Kapitel Eins

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Mein Blick zuckt zwischen der Straße und der kleinen Digitaluhr über dem Taxameter hin und her. Keine Autos. Drei Uhr siebzehn. Keine Autos. Drei Uhr achtzehn. In solchen Momenten hasse ich meinen Job, hasse ich, dass ich so oft die Nachtschichten übernehmen muss und vor allem hasse ich die Menschen, die es für nötig halten um Viertel nach Drei zum Flughafen fahren zu müssen. Mein Handy klingelt und ich nehme das Gespräch mit der Widersprechanlage an. „Ja?", grunze ich schlecht gelaunt.

„Scott, mein Alter, wo hängst du denn bitte ab? Ich dachte du willst heute mitkommen feiern!" Die Stimme meines besten Freundes Dominik schallt durch das Taxi, weil er wie immer in den Hörer brüllt. Ich kneife die Augen zu Schlitzen zusammen. Scheiße.

„Ich musste eine Nachtschicht einlegen", erkläre ich Dominik, schalte den Blinker ein und biege links ab. Den Weg zum Flughafen kenne ich inzwischen schon auswendig. Dort werde ich mich wieder zu den vielen anderen Taxis einreihen und auf Kundschaft warten, bis diese gottverdammte Schicht endlich vorbei ist. Damit ich endlich ins Bett kann.

„Was heißt hier eine Nachtschicht?", tönt Dominik. „Es war doch klar ausgemacht, dass wir heute wieder mal ausgehen, ein wenig saufen, tanzen, Weiber aufreißen... Okay letzteres eher nicht so für dich." Er lacht und ich gebe ein Seufzen von mir. „Hör mal Domi, ich muss mich ehrlich auf die Straße konzentrieren", versuche ich meinen Freund abzuwimmeln. Auch wenn es nicht stimmt, die Strecke könnte ich auch mit geschlossenen Augen fahren ohne einen Unfall zu bauen.

„Mensch, du Langeweiler." Aus dem Hintergrund ist Geschrei zu hören und Dominik brüllt irgendetwas in seiner Muttersprache, Polnisch, zurück. „Kommst du wenigstens nach? Wir sind gerade auf dem Weg ins Master, du weißt eh wo das ist." „Klar", murmle ich, obwohl ich ganz genau weiß, dass ich in einer Stunde in meinem Bett liegen werde, mit meinem an mich gekuschelten Kater, guter Musik an und etwas zu essen. So wie nach jeder Nachtschicht, so wie eigentlich immer. Ich würge den Anruf ab und stecke mein Handy in die Hosentasche. Den Blick wieder nach vorne gerichtet bemerke ich plötzlich eine Gestalt, die an der Straßenseite steht und mit den Armen wedelt. Meint der mich? Ich trete auf die Bremse und halte schließlich vor der Person an. Es ist ein Junge, mehr kann ich bei dem schlechten Licht nicht erkennen, aber so wie er aussieht ist er wohl um die dreizehn Jahre alt. Was macht der um die Uhrzeit noch hier draußen? Ich lasse das Fenster runter und beuge mich hinaus. „Was gibt's, Junge?"

„Sind Sie noch frei?", fragt er mit einer so leisen Stimme, dass ich ihn kaum verstehen kann. Er sieht mich nicht an, sondern hat seinen Blick irgendwo am Boden. „Jep, bin ich", bestätige ich. Der Junge zieht die Nase hoch. Weint er? „Hüpf rein, Junge."

Ich dachte eigentlich, dass er sich auf den Beifahrersitz setzt wie jeder andere auch, aber der Junge öffnet die Hintertür und lässt sich auf den Sitz direkt hinter mir fallen, sodass ich ihn nicht wirklich sehen kann. Schade. „Wo soll ich dich hinbringen? Nach Hause?"

Zu meiner Verwunderung schüttelt der Junge hektisch den Kopf. Seine blonden Haare fliegen dabei herum. „Nein, nein nicht nach Hause", murmelt er. Dann scheint er zu überlegen, bevor er sagt: „Fahren Sie mich bitte einfach zu der nächsten hohen Brücke die Sie kennen." In meinem Magen breitet sich ein mulmiges Gefühl aus, als ich die Handbremse löse und langsam Gas gebe. Es ist eine komische Bitte, trotzdem gehe ich ihr nach, ist immerhin mein Job. Auch wenn sich anhört als würde der Junge sich irgendwo runter stürzen wollen. Ich hoffe, dass diese Befürchtung nur meiner ausgeprägten Fantasie und zu vielen schlechten Filmen entspringt. Er möchte auf dieser Brücke sicher nur... was? Die Aussicht genießen? Um drei Uhr nachts?

„Laut Jugendschutzgesetz solltest du jetzt überhaupt nicht mehr auf den Straßen unterwegs sein", spreche ich meine Gedanken laut aus. Der Junge schweigt. Er hat die Stirn gegen das Fenster gelehnt und starrt auf die vorbeiziehende Straße. Ich werde unruhig. Das Ziel ist nur noch ein paar Minuten entfernt. Was, wenn er sich wirklich das Leben nehmen will? Dann geht das alles auf meine Kappe, weil ich ihn zu seinem Selbstmordwerkzeug chauffiert habe. Das ist nicht gut. Gar nicht gut. Ich halte ja vieles aus, aber so eine Schuld will ich mir auf keinen Fall aufladen. Aber dazu ist es wohl zu spät, denn wir sind da. Die Josephsbrücke ist nur schwach beleuchtet, dazu ist sie zu klein. Aber dafür hoch genug. Darunter führt eine mehrspurige Straße, die auch um diese Uhrzeit rege befahren ist. Wer da runter hüpft, den kann man vom Asphalt kratzen. „Macht dreizehn Euro neunundsechzig." Seit wann klingt meine Stimme so belegt?

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