Begegnung

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Ich bleibe ganz ruhig und bewege mich keinen Millimeter. "Willkommen im dunklen Wald", flüstert die Person hinter mir. Ein Junge. Ich grinse vor mich hin. Wenn er denkt, dass er mir damit Angst einjagen kann,liegt er falsch. Ich hauche leise zurück: "Willkommen in der tiefschwarzen Nacht"  Meine Stimme klingt stark, kräftig. Selbstbewusst. Ich habe mein wahres ich gefunden. Glaube ich zumindest. Es fühlt sich nämlich so… passend an.Als hätte ich gerade das letzte Teil eines Puzzles eingefügt. Hinter mir höre ich ihn leise lachen. Ich spüre seinen warmen Atem in meinem Nacken. Er lässt mich los und ich bücke mich um mein Handy aufzuheben.                                                         
"Was machst du nachts alleine im Wald?"                    
"Leichen vergraben', sage ich grinsend und drehe mich zu ihm um. Er ist hübsch. Er ist größer als ich, hat dunkle Haare und blaue Augen, die sogar in der Dunkelheit dieser Nacht leuchten und mich erstarren lassen. Er ist nicht bloß hübsch. Er ist unglaublich hübsch. Attraktiv,schießt es mir durch den Kopf. Ich habe keine Ahnung was das Wort genau bedeutet, aber es scheint das richtige für so jemanden wie ihn zu sein. Erlacht.'Mund zu Prinzessin, bevor noch was rein fliegt"  Ich mache ruckartig den Mund zu, funkle ihn böse an und spüre wie Wärme in meine Wangen schießt. Obwohl es dunkel ist, habe ich das ungute Gefühl, dass er das zu sehen scheint. Eine Weile starren wir uns nur an. Okay. Ich starre und er guckt. Mein Herz rast zum zweiten Mal diese Nacht wie wild, nur das es diesmal eine ganz andere Situation ist. "Ich habe dich singen gehört",sagt er schließlich. Damit hat er die Stimmung zerstört. Ich atme tief ein. Das war’s wohl mit dem guten ersten Eindruck. "Tja weißt du, dann kann ich ja deine Leiche gleich auch einbuddeln".                                                                        Er lacht wieder leise und hebt mich dann hoch.  "He, was soll das?",frage ich mit gespielter Wut doch wehre mich nicht gegen ihn. Es gefällt mir. Theoretisch müsste ich mich wehren und weg rennen so schnell ich kann. Aber ich will nicht. Er schweigt und trägt mich durch den Wald. An einer Lichtung machen wir halt. Sie war klein doch wunderschön. Fast so schön wie er. Leider setzt er mich ab, doch ich halte mich an seinem Arm fest. Es scheint ihm nichts auszumachen, er nimmt sogar meine Hand. Während ich weiterhin die Lichtung bestaune, holt er einen Rucksack, der hinter den Gestrüppen gut versteckt war. "Was hast du vor? Mich an einen Baum fesseln und unzüchtige Dinge tun?" Ein Großteil von mir sieht diese Frage nur als sarkastischen Witz, doch ein winzig kleiner Teil irgendwo tief in meinem Hinterkopf verschlossen hofft irgendwie,dass er es tut. Er grinst und öffnet seinen Rucksack."Nein,Prinzessin. Auch wenn die Vorstellung sehr verlockend ist." Schade."Wieso hast du mich hier her gebracht?", frage ich etwas leiser, unsicherer. Er antwortet nicht gleich und holt ein paar Sachen heraus. Ich stehe immer noch am Rand der Lichtung und sehe ihm dabei zu, unschlüssig was ich tun soll. Nachdem er sich erhoben hat, kommt er auf mich zu – ganz nah.    "In der Hoffnung, du hättest ebenfalls vor, die Nacht hier zu verbringen,Prinzessin"  Oh Gott. Keine gute Idee, flüstert eine Stimme in meinem Kopf, kehr um und renn weg. Mir ist schon klar, dass ich das besser tun sollte. Doch auch wusste ich, dass ich es nicht tun werde. Nicht ich. Mein falsches, verunsichertes Krankenhaus-Ich vielleicht. Aber nicht ich. Ich gehe anmutig an ihm vorbei auf die die vom Mond beleuchtete Lichtung und stelle meinen Rucksack neben seinem ab. "Ein sehr verlockendes Angebot, Mister. In der Hoffnung, dass sie mich nicht Nachts doch fesseln, sage ich zu.".      
Er lacht über den Sarkasmus in meiner Stimme. "So etwas würde ichdoch niemals tun, Prinzessin"

Wir liegen nebeneinander im weichen Gras, zugedeckt mit einer weichen Daunendecke und schauen in den Himmel.  "Siehst du dort links den hellen Stern? Er gehört zum Adler. Wenn du die beiden verbindest und dann runtergehst, hast du den Körper. Die zwei Sterne links und rechts bilden die Flügel" , erklärt er mir leise. "Das dort rechts istder Bärenhüter oder?', frage ich ebenso leise.                                                 
"Ja,obwohl ich finde, dass er mehr aussieht wie eine Krawatte"                                                     "Hmm,irgendwie schon. Wenn man es andersrum dreht"
"..."
"..."
"Du, Prinzessin?"
"Ja?"
"Du bist neu hier,oder?"
"Naja,ich war 8 Monate im Krankenhaus. Flugzeugabsturz. 
"Wie heißt du?"
"Horizon Hensley"
"Hensley? Du meinst Lucia und Dave Hensley? Bist su Melanys Schwester?"
"Ja"
"Ich wusste gar nicht, dass sie eine hat. Naja, ich hab mich auch nicht sonderlich gut mit ihr verstanden"
                                                                       Ich stehe auf und trotte langsam Richtung Wald. Ihn höre ich ebenfalls aufstehen. "Wohin gehst du?" Ich halte inne, drehe mich um und lächle leicht: "ne Leiche vergraben" Er geht ein paar Schritte auf mich zu, doch ich hebe die an damit er stehen bleibt.  "Nah! Ich will allein sein!" Ich versuche zu lachen, aber es klingt eher schüchtern. Er seufzt. "Das ist mir schon klar, Prinzessin. Aber da draußen ist es gefährlich" Ich rolle mit den Augen und stemme die Arme in die Hüfte. Ganz sicher werde ich ihn nicht mitkommen lassen. Auf gar keinen Fall.                                                                      Er steht drei Meter weiter hinter einem Baum, während ich mich hinter ein Gebüsch kauere und nachdenke. Er hat so verwundert geklungen als er meinen Namen gehört hatte.Aber das hat mit  Sicherheit nichts zu bedeuten. Vielleicht sind sie einfach etwas bekannter hier in diesem Dörfchen. Ich reiße mich zusammen und schüttle die Gedanken ab. Ich gehe stur an ihm vorbei,um ihm zu zeigen, dass ich es immer noch nicht guthieß, dass er mitgekommen ist. Ich gehe vor. Er hebt mich plötzlich hoch und dreht mich zu sich. Ich sehe tief in seine leuchtend blauen Augen. Er legt die Arme um meine Hüfte und drückt mich enger an sich. Japsend ringe ich nach Luft. Mein Herz klopft wie wild und ich konnte hören, dass seins das ebenfalls tut. Ich mag ihn wirklich sehr. Er ist auch total hübsch. Aber bin ich dazu schon bereit? Wozu schon bereit? Ehe ich weiter nachdenken kann, drückt  er seine Lippen auf meine. Sie sind warm und weich und fühlen sich seltsam an auf meinen rauen rissigen Lippen. Ich spüre ein Kribbeln am ganzen Körper und mir wird ganz warm. Es ist wie ein explodierendes Feuerwerk. Für einen kurzen Moment, einen ganz kurzen, verschmelzen unsereLippen mit einander, bewegen sich miteinander, drängend, wild. Dann wird mir klar was ich hier tue. Es ist falsch. Völlig falsch. Ich weiß nichts über ihn,ich kenne ihn nicht einmal! Und erst recht liebe ich ihn nicht! Ich weiß nicht mal wirklich was Liebe überhaupt ist. Panik steigt in mir auf. Ich stoße ihn mit all meiner Kraft von mir weg und schlage ihm dann kräftig ins Gesicht. Er sieht mich betroffen und verwundert an. Ich habe ihn verletzt, nicht nur körperlich. Aber das ist mir egal. Ich weiche erst ein paar Schritte zurück,bevor ich mich umdrehe und wegrenne. Der Wald rast an mir vorbei und ist nichts weiter als ein Gemisch aus schwarz und dunkelgrün. Tränen kullern meine Wange hinunter. Ich kann ihren salzigen Geschmack auf meinen Lippen spüren. den Lippen, die wenige Sekunden zuvor von einem wildfremden geküsst wurden. Ich denke nicht, renne einfach. Raus aus dem Wald. Erst als ich wieder auf der sicheren Straße bin, fällt mir ein, dass ich meine Sachen zurückgelassen habe. Scheiße. Ich seufze und renne weiter. Den Rucksack kann ich auch morgen noch suchen.                                                                                                                                                                                                                   Mit den schmutzigen Klamotten liege ich im Bett. Immer noch kann ich seine Lippen spüren. Den süßlichen Geschmack. wie Honig. Sein Duft scheint überall zu sein. Frisch, Lavendel und ein bisschen auch nach Himbeeren. Ich schließe die Augen und versuche mühsam das alles zu verdrängen. 

Ich verstecke mich hinter einer Mauer. Mein Herz pocht laut. Hoffentlich verrät es mich nicht. Wer gefunden wird, hat verloren. Ich will nicht verlieren. Wer verliert ist ein Loser und Loser haben keine Freunde,sagt Juli immer. Ich schaue hinab auf meine kleinen Hände. Sie sind zerkratzt,weil ich vorhin in die Dornen gefallen bin. Das hat wehgetan, aber ich habe nicht geweint. Zeige nie deinen Schmerz,hatte Mama immer gesagt. Ich höre Schritte vor der Mauer und überlege. die Gefahr gesehen zu werden ist hoch, aber ich renne trotzdem leise los und verstecke mich hinter einem Gebüsch. Geschafft. Ich wurde nicht gefunden. Ich bin kein Loser. Ich lächle leicht, freue mich darüber entwischt zu sein, als ein Schatten über mir auftaucht. "Gefunden!",sagt er und lacht. Für ihn ist es bloß ein Spiel. Für mich nicht. Es ist Training. Ich darf nicht verlieren. Ich muss ihnen beweisen, dass ich gut bin. Dass ich kein Loser bin. Ich darf nicht verlieren. 

Verlier dich nicht!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt