Ein schneller Galopp, ein perfekter Sprung, eine Diagonale fehlerfreie Einerwechsel - das alles waren Dinge, die mein Herz beflügeln konnten. Sie waren rar, geradezu zu selten, doch genau das machte sie so wertvoll. Dieses Gefühl einmal in der Woche zu bekommen war manchmal schon schwer. Aber Karibu Queen war das Pferd für die perfekten Sprünge. Sie zeigte heute einmal wieder, was für ein unwahrscheinlich gutes Gespür sie für Geschwindigkeit und Distanzen hatte und welche Kraft in ihrer Hinterhand steckte. Und auf dem großen Grasplatz machte Springtraining gleich noch mehr Spaß als auf unserem kleinen Sandplatz.
Im leichten Sitz jagten wir zwischen den Hindernissen hindurch, ich visierte die Tripplebarre an, die Ben gestern noch in niedriger Ausführung nicht einmal hatte überspringen können. Doch meine Schimmelstute hatte definitiv nicht den Plan, dieses Hindernis auszulassen. Stattdessen zog sie noch kraftvoller los, sodass ich sie mit einigen Paraden zurückholen musste. Einen solchen Ehrgeiz wünschte ich mir bei Griffin nur einmal die Woche, doch das konnte ich wohl vergessen. Karibu jedenfalls ließ ich knapp vor dem Sprung wieder etwas mehr Platz für ihre raumgreifende Galoppade und so kamen wir gut an den Sprung, der so tückisch war, durch die sich steigernde Höhe, je länger der Sprung wurde. Doch die 6-jährige sprang wie ein ganz alter Hase über diesen schwierigen Sprung. Der Schub, der uns vom Boden löste raubte mir fast den Atem, mein Herz raste, als wir weit über die Stangen flogen - und auf der anderen Seite wieder sicher aufkamen.
"Feines Mädchen!", lobte ich sie lachend und klopfte ihr im vollen Galopp lobend den Hals. Mit diesem Pferd machte Springen wirklich unheimlichen Spaß und ich war fast ein wenig neidisch auf meinen Bruder, weil es ja eigentlich sein Pferd war. Nach einer Runde Siegergalopp parierte ich sie durch und trabte zu Merle. Da sie selbst kein eigenes Pferd hatte, saß sie auf einem unserer Pferde. Shiva war zwar eine Ziege und buckelte auch schon mal, aber sie war am Sprung absolut zuverlässig und für jemanden wie meine beste Freundin, die nicht gerade die routinierteste Springreiterin war, genau richtig.
"Verdammt, geht die ab. Trainierst du mit ihr auf Zeitspringen oder warum ist die so aufgekratzt?", kommentierte sie lachend unseren Ritt, als wir ein paar Meter entfernt in den Schritt wechselten.
"Die ist halt so. Ein Pferd für den Weltsport, wenn du mich fragst. Aber ich könnte sie niemals gehen lassen, springen hat noch nie so viel Spaß gemacht - nichtmal mit Shiva, die auch schon wirklich top ist." Liebevoll strich ich Kari über den Hals und sortierte ein paar Strähnen ihrer kurzen graugesträhnten Mähne wieder auf die richtige Seite.
"Und was ist mit Midnight Affair?"
"Als ob Papa mich auf den drauflassen würde. Der ist doch sein Baby und ehrlich gesagt, ist mir der auch wirklich zu speziell. Zweimal und nie wieder, das kann der gern selbst machen. Da nehme ich lieber River ab und an mal.", antwortete ich lachend. Midnight war der ganze Stolz meines Vaters. Er sprang mit Leichtigkeit S, war aber ein verdammtes Arschloch und buckelte wie ein Weltmeister - zuindest bei mir. Shiva war dagegen noch ein wahrer Engel.Merle hatte gerade den ersten Sprung auf A-Höhe überwunden, als ich aus dem Augenwinkel einen weiteren Reiter wahrnahm. Der Braune kam mir doch verdächtig bekannt vor und je näher sie kamen, erkannte ich das nervöse Tier von gestern. Doch unter dem Sattel wirkte er deutlich zufriedener und weniger hibbelig. Zielstrebig kamen Reiter und Pferd auf uns zu, was Karibu freudig zur Kenntnis nahm und ihren Hals reckte, um das fremde Pferd zu inspizieren.
"Auf welchen Höhen habt ihr die Stangen?", begrüßte mich der Junge oder eher junge Mann auf dem Rücken des Braunen.
"Bitte was?", antwortete ich perplex. Eine solche Dreistigkeit war ich einfach nicht gewohnt und so spontan fiel mir meistens einfach keine gute Antwort ein.
"Die Stangen. Welche Höhe? A oder L?"
"Beides... aber hör mal, hier stellt man sich beim ersten Treffen traditionell erstmal vor. Oder wenigstens ein 'Moin' ist immer drin.", trug ich nun meine Beschwerde vor und erntete einen eher erstaunten Blick.
"Oh, tut mir leid. Ich dachte... Also ich bin Ciarán. Und du?" Späte Einsicht war besser, als nie. Und er wirkte tatsälchlich etwas beschämt - na, immerhin.
"Lissa. Schön, dich kennenzulernen. Und die eifrige Springreiterin ist Merle.", stellte ich uns vor und blickte kurz zu meiner Freundin und der schneeweißen Stute, die den letzten kleinen Sprung nahmen, den wir herunter gebaut hatten.
"Sie springt eher selten, oder?" Ein leicht belustigtes Lächeln umspielte seine Lippen.
"Ist ziemlich offensichtlich, was? Eigentlich begleitet sie mich hauptsälchlich zum Training." Obwohl Merle meine Freundin war, ihr Sitz war ziemlich miserabel und ihre Hände zogen so manches Mal über dem Sprung ziemlich im Maul ihres Pferdes.
"Bestimmt wegen dieses irischen Springreiters."
"Ja, genau. Ich verstehe diesen Hype überhaupt nicht.", antwortete ich fast genervt und schüttelte den Kopf. "Was ist denn an einem halbwegs guten, vermutlich total arroganten Typen mit Pferden so besonders. Ist ja nicht so, als gäbe es keine normalen Kerle hier auf der Insel, die wahrscheinlich viel..." Ich war gerade in einen Redefluss gekommen, als eine kleine Glocke in meinem Gehirn klingelte. Ciarán war doch auch der Vorname von diesem Iren! Toll, wirklich toll, Lissa. Da traf man einmal einen Topsportler und machte sich gleich unbeliebt. "Du bist das. Das... tut mir echt leid." Es gab Momente im Leben, in denen man am liebsten samt Pferd im Boden versinken würde - dieser war einer von ihnen.
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Hufspuren im Sand (BSuaP-Spinoff)
AdventureIm Norden Deutschlands direkt neben Sylt liegt die Insel Föhr. Ein Ferienparadies für Radfahrer, Reiter, Familien und Nordseeliebhaber. Doch Lissa und ihre Familie machen dort keinen Urlaub, sie leben und arbeiten dort. Ein Leben ohne Pferde? Unvor...