Die ganze Klasse starrte wie gebannt auf die tickende Uhr, die in zehn Minuten den Anfang der Sommerferien ankündigte. Ich konnte es kaum erwarten den Anblick der Schule ganze sechs Wochen nicht mehr ertragen zu müssen.
Ein Tippen auf meiner Schulter sorgte dafür, dass ich mich seitlich zu meiner besten und auch einzigen Freundin Kyara drehte. Sie grinste mich breit an und ihre roten Haare glitzerten in den Sonnenstrahlen, die durchs Fenster schienen.
Sie streckte mir einen kleinen weißen Zettel entgegen, worauf ich ihre krakelige Schrift identifizieren konnte. Kopfschüttelnd nahm ich in an und versteckte ihn hinter meiner Federtasche, um das Papierstück vor den Augen meines mürrischen Klassenlehrers zu schützen. Ich lugte auf den Zettel und versuchte Kyara's Handschrift zu entziffern.
Ich kann es einfach nicht fassen, dass meine Eltern mich zwingen zu meinen Großeltern nach Italien zu fliegen, um dort auf einem Bauernhof zu arbeiten! Meine Mutter meinte etwas Disziplin würde mir guttun. Ich glaube, ich werde im Flugzeug aus dem Fenster springen.
Ich linste zu Herr Heller, doch der war damit beschäftigt die Zeugnisse auszuteilen. Ich zückte meinen Füller und setzte die Spitze auf das Blatt.
Mir ergeht es da auch nicht viel besser. Drei Wochen mit meinem Vater in Spanien. Er wird dort von einem Meeting zum Anderen hetzen, während ich im Hotelzimmer versauere.
Zudem spreche ich kein Wort Spanisch.
Scheint so als hätten wir beide nicht so tolle Aussichten auf die Ferien.Seit meine Mutter vor zehn Jahren gestorben ist, stürzte mein Vater John sich kopfüber in seine Arbeit und beachtete mich kaum. Aber ich kam einigermaßen damit klar. Zumindest redete ich mir das ein.
Unauffällig reichte ich ihn wieder zurück. Mein Blick schweifte wieder zur Uhr. Noch fünf Minuten. Unruhig rutschte ich auf meinem Stuhl hin und her und spähte auf den Schulhof, wo sich schon ein paar Schüler der jüngeren Generation tummelten.
Ein Stück Papier flog mir direkt vor die Nase. Augenverdrehend entfaltete ich ihn und las die Zeilen.
Ja man könnte uns echt bemitleiden. Wann fliegt ihr denn los? Also mein Flieger startet schon morgen früh um vier. Ich bereite mich schon mal auf den Jetlag vor. Obwohl Italien ist ja nicht sonderlich weit entfernt. Gibt's da eine Zeitumstellung?
Ich hielt mir eine Hand vor den Mund um mein aufkommendes Lachen zu unterdrücken. So schnell wie möglich schrieb ich zurück.
Keine Sorge du bekommst keinen Jetlag ;). In Italien ist es genauso spät wie hier. Wir fliegen schon heute Abend um sieben. Ich bin ja so motiviert. Ich hoffe du bemerkst den Sarkasmus.
Kyara zog spöttisch ihre Augenbraue hoch und kicherte leise vor sich hin, als sie meine Antwort las. Ich heftete meine Augen auf den Tisch, um bei ihrem Anblick bloß nicht in ihr Lachen mit einzustimmen.
Ein genervtes Räuspern ließ mich aufblicken. Herr. Heller stand, mit aufrechter Haltung und einem abfälligen Zug um den Mund, vor meinem Tisch.
„Mal wieder ein sehr vorzügliches Zeugnis Aurelia", sagte mein Lehrer und man bemerkte sofort, dass es ihm wiederstrebte mich zu loben.
„Danke", beantwortete ich seine Frage schüchtern. Ein schrilles Klingeln lässt uns alle aufschrecken. Rasch ließ ich das Zeugnis in meiner Tasche verschwinden, nachdem ich einen kurzen Blick drauf geworfen hatte.
„Schöne Ferien", brummte Herr. Heller, doch niemand schenkte ihm Aufmerksamkeit. Die meisten Schüler sprangen auf und verließen fluchtartig den Klassenraum, als wäre der Teufel höchstpersönlich hinter ihnen her. Kyara und ich erhoben und langsam von unseren Plätzen und schlenderten aus dem Raum.
„Dieses Miststück von Frau. Holst hat mir ernsthaft eine vier in Mathe aufgedrückt", zischte meine beste Freundin entrüstet.
„Hast du die vier denn verdient?", wollte ich amüsiert wissen.
„Hm. Vielleicht", gab sie zu. Schnell wechselte sie das Thema. „Und wie ist dein Zeugnis so ausgefallen, Streberin?"
„Ein paar Einsen und ein paar Zweien." Ich bin keineswegs eine Streberin mit Hornbrille oder so. Ich legte einfach Wert auf gute Noten.
„Ach", lautete Kyara's einziger Kommentar.
„Holt deine Mutter dich ab?", fragte ich sie und band meine offenen braunen Haare zu einem lockeren Pferdeschwanz.
„Ja. Sie möchte, dass ich gleich anfange zu packen", stöhnte Kyara genervt.
„Zum Glück habe ich das schon hinter mir", antwortete ich ihr schmunzelnd.
Wir gingen den Schulflur Richtung Ausgang. „SMS wird wohl zu teuer", mutmaßte ich. „Dann skypen wir okay?"
„Unbedingt", versprach Kyara und drückte meine Hand.
„Das werden die langweiligsten Ferien meines Lebens", fuhr sie fort und schulterte ihren Rucksack. Als Antwort nickte ich nur zustimmend.
Als wir aus der Schule traten, blendete uns sofort die Sonne und wir mussten mehrmals blinzeln, um uns an die Lichtveränderung zu gewöhnen.
Ich deutete auf einen schwarzen Audi. „Da ist das Auto deiner Mom." Kyara folgte meinem Blick und drehte sich noch zu einer Abschiedsumarmung zu mir um.
„Ich werde dich vermissen.", murmelte ich an ihrem Hals und ein Kloß bildete sich in meinem Hals. Wie ich Abschiede auf längeren Zeitraum hasste.
„Und ich dich erst", flüsterte meine beste Freundin und drückte mir ein Schmatzer auf die Wange.
Kichernd lösten wir uns voneinander und sie wandte sich zum gehen.
„Lass dich nicht unterkriegen", rief ich ihr noch hinterher und leckte mir über meine trockenen Lippen.
„Du dich auch nicht", brüllte sie zurück und zwinkerte mir zu. Dann stieg sie ins Auto und verschwand aus meinem Blickfeld. Ich ging zu meinem Fahrrad und wühlte nebenbei in meiner Umhängetasche auf der Suche nach meinem Handy.
Nachdem ich fündig geworden bin, holte ich noch meine Kopfhörer heraus und schloss sie ans Handy an. Ich packte meine Tasche auf den Fahrradkorb und schwang mich aufs Fahrrad. Die Kopfhörer steckte ich mir ins Ohr und schon dröhnte mir „Stitches" von Shawn Mendes entgegen.
Der Fahrtwind umspielte mein Gesicht und Strähnchen meines Haares lösten sich aus meinem lockeren Zopf. Zuhause angekommen kochte ich erst einmal Lasagne und verschlang diese auf meinem Bett, währenddessen ich „Game Of Thrones" schaute.
Ich musste wohl eingenickt sein, denn die Hand meines Vaters rüttelte mich unsanft aus dem Schlaf. Verschlafen öffnete ich die Augen und setzte mich auf.
„Geh duschen und hol deinen Koffer. Unser Flug geht in vier Stunden", ließ er mich mit emotionsloser Stimme wissen und stapfte aus meinem Zimmer. Eilig sprang ich unter die Dusche und zog mich mit nassen Haaren an.
Ich entschied mich für eine normale Jeans Hot-Pan und ein dazu passendes weißes Oberteil. Hellblaue Sneakers vollendeten mein Outfit. Ich packte meinen vollgestopften Koffer und polterte die Treppe herunter.
Drei Stunden später saß ich in dem Flieger Richtung Madrid. Mein Vater war nach zehn Minuten schon ins Land der Träume gesegelt, doch dieses Glück war mir leider nicht vergönnt.
Ich war zwar müde, doch mein Körper weigerte sich, aus einem mir unerklärlichen Grund, einzuschlafen. Ich richtete mein Blick aus dem kleinen Fenster des Flugzeugs und bertachtete mein Spiegelbild.
Lange wellige braune Haare fluteten über meine Schultern und meine ebenfalls braunen Augen blinzelten mir müde entgegen. Ich schätze mich immer als sehr durchschnittlich ein.
Gerade Nase, wellige Haare, matte Augen. Vielleicht ist das einer der Gründe, warum ich noch keinerlei männliche Erfahrung habe. Bisher hat sich einfach noch niemand für mich interessiert.
Gähnend lehnte ich mich zurück und schwebte in einen ruhelosen Schlaf. Goodbye Berlin.
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Aurelia & Jayden- The summer of my life
Ficção AdolescenteVerliebt in einen Lehrer? Das reinste Klischee, denkt die sechzehnjährige Aurelia. Bis es ihr selbst wiederfährt. Doch was ist, wenn sie ihren neuen überaus jungen Lehrer schon vor Schuljahresbeginn kennen- und lieben gelernt hat? Cover by @stylesti...