Es war kurz vor sechs. Ich hatte gerade den vorletzten Punkt auf meiner To-Do-Liste abgehakt und war im viel zu kurzen Bademantel auf den Weg in mein Zimmer, um mir das Handy zu schnappen und Dad anzurufen.
Fünf Minuten blieben noch für das Telefonat, dann würde Paula wie immer überpünktlich auf der Matte stehen. Aber selbst fünf Minuten konnten eine lange Zeit sein.
Nach ein paar Mal tuten tauchte Dads Stimme am Ende der Leitung auf. „Leila, du bist es?". Ich klemmte das Handy zwischen mein rechtes Ohr und die Schulter und angelte mir meine Jogginghose und ein T-Shirt aus dem Kleiderschrank.
„Ja, ich bin es! Du wolltest doch, dass ich anrufe?!". Ich war ein bisschen gekränkt, weil er tatsächlich vergessen hatte, dass ich mich melden wollte.
„Ach ja, wie geht es dir, Schatz? Was macht das Studium? Läuft alles nach Plan? Und wie fühlst du dich so weit weg von uns? Wir vermissen dich sehr."
„Viel zu viele Fragen", bemerkte ich, während ich einhändig den Bademantel auszog und dann in meine Chillklamottenschlüpfte. „Aber mit wir meinst du höchstens dich und den Geist in unserem Keller. Kathi ist doch froh, wenn sie mich los ist!".
Kathi war die neue Freundin von Dad. Sie hatten sich ein paar Jahre nach Mums Tod kennengelernt, aber ich kam überhaupt nicht mit ihr klar. Ihre unmenschliche Art machte mich einfach fertig und deswegen war ich auch ziemlich froh nach der Schule von Deutschland nach Florida zu ziehen. Seitdem hatte ich nur noch mit Dad Kontakt.
„Ja, mir geht es gut", sagte ich dann, weil er meine Bemerkung einfach ignorierte. „Hier ist alles in Ordnung, ich fühle mich echt wohl in Miami." „Na, das ist ja schön zu hören. Uns geht es auch gut, aber es gibt Unwetterwarnungen für die nächsten Tage. Ich muss morgen mal den Balkon sichern."
„Ohje", erwiderte ich, als würde es mich brennend interessieren. Aber ich hörte kaum zu, weil ich immer noch mich dem Anziehen beschäftigt war und anschließend noch ein paar Sachen aufräumte, damit Paula bei dem Anblick von meinem Zimmer nicht in Ohnmacht fallen würde. Wobei sie meine Unordnung eigentlich schon gewöhnt war.
Als er merkte, dass ich nur halb bei der Sache war, redete er weiter. „Gut, Leila, ich gehe dann mal ins Bett. Der Tag war echt sehr angstrengend."
Mir fiel wieder ein, dass es in Deutschland bereits sechs Stunden später war als hier. „Mach das, Dad! Gute Nacht. Ich melde mich, wenn es was Neues gibt."
Nachdem ich das Handy auf mein Bett fallen ließ und grob mit dem Aufräumen fertig war, warf ich einen Blick auf die Uhr und wunderte mich, dass Paula noch nicht da war. Es war 18:09 Uhr, normalerweise nichts ungewöhnliches - aber bei ihr war das was anderes.
Verwundert verließ ich mein Zimmer und schlenderte durch die WG. Timo stand ein paar Meter weiter in der Küche und kochte irgendwas, die anderen Mitbewohner waren nicht da.
Seit meinem ersten Semester lebte ich mit drei anderen in meinem Alter in einer Wohngemeinschaft. Wie gesagt, ich war nicht gerne in der Nähe von Jungs, geschweige denn ich wohnte gerne mit ihnen zusammen, aber von einer eigenen Wohnung konnte ich nur träumen. Dafür fehlte einfach das Geld.
Timo und Jack waren zwar total in Ordnung, aber ich hatte lange gebraucht, um den Kontakt mit den beiden zu intensivieren. Ansonsten wohnte Cloe noch hier, sie war ein Jahr älter als ich und studierte Medizin. Auch mit ihr hatte ich keine Probleme.
„Willst du mitessen? Es gibt Spaghetti Bolognese à la Timo", sagte er, als er mich bemerkte. Ich nickte begeistert und wollte mit dem Tischdecken anfangen, aber dann klingelte es endlich an der Tür und Paula stand mit einem breiten Grinsen vor mir. Ich konnte mir fast schon denken, was passiert war.
„Tut mir Leid, dass ich zu spät bin." Sie umarmte mich, zog ihre Chucks aus und maschierte in die Küche, um auch Timo zu begrüßen. Dann wendete sie sich wieder mir zu. „Ich habe gerade Finn getroffen, er sah mal wieder umwerfend aus!".
Ich musste lachen. „Ach echt, tut er das laut dir nicht sowieso immer? Was macht er denn in dieser Gegend?". Ich wusste, dass Finn in einem ganz anderen Viertel wohnte und mit den Leuten hier nicht viel zu tun hatte.
„Ich habe keine Ahnung, aber ist doch total egal! Fakt ist, er freut sich mich am Freitag auf der Party zu sehen! Wir müssen da also unbedingt alle hin!".
„Okai, okai, stopp!". Ich seufzte. „Du erwähnst nicht noch einmal die Party, sonst darfst du nicht mit essen." Ich wusste, dass sie Spaghetti nicht widerstehen konnte.
Paula warf einen neugierigen Blick in den Topf, der mittlerweile schon auf dem Tisch stand. . „Na gut, ausnahmsweise. Aber nur, weil es so lecker aussieht."
Timo lächelte ihr zu und ging zum Schrank, um uns zwei Teller und Besteck zu holen.Nach dem Essen zogen Paula und ich uns in meinem Zimmer zurück, um unsere Ruhe zu haben und ein wenig unter Mädels zu sein.
Ich hatte mir nochmal Gedanken über die Sache mit Collins Geburtstagsparty gemacht, weil ich merkte, wie wichtig es Paula zu sein schien, dass ich mitkommen würde. Also versprach ich ihr am Freitag dabei zu sein, denn beste Freunde sollte man schließlich nicht hängen lassen.
„Du solltest die ganze Sache mit Jungs mal lockerer sehen", erklärte sie, nachdem sie gefühlt eine halbe Stunde vor lauter Freude über meine Zusage durch das Zimmer gewirbelt war. Jetzt kam sie endlich wieder ein bisschen runter.
Ich seufzte erneut. „Du weißt doch gar nicht, wie das ist. Seit Finn schwebst du im siebten Himmel, aber die Gefahren blendest du einfach aus." Paula hatte erst eine Beziehung hinter sich, die sie allerdings selbst beendet hatte, weil die Gefühle von dem einen auf den anderen Tag wie weggeblasen waren.
„Finn ist keine Atombombe oder eine Waffe. Er ist ein ganz normaler Mensch wie du und ich", lachte sie.
Ich schüttelte den Kopf. „Aber er ist ein Junge und wir nicht, und das ist der entscheidende Unterschied! Früher oder später zeigen sie ihr wahres Ich und da wird dann klar: Jungs sind Arschlöcher!".
Okay, vielleicht übertrieb ich ein bisschen. Aber ich hatte in den letzten Jahren einfach zu viel durchgemacht.
Meinen ersten Freund hatte ich mit dreizehn, aber dafür hielt das alles stolze eineinhalb Jahre. Tja, letztendlich betrog er mich dann mit meiner damaligen besten Freundin und alles war futsch.
Den zweiten Versuch startete ich mit fünfzehn, es war nichts ernstes, das spürte ich von Anfang an. Trotzdem hängt man sich natürlich in diese Sache rein und es tut einfach weh, zu wissen, dass der Kerl, den man Freund nennt, mit zig anderen Mädels abhängt. Vertrauen gab es da nie.
Meine letzte Beziehung führte ich vor knapp zwei Jahren mit einem Asiaten. Ich liebte ihn wirklich, aber andersrum schien es eher weniger so zu sein. Das Fußballspielen war ihm wichtiger als ich, wir sahen uns kaum noch. Ein paar Monate später machte er Schluss, mit der Begründung, wir seien zu verschieden und ich würde seinen Sport nicht unterstützten. Ich war so wütend gewesen, dass ich ihm eine Ohrfeige verpasste und ihn auf etlichen Social Media Sites blockierte.
Seit all diesen Erfahrungen fiel es mir einfach zu schwer diesen männlichen Wesen auch nur einen Hauch von Vertrauen zu schenken. Ich war belogen und betrogen worden und das wollte ich in meinem weiteren Leben vermeiden. Wozu eine Beziehung, wenn man auch alleine glücklich sein kann?
„Ich will nicht mehr darüber reden", sagte ich dann. „Du wirst schon noch merken, dass Jungs nicht so toll sind, wie sie am Anfang vielleicht wirken. Also entweder werde ich lesbisch oder ich bleibe für den Rest meines Lebens single."
Paula lachte. „Na ja, ich denke nicht so negativ darüber. Aber falls es mit Finn bis dahin doch nicht klappen sollte, was ich natürlich nicht hoffe, erkläre ich mich dafür bereit dich zu heiraten." Wir kicherten los wie verrückt und hatten noch den ganzen Abend unendlich viel Spaß.
Ohne Jungs, ohne Kummer, ohne Sorgen.

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Nobody is perfect
RomanceLeila, ein 18-jähriges Mädchen an der University of Miami, versucht sich schon seit einiger Zeit von Jungs fernzuhalten, was bei ihrem Studiengang nicht gerade einfach ist. Doch dann trifft sie auf den geheimnisvollen Maik und ihr Leben verändert si...