~1~

32 1 0
                                    

Ich war schon immer fasziniert von Toten.
Das klingt krank, aber dieses Thema zieht mich magisch an. So kommt es auch, dass ich hier vor dem Sacred-Heart-Hospital stehe und auf meine Vorgesetzte warte. An mir rauschen zig andere Ärzte vorbei, manche haben es eilig, andere schlendern langsam zu ihren Arbeitsplätzen. Ich beobachte sie, wie sie ihre Schürzen und Kittel überstreifen und Aktenordner und blaue Mappen durchsehen, sie wieder weglegen oder mit ihnen die Flure entlanglaufen.
Plötzlich legt sich eine Hand auf meine Schulter. Ich zucke zusammen und drehe mich um.
Eine rundliche ältere Ärztin mit einem etwas zerknitterten Gesicht und hellen, rotblonden Haaren lächelt mich entschuldigend an.
„Du musst Alyson sein, richtig?", fragt sie mich. Ich nicke. „Tut mir wirklich Leid, dass ich zu spät bin, aber…", sie schaut auf ihre goldene Armbanduhr. „Na, wie auch immer, ich bin für diese zwei Wochen deine sogenannte Vorgesetzte, aber nenn mich ruhig Wilma.".
Ich schlucke und nicke zögernd. Wilma bedeutet mir, ihr zu folgen. Ich laufe hinter ihr einen schier endlosen Flur mit zahlreichen Nebengängen entlang bis sie vor einer großen Schwingtür stehen bleibt.
„Hier wirst du die meiste Zeit verbringen, das ist die Obduktionshalle.", sie öffnet kurz die Tür und offenbart einen relativ dunklen Raum mit zugezogenen Gardinen. Niemand ist zu sehen. „Sind Sie die einzige in diesem Bereich?", frage ich.
„Normalerweise nicht, aber mein Kollege ist gerade im Urlaub. Da passt es gut, wenn wir als Hilfe eine Praktikantin haben.", sie lächelt mich an. Ich erwidere das Lächeln und schaue mich im Flur ein wenig um. Ich entdecke eine weitere Schwingtür am Ende des Flurs.
„Und wohin führt diese Tür da?", ich zeige darauf.
„Oh, das ist die Leichenhalle. Vielleicht wirst du dort auch mal etwas erledigen müssen.", sie schaut wieder auf ihre Uhr. „Oje, folgst du mir bitte? Ich muss dir noch ein paar Leute vorstellen.". Sie wendet sich zum gehen und ich laufe ihr schnell hinterher.

Der erste Tag verläuft gut, aber ich darf nur irgendwelche Werkzeuge sortieren oder Tische abwischen, die Untersuchungen an einem alten Mann, der heute eingeliefert wurde, darf ich nur aus sicherer Entfernung beobachten. Wilma versucht zwar, mir so gut wie es geht, zu erzählen, was sie da macht und warum sie weiß, dass der Mann an einem Herzinfarkt gestorben sein muss, doch mehr als verstehend nicken kann ich nicht.
Nach einer Weile seufzt sie und verspricht mir, dass sie mal nachfragt, ob ich nicht doch schon ein wenig mitmachen darf, statt immer nur langweilige Hilfsarbeiten zu verrichten.

Alles in allem gefällt es mir hier trotzdem ziemlich gut, ich freue mich auf die zwei Wochen…

Doch dieser Spaß sollte mir bald vergehen.

Ihr Kinderlein kommetWo Geschichten leben. Entdecke jetzt