Zwei Sekunden

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Das kalte Metall des Autoschlüssels an meinen Fingern. Der herzförmige Schlüsselanhänger, den er mir geschenkt hat. So nahe. Mein heißer Atem, der die Wand an der der Schlüssel hängt streift und zurückgeworfen wird auf mein Gesicht. Die Tränen rinnen unaufhörlich über meine Wangen und wollen nicht versiegen.

Leise klimpern die Schlüssel als ich sie schnappe und anfange zu laufen. Zum Auto. Wenig später liegen meine Hände auf dem kühlen Lenkrad, sie zittern merklich. Als ich den Wagen starte jault der Motor auf und mein Herz beginnt zu klopfen. Ich fahre schnell, die Welt da draußen, die Welt von der ich so enttäuscht bin, die Welt in der ich nicht mehr leben will, zieht an mir vorbei. Die Bäume am Rand der Straße sind ein einziger verwirbelter Streifen grün, mehr kann man nicht erkennen. Doch ich will sowieso nichts davon sehen. Aber den Bildern kann ich nicht entkommen, sie jagen mich und zwingen mich, diesen einen Satz immer wieder zu hören. Seinen Satz. Der mich zerbricht, mir wie Glasscherben ins Fleisch schneidet. Der Schmerz, den das auslöst bringt mich zum Keuchen. Immer fester klammere ich mich ans Lenkrad und bohre meine spitzen, rot lackierten Nägel hinein. Das endlose grau der Straße verschwimmt immer weiter durch den Tränenschleier vor meinen Augen. Und die Luft scheint dünner zu werden, denn ich schaffe es kaum, zu atmen. Etwas scheint mich zu fesseln, wie ein Seil und mir gleichzeitig die Freiheit zu lassen, zu gehen. Doch je mehr ich mich bewege, desto weniger Luft bekomme ich. Die Gedanken saußen mir durch meinen Kopf, doch ich bekomme sie nicht zu fassen. Und dann ein Straßenschild. Autobahn. Ich steuere darauf zu, die Reifen quietschen ohrenbetäubend als ich um die Kurve rase. Es ist, als könnte ich bereits den heißen Gummi des Reifens riechen. Er dringt mir in die Nase, stechend und er brennt in meinen rot geweinten Augen. Tränen laufen über meine Lippen, die rau wie Sandpapier sind. Das Radio geht an und eine hohe Frauenstimme meldet einen Geisterfahrer. Das bin ich. Und niemand kann mich mehr ignorieren. Ein Triumph.

Da lichtet sich der Nebel und ich sehe ein rotes Auto auf mich zukommen. Nun schreit alles in mir, die Farbe des Wagens verschmilzt zu einer Einheit. Alles ist rot für meinen Augen und ein panisches Kreischen dringt an meine Ohren. Ich beschleunige automatisch, ohne es zu wollen, doch ich will mich gleichzeitig von meinem Sitz loslösen. Alles ist rot wie Blut und meine Finger sind kalt wie eine Leiche. Entsetzten. Über mich selbst. Es kommt mir vor, als würde die Zeit stillstehen, während ich in meinem Rausch der Gefühle versuche, mich loszureißen. Meine Haare verfangen sich im Schleier der Gegenwart, die Zeit zerrt wie ein hungriges Tier an meinen Handgelenken. Doch es ist mir egal, denn Adrenalin pulsiert durch meine Adern. Angst in den letzten Minuten. Die verbliebenen Herzschläge werden schneller als sonst. Das Auto kommt meinem immer näher. Ich wollte das doch so. Soll ich kurz vor dem Ziel aufgeben? Das Auto weglenken? Fünf Sekunden. Vier. Die Tränen beginnen wieder zu fließen, in ihnen Sehnsucht und Angst. Ich will umdrehen, doch etwas hält mich zurück. Lähmt mich. Ich sehe es. Da ist ein Kind auf der Rückbank. Es hat das nicht verdient. Nur wegen mir. Meine schwitzigen Hände rutschen ab. Eine Entscheidung muss gefällt werden. In zwei Sekunden.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Oct 10, 2015 ⏰

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