Kapitel Drei

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Gemütlich setzte Griffin einen Huf vor den anderen, als er den Reitweg, der neben der Straße von Nieblum nach Alkersum verlief, entlang schritt. Entspannt hielt ich die Zügel nur an der Schnalle in einer Hand und ließ meinen Blick ein wenig durch die Landschaft wandern. Als wir schon beinahe im Ort waren und an einigen Industriehallen auf der einen Seite und Pferdeweiden auf der anderen Seite vorbei ritten entdeckte ich einen hübschen Dunkelbraunen, der aufgeregt am Weidezaun entlang trabte. Er musste ein neues Pensionspferd sein, denn er stand allein mit einigen seiner Kollegen in Sichtweite, doch durch einen Zaun getrennt. Auch den Schecken von heute Mittag entdeckte ich auf einer einzelnen Weide, doch er interessierte sich nicht wirklich für uns, sah nur kurz hoch und wandte sich dann wieder seinem Gras zu. Schmunzelnd strich ich meinem Wallach über den Hals, als ich seinen beinahe neidischen Blick sah.
"Eine eigene Weide, das wär's, Griffin, was?", fragte ich ihn lachend und beinahe als wollte er antworten, schnaubte er und schüttelte leicht den Kopf. Der Arme musste sich auch mit gleich drei anderen verfressenen Tieren die Weide teilen. Eine davon war die junge Stute meines Bruders, die ich trainieren durfte, während er nicht zuhause war. Warum er überhaupt ein junges Pferd hatte, wenn er doch eh seit Jahren nicht mehr zuhause wohnte, war mir sowieso schleierhaft. Doch Karibu war ein feines Pferd und ich ritt sie gern und genoss das Training mit ihr, wenn ich Zeit hatte, sehr. Doch sie war eben nicht mein etwas stämmigeres Füchschen, das ich über alles liebte.
Ich wollte gerade unbekümmert weiter reiten, als mir ein Junge am Weidezaun auffiel. Er hatte einen Strick in der Hand und marschierte auf den Braunen zu, der so unruhig wirkte.
"Hey, Bucca. Calm down, boy, calm down.", sprach er beruhigend zu dem Pferd, das erst einige Sekunden später sein Herumtraben einstellte und ihn aufmerksam musterte. Langsam ging der Junge auf ihn zu und hakte den Strick in das edle Lederhalfter ein. Kurz sah er zu mir herüber, verzog aber keine Miene und führte dann sein Pferd von der Weide. Ich dachte mir nichts dabei. Urlauber eben... Mit einem Schnalzen trieb ich Griff ein wenig mehr voran und lenkte ihn in Richtung Heimat.

"Mama? Bist du zuhause?", rief ich durchs Haus, nachdem ich die Tür geöffnet und mich meiner Stallschuhe entledigt hatte. Nach der Ausfahrt und dem Ausritt hatte ich doch Hunger bekommen und was bot sich eher an, als einfach mal zuhause reinzuschneien. Also eigentlich war es mein zweites Zuhause, denn seit ich volljährig war, gewährte man mir ein Eigenheim alias eine winzige ehemalige Ferienwohnung in einem Wohnkomplex, der meiner Familie gehörte. Die Wohnung hatte gerade einmal zwei kleine Schlafzimmer, ein Bad und einen Wohnraum mit Küche und Sitzecke, aber es war besser als nichts. Ich traf meine Eltern sowieso täglich auf dem Hof, ein bisschen Abstand tat da wirklich ganz gut nach 18 Jahren Vollpension im Hotel Mama.
Statt meiner Mutter kamen mir allerdings unsere drei Hunde entgegen. Zweimal Australien Shepherd und einmal Golden Retriever. Und schon stand ich in einem Fellmeer und sah meine blau-grau gemusterten Reitsocken nicht mehr. "Hallo, ihr Süßen.", begrüßte ich die Drei freudig und - schwups! - sprang meine Stimme sogleich eine Oktave höher. "Wo ist Frauchen? Wo ist Frauchen, Sydney?" Unser Aussie-Rüde hechelte mir nur freudig entgegen und blickte mich aus einem blauen und einem braunen Auge an. Typisch, zu nichts zu gebrauchen dieses Tier.
Gefolgt von unserem kleinen Rudel tapste ich erst einmal in die Küche. Niemand da. Weiter durch Wohnzimmer und Büro bis ich schließlich einen Blick auf die Terrasse riskierte. Meine Mutter saß mit ihrem Laptop, einem Ordner Unterlagen und einer Kanne Tee in der Sonne.
"Oh, hallo, Lissa-maus! Hat dich der Hunger nach hause getrieben?", fragte sie schmunzelnd. Sie kannte mich einfach zu gut.
"Nein, natürlich nicht.", schwindelte ich grinsend, "Ich wollte nur mal wieder meine Mama besuchen."
"Das glaube ich dir fast, aber auch nur fast. In der Küche steht noch Erdbeerkuchen von gestern."

"Was machst du da eigentlich?", fragte ich zwischen zwei Gabeln Kuchen und legte leicht den Kopf schief, um auf die Unterlagen blicken zu können.
"Es sind neue Buchungen reingekommen, Anzahlungen und Begleichungen eingegangen. Das notiert sich nicht allein. Und ich muss Bestellungen für den Hof machen, Ferienwohnung 3 braucht eine Renovierung und und und. Das Übliche eben. Aber ich sollte bald fertig sein. Hast du Karibu heute schon gemacht?" Ich schüttelte nur den Kopf, weil ich noch den Mund voll hatte. "Du hast nicht zufällig Lust, River auch zu bewegen? Ich hab noch ein Weilchen hier zu tun und Abendessen muss auch noch gemacht werden. Dafür mache ich auch Penne mit getrockneten Tomaten, die du so gern magst." Wenn sie wollte, konnte meine Mutter gucken wie ein Hundewelpe, ein Kälbchen oder Lämmchen - eben Tiere, denen man nichts abschlagen konnte. Und über Essen ging bei mir einiges seit ich ausgezogen war (ich war keine besonders gute Köchin, leider...).
"Du bist wirklich teuflisch. Ja, ich mache ein bisschen lockeres Training mit ihm. Und Karibu kann heute auch longiert werden, dann gehe ich morgen auf den Springplatz.", willigte ich seufzend ein.
"Nimmst du dir Hunde noch mit?"
"Soll ich auch noch einkaufen, das Haus putzen und das Dach neu decken?"
"Wenn es keine Umstände macht." Lachend umarmte mich meine Mutter und drückte mir einen Kuss auf die Wange.

Herzschlag, Hufschlag und Musik in Einklang zu bringen war eine Kunst, die nur wenige verstanden. Ich hatte bis jetzt ein oder zwei Mal Menschen beim Training hier beobachten können, die wirklich nah dran waren diese Stufe der Dressur zu erreichen, die sogar den Zuschauer in das Erlebnis mit einbinden konnte. Doch dazu brauchte es eben den richtigen Reiter und das richtige Pferd, die auf harmonische Art und Weise eine Kür ritten, die perfekt auf eine Musik abgestimmt war. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass Rivergold genau dafür gemacht war - um Menschen zu begeistern und zu verzaubern. Der großrahmige Fuchs mit dem goldenen Schimmer im Fell war das geborene Dressurpferd. Seine Gänge waren wunderschön, im Trab schwebte er beinahe vor sich hin, seine Vorhandaktion im Galopp sah beeindruckend aus und seine Ausstrahlung begeisterte einfach. Eigentlich hätte er es in den großen Sport schaffen sollen... Doch ein nicht ganz makelloser Knochenbau hatte ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht. Er war stets fit, nichts zeugte mehr von dem angebrochenen Bein, das er sich bei Toben auf der Weide als Vierjähriger eingefangen hatte. Nur welcher Topsportler wollte schon ein Pferd haben, mit dem ein Risiko bestand? Meine Eltern hatten ihn als jungen Hengst entdeckt, ihn gekauft und legen lassen. Er hatte mir meine ersten Fortgeschritteneren Dressurlektionen gezeigt und selbst, wenn er manchmal ein wenig schräg drauf war, betrachtete ich ihn als Familienmitglied. Er war nun schon 9 Jahre bei uns und manchmal hatte ich das Gefühl, dass er wusste, wie gut er es hier hatte. Dass er dankbar war, dass er nicht als aufgabenloser Beisteller oder tatsächlich noch Turnierpferd geendet war. Das Einzige, was er hier auszustehen hatte, war Hobby-Dressurreiterei und Ringreitwettbewerbe, die ihm aber doch ziemlichen Spaß zu machen schienen. Griffin übrigens auch, manchmal ein wenig zu viel, was mich schon so manchen Ring gekostet hatte.
Nach einem leichten Dressurtraining stellte ich River wieder zurück zu seiner Herde auf die Weide und nahm die junge Schimmelstute meines Bruders gleich mit. Karibu Queen schritt hochmotiviert neben mir her, beobachtete alles mit aufmerksamem Blick, obwohl sie schon seit 2 Jahren diesen Hof bewohnte und sich selten etwas veränderte, und stupste mich manchmal an, um zu erfragen, ob ich nicht ein Leckerchen dabei hatte. Ich hatte immer Leckerchen dabei, was für eine Frage.
Fix war sie übergeputzt, Gamaschen und Streichkappen angelegt. Eine Schbracke als Unterlage, Longiergurt, Dreieckszügel und Trense folgten - ab ging es auf den Reitplatz. So hibbelig Karibu auch war, sie wollte gern alles richtig machen. Manchmal klappte das mit dem vorwärts-abwärts zwar noch nicht ganz so gut und ein entspanntes Abschnauben gelang ihr auch erst später, wenn sie vergaß, dass sie sich doch eigentlich anstrengen wollte. Ich beließ es heute bei leichtem Training, übte Trab-Galopp-Übergänge, die immer besser klappten, je öfter wir sie machten. Beim Longieren war sie wirklich ein Schatz, ganz im Gegenteil zu meinem Fuchswallach, der auf im Kreis laufen nie Lust hatte.

Die Hunde waren nun abgegeben, alle Pferde bewegt und ich lag in meinem Bett und starrte an die weiße Holzdecke. Eine Spinnenwebe hing von meiner Deckenleuchte, meine blauen Augen fixierten sie. Putzen war wirklich keine meiner Stärken, aber wie sollte ich auch dazu kommen, wenn man mich dauerbeschäftigte? Aus den Kopfhörern auf meinen Ohren kam leise Musik von Ed Sheeran, die ich leise mit murmelte. Zumindest bis mein Handy klingelte. Genervt seufzend löste ich die Kopfhörer, sah aufs Display und nahm ab.
"Nein?", sagte ich in das Mikro.
"Lissa, ich muss dir unbedingt was erzählen. Du kennst doch Ciarán Brady, oder?", begann Merle vollkommen aufgeregt.
"Nein, nicht, dass ich wüsste, aber ich schätze, er ist Ire und Springreiter und hat sich in Alkersum untergemietet.", gab ich unbeeindruckt zurück. Ich wollte doch eigentlich nur schlafen und irgendwelche Sportler interessierten mich gerade ziemlich wenig.
"Ja... woher weißt du das?"
"Marika, sie ist deutlich besser informiert als du." Ich musste lachen und am anderen Ende der leitung konnte ich auch ein Lachen vernehmen. "Ich nehme an, wir müssen jetzt öfter zum Springtraining auf den großen Springplatz?"
"Aber sowas von!"

Hufspuren im Sand (BSuaP-Spinoff)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt