauen der ganzen Plätzchen, zehn Kilo zu.
Nicht mal die glitzernden Schneeflocken können das wieder gut machen. Obwohl ich zugeben muss, das die schon echt schön sind.
Es gibt da nur ein Problem: es schneit nicht! Stattdessen regnet es schon den ganzen Tag wie aus Eimern.Und jetzt stehe ich auch noch einsam und verlassen, wartend auf meine Freunde, in der Dunkelheit. Friere mir den Arsch ab und stopfe mir ekelhafte Plätzchen rein. Wie ich diese bestimmte Zeit, einmal im Monat, doch Hasse.
Ich habe überhaupt keine Lust den Film zu sehen. Eigentlich will ich einfach nur noch in mein Bett. Aber nein, ich stehe hier um zweiundzwanzig Uhr dreißig noch in einer Straße, ein paar Meter vom Kino entfernt. Und warum? Weil ein gewisser Samuel Anderson Angst vor der Dunkelheit hat und nicht alleine zum Kino gehen möchte. Und deshalb darf ich jetzt an der blöden Bushaltestelle stehen und auf ihn warten.
„Da hat wohl jemand seine Tag..." Oh nein! Auf den habe ich jetzt sicherlich keine Lust!
„Ich kann mir kaum vorstellen, dass die Plätzchen etwas ändern, außer vielleicht dein Gewicht..."„Collin", stöhne ich. Der Typ nervt mich.
„Wow, du kennst ja meinen Namen noch. Hätte ich nicht von dir erwartet, Blondi...deinen Namen hab ich aber vergessen, ach ne warte, den hast du mir gar nicht verraten." Will er jetzt etwa meinen Namen wissen? Kann er vergessen, den erfährt er nicht!
Jetzt, wo er neben mir steht, fällt mir erst auf, wie groß er eigentlich ist. Vielleicht ist er ein Vergewaltiger!!! Oh mein Gott, ich sollte weg rennen. Die Klamotten die er trägt, sind die selben wie gestern. Hat er eigentlich andere? Nein, dass kann ich mir nicht vorstellen. Wo soll er denn auch das Geld her haben?
„Gibt es was bestimmtes oder warum nervst du mich schon wieder?", ich versuche erst gar nicht ihn auf die höfliche Weise wegzuschicken. Schließlich ist er auch nicht höflich zu mir. Und er stinkt so abscheulich. Ich frage mich echt, wann er das letzte Mal geduscht hat.
„England ist ein freies Land. Ich darf hingehen wo ich will!"
„Nicht, wenn du mich belästigst!"
„Belästige ich dich denn?" Ich will gerade antworten da plappert er schon weiter:„ äh warte, ist mir egal!"
Um seinen Worten noch mehr Bedeutung zu geben, tritt er dichter an mich. Verdammt stinkt er!„Sag mal wann hast du das letzte Mal geduscht? Du stinkst widerlich!!!"
„Du hast auch nicht die besten englischen Manieren...", bemerkt er beiläufig. Mag sein das ich mich hier gerade nicht sonderlich englisch verhalte, aber - warte, warum versuche ich mich zu rechtfertigen? Ich habe ihm zuerst eine Frage gestellt, da kann ich wohl auch erstmal eine Antwort erwarten, oder nicht?
„Beantworte meine Frage, oder geh!" Nachdem ich Sam gestern ordentlich meine Meinung gesagt habe, bin ich gegangen. Ich habe gedacht, dass es dramatischer wäre und wenn ich noch auf seine Antwort gewartet hätte, hätte das ganze mein Ego gekränkt! Ach keine Ahnung. Wahrscheinlich hatte ich einfach keine Nerven mehr mich damit auch noch auseinander zusetzten. Die Sache mit meinen Eltern hat mir noch den Schlaf geraubt. Vielleicht waren es auch meine Tage, aber ich bin der festen Überzeugung, dass meine Eltern der Grund waren. Die waren auch nicht mehr zuhause, als ich heimkam. Scheint als hätten sie gecheckt, dass sie bei mir gegen eine Wand reden. Dachte ich jedenfalls. Denn heute morgen habe ich eine Nachricht von meiner Mutter bekommen, dass sie mich morgen wieder besuchen kommt und noch mal in Ruhe mit mir darüber reden will. Und genau diese Nachrichte hat mir wieder gezeigt, dass mich meine Mitmenschen nicht ernst nehmen. Und genau dieses Gefühl habe ich auch gerade bei Collin.
„Denkst du wirklich, du wirst mich so schnell wieder los? Ich weiß ja nicht mal deinen Namen..."
„Beantworte meine Frage, oder geh!"
„Du fühlst dich nicht ernst genommen, nicht wahr?" Seine Aussage könnte spöttisch oder arrogant klingen. Aber das tut sie nicht. Sie klingt irgendwie einfühlsam. Mitfühlend. Und das ist komisch. Wenn ich mich beschwert habe, dass ich mich nicht ernst genommen fühle, dann haben mich die Leute nicht verstanden. Sie haben gemeint, ich wäre doch wie jeder auch und mich nehme man wie jeden anderen auch war. Aber keiner hat je verstanden, was ich damit wirklich meine. Bis auf Collin. Und das gefällt mir nicht. Ich will kein Verständnis von einem Obdachlosen, der jede Frage von mir mit einer Gegenfrage beantwortet oder umgeht.
„Ich hab recht, nicht?", hakt er noch einmal nach. Und er öffnet gerade noch einmal den Mund, um es mir noch einmal unter die Nase zu reiben, da packt mich die Wut und schreie ihn an:„Ja verdammt! Aber davon hast du so wie so keine Ahnung! Du sitzt doch den ganzen Tag nur faul auf der Straße rum und hoffst irgendwelche Leute belästigen zu können. Also kannst du dir jetzt irgendwelche dummen Kommentare sparen, weil du hast eh keine Ahnung! Du hast keine Ahnung vom Leben in der Gesellschaft! Du hast keine Ahnung wie es ist Verantwortung zu tragen! Du hast einfach verdammt noch mal keine Ahnung!" Es tut so gut diese Worte los zu werden. Nicht weil ich ihn beleidigen möchte. Sondern weil ich sie einfach aus der Seele schreien konnte. Und es tut so unglaublich gut mal Dampf abzulassen.
„Denkst du wirklich, dass ich von alle dem keine Ahnung habe? Denkst du wirklich ich weiß nicht wie es sich anfühlt nicht ernst genommen zu werden? Ich lebe auf der Straße! Was meinst du wohl wie die Leute reden? Du bist sogar noch eine der Harmlosen. Die Leute die an mir vorbei laufen, mich keines Blickes würdigen, die nehmen mich auch nicht ernst. Die verstehen mich nicht und ich kann tun und machen was ich will, für die bin ich der Penner, der auf der Straße lebt. Also erzähl mir nicht, ich hätte keine Ahnung..."
Ich bin einen Moment still. Vielleicht waren meine Worte etwas unüberlegt. Vielleicht weiß er wirklich, wie es sich anfühlt, nicht ernst genommen zu werden. Und ich kann mir nicht vorstellen wie erniedrigend es sein muss, täglich abwertenden und eingebildete Blicke zugeworfen zu bekommen. Wie sehr es an seinem Ego kratzen muss. „Liv..."
„Was?",fragt er verwirrt. Die ganze Zeit über hat er zu Boden gesehen, während ich ihn gemustert habe. Doch jetzt sieht er mich an. Seine dunklen Haare hängen ihm ins Gesicht und seine dunkelbraunen Augen sehen mich verwirrt an.
„Meine Name. Meine Name ist Liv. Also Olivia..."
Seine Mundwinkel zucken und er beginnt zu lächeln. Ein aufrichtiges und ehrliches Lächeln. Und auch ich muss lächeln. „Schön dich kennen zu lernen, Liv." Er reicht mir die Hand. Und ich schüttle sie zögerlich.
„Ebenfalls, Collin."Und ehe die Situation peinlich werden kann, kommt auch schon Sam's Bus. Ich entziehe ihm meine Hand und sehe Richtung Bus. Sehe wie Sam von seinem Platz aufsteht.
„Also dann, Liv, man sieht sich..." Und als ich zu ihm rüber sehe, steht er schon gar nicht mehr an seinem Platz.Habe ich gerade Freundschaft mit einem Obdachlosen geschlossen?
„Hey Livy...",durch Sam's Umarmung lösen sich meine Gedanken von Collin. „Alles okay? Also wegen gestern...ich-" Normalerweise unterbricht man die Person. Aber so leicht will ich es ihm nicht machen. Er soll sehen, wie sehr mich sein Verhalten kränkt.
„Also ich...es tut mir leid..."„Lass uns zum Kino gehen!", ich gehe gar nicht auf seine Entschuldigung ein. Er kann ruhig noch ein bisschen zappeln. Aber eigentlich habe ich ihm schon längst wieder vergeben. Vielleicht ist das auch der Grund, warum ich nicht ernstgenommen werde. Weil ich einfach zu schnell nachgebe. Doch so bin ich einfach. Ich kann nicht lange auf jemanden sauer sein. Es sei denn, die Person hat etwas gemacht, was nicht zu verzeihen ist.
Ohne auf seine Reaktion zu warten, drehe ich mich von ihm und gehe Richtung Kino.
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Farbenwelt
General Fiction»Du musst etwas Farbe in deine Welt bringen.« Ein Obdachloser und eine Geschäftsfrau. Arm und reich. Zwei Geschichten die vielleicht ähnlicher sind als beide anfangs dachten.