Kapitel Fünf

137 10 4
                                    

Diese peinliche Geschichte musste ich erstmal bei einem Mädelsabend mit Pizza und Filmen verdauen. Also eigentlich liefen die Filme mehr im Hintergrund und ab und an durchbrach einer von uns die Stille, um darauf hinzuweisen, dass sich - wahlweise - Chris Hemsworth, Channing Tatum oder sonstwer ausgezogen hatte. Wir waren wirklich oberflächlich, was das anging, aber wir standen wenigstens dazu. 

Am nächsten Morgen war erstmal Stallarbeit an der Reihe. Die Laufställe mussten ausgemistet werden und da war jede Hilfe willkommen. Mit den Worten "Du wolltest doch hier mitarbeiten." wurde ich geradezu zu Mitarbeit verdonnert. Aber auch Ställe ausmisten konnte manchmal Spaß machen. Zum Beispiel, wenn man die anderen beim Einstreuen mit Strohplocken abwarf. 

"Was zum..?!", rief Hinnerk erschrocken aus, als ihn einer dieser Strohklumpen von hinten traf. Als er sich umdrehte, musste er aber doch lachen. "Du bist ein kleines Biest, Lissa Hansen. Das warst du schon immer." Lachend warf er nun Stroh zurück, verfehlte mich allerdings meilenweit.

"Und du warst schon immer schlecht im Werfen." Ich streckte ihm frech die Zunge raus und verteilte dann das restliche Stroh. Mit den Haaren und Klamotten voller Stroh trat ich schließlich auf die Stallgasse. Bevor ich am Nachmittag Unterricht geben konnte, müsste ich erstmal das ganze Zeug aus meinen Haaren kämmen, doch das hatte ja noch etwas Zeit schließlich war es noch früh am Vormittag. 

Ich hatte gerade Griffin am Putzplatz angebunden, da hörte ich, wie das Eingangstor geschlossen wurde. Dieses unverkennbare Geräusch der schweren Tür kündigte stets einen frühen Neuankömmling an, denn vormittags war sie meistens geschlossen. 

"Hallo? Ist hier irgendjemand?", rief jemand die Stallgasse hinauf. Wie angewurzelt blieb ich neben meinem Fuchs stehen. Ohoh, diesen Akzent kannte ich doch irgendwoher. Mit meinen wuschligen Haaren, in denen haufenweise Strohhalme steckten, trat ich auf die Stallgasse und marschierte in den Empfangsbereich. Ciarán wirkte ernsthaft überrascht, mich zu sehen. 

"Moin, was kann ich für dich tun?", begrüßte ich ihn eher ein wenig distanziert, aber betriebsfreundlich.

"Hier kommst du also her..."

"Ja, hier komme ich weg. Kann ich irgendetwas für dich tun oder spionierst du nur?" Obwohl ich vielleicht ein wenig unfreundlicher wurde, lächelte er mich an und ich konnte nicht anders, als die niedlichen Grübchen zu bemerken, die dabei entstanden.

"Ich war gerade dabei, mit Bucca ein wenig die Insel zu erkunden und da ist mir dieser Stall hier aufgefallen. Als ich die Schimmelstute auf der Weide sah, dachte ich mir: 'Die kennst du doch.' Und tatsächlich.", erklärte er sein plötzliches Erscheinen, hatte allerdings noch immer kein Wort darüber verloren, was er nun wirklich wollte. 

"Meinen Eltern gehört der Hof hier. Ich reite nur ab und an nach Alkersum zum Springtraining, weil unser Platz nicht ganz so viel hergibt.", erläuterte ich schon ein wenig freundlicher und rang mich zu einem leichten Lächeln durch. 

"Hast du vielleicht Zeit und Lust, mich ein wenig herumzuführen? Ich kenne mich noch nicht so gut aus und wir verreiten uns bestimmt." Ein wenig verlegen grinste Ciarán mich an. Darauf wollte er also hinaus. Ich musste wirklich kurz überlegen. Nicht, weil ich nicht wusste, ob ich zustimmen oder ablehnen sollte. Sondern darüber, wie ich ihm nett sagte, dass ich keine Zeit (und eigentlich auch keine Lust, weil mir die Ereignisse von gestern immer noch peinlich waren,) hatte.

"Also prinzipiell gern, aber ich hab noch viel zu tun. Ich mache eben leider keine Ferien hier, sondern arbeite. Aber wir können das vielleicht in ein paar Tagen nachholen?", antwortete ich zögerlich und war mir nicht ganz sicher, welches Signal das nun an ihn gab. 

"Oh, ok, kein Ding. Dann verschieben wir das ein wenig. Ich geb dir meine Nummer und du schreibst mir, wenn du Zeit hast?" Er holte sein Portmonee aus seiner Westentasche und drückte mir eine Vistenkarte in die Hand. Darauf stand sein Name, die Anschrift seines Wohnorts irgendwo in Irland und seine Handynummer. Sie war schlicht gehalten mit einem vereinfacht gezeichneten Pferdeportrait. 

"Eh, danke, mach ich." Ein wenig perplex war ich schon, denn bis jetzt hatte mir noch niemand, der sich scheinbar für mich interessierte, eine Visitenkarte in die Hand gedrückt. Iren...


Ausnahmsweise hatte mein Fuchswallach sich heute beim Longieren halbwegs benommen. Er hatte brav auf meine Hilfen reagiert, hatte nur bei den ersten zwei Galoppaden angefangen zu buckeln wie ein 2-jähriger und hatte dann brav abgeschnaubt. Für seine Verhältnisse eigentlich ein optimales Trainingsergebnis. Nach dem Longieren befreite ich ihn von allem Equipment und schickte ihn zum Trocknen zurück in die Halle. Entspannt trottete er zehn Minuten durch die Halle, begutachtete die Bodenqualität der gesamten Halle, bis er sich endlich mit einem lauten Stöhnen niederließ und wälzte. Ich war schon wirklich stolz auf meinen Dicken, als er es schaffte, sich einmal herumzudrehen. So manches dicke Pony bei uns schaffte das nicht und die hatten weniger Beine herumzuschwingen. 

Um 18 Uhr beendete ich schließlich mit der Fütterung der letzten Pferde meinen Dienst, schwang mich aufs Fahrrad und radelte die paar Meter zu meiner Wohnung. Auf dem Küchentisch fand ich einen Zettel mit der Aufschrift 'Im Kühlschrank steht Lasagne' - ich liebte meine Mutter und fragte mich manchmal, warum ich eigentlich ausgezogen war. Während die Lasagne im Ofen langsam wieder warm wurde, spurtete ich hoch, zog mich um und zupfte die letzten Strohhalme aus meinen Haaren. Mit meinem Essen und Smartphone warf ich mich auf die Coach. 

Ciaráns Nummer hatte ich schon eingespeichert unter dem Namen "Irrer Ire Ciarán". Ich tippte seinen Kontakt bei WhatsApp an - und starrte auf das leere Nachrichtenfeld, während ich mir eine Gabel nach der anderen in den Mund schob. Irgendwann hatte ich keine Lasagne mehr und kein Wort geschrieben...




Hufspuren im Sand (BSuaP-Spinoff)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt