Besuch

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Klopf. Klopf. Klopf. Ich drehe mich zur Seite und vergrabe das Gesicht im Kissen. Will nicht aufstehen. Mein Kopf ist noch ganz nebelig. Will schlafen. Klopf.Klopf. Klopf. Seufzend setze ich mich auf. "Bin wach",murmle ich verschlafen. Die Tür geht auf und Melly kommt rein. Gerade rechtzeitig ziehe ich die Decke über mich, damit sie meine Klamotten nicht sehen kann. "Frühstück ist fertig, komm runter wenn du fertig bist". Sie lächelt mich an. Ich lächle zurück.Lächle solange bis sie endlich rausgeht. Augen verdrehend stehe ich auf und ziehe saubere Sachen an. Das Rührei schmeckt fantastisch! Gabelweise schiebe ich es mir in den Mund. Eigentlich hatte ich nicht vor, etwas zu essen, aber es ging nicht anders. die Geschehnisse der gestrigen Nacht sind für einen Moment vergessen. Es klingelt an der Tür und Lucia steht auf. Ich schiebe mir gerade eine weitere Gabel in den Mund, als sie zurück kommt und erstaunt sagt: "Horizon,für dich" Ich halte mitten in der Bewegung inne und starre sie an. Sie nickt mit dem Kopf in Richtung Tür. Langsam stehe ich auf, schlucke schwer das Rührei runter und stapfe zur Tür. Für mich? Wer kommt mich bitte besuchen? Alte Freunde? Hoffentlich nicht. Ich hebe den Kopf und schaue in leuchtend blaue Augen. "Was willst du hier?" ,frage ich bissig. Er schluckt. Ich sehe ihm an, dass er nervös ist und nicht weiß, was er sagen soll. Ich warte ungeduldig auf seine Worte. "Ich wollte mich für gestern entschuldigen...", ich funkle ihn wütend an, "...und dir den hier zurückgeben" Er hält meinen Rucksack hoch. Ich reiße ihn an mich und umklammere den Türgriff. "War's das?" ,meine Stimme sollte eigentlich wütend klingend. Leider war es nicht mehr als ein leises, unsicheres Krächzen. Er macht den Mund auf, schließt ihn dann aber wieder, nickt und geht mit kleinen Schritten weg. Ich schließe die Tür und bleibe noch einen Moment stehen. Süß. Er hat sich entschuldigt. Nichtsdestotrotz hat er mich gestern geküsst. Einfach so. Ich stelle den Rucksack im Flur ab und gehe wieder ins Esszimmer. Als ich den Rucksack später öffne, fällt mir als erstes der weiße,ordentlich gefaltete Zettel auf. Er kann nur von ihm sein. Unsicher nehme ich ihn und entfalte ihn mit zitternden Händen. In unordentlicher Schrift wurden ein Name, eine Adresse und eine kurze Nachricht hin gekritzelt:
Jordan Lane
2106 W 300 S
Komm ruhig vorbei, wenn du dich traust.
Jordan, so heißt er also. Der erwartet doch jetzt nicht ernsthaft, dass ich zu ihm fahre. Das kann der sowas von vergessen. Was gestern passiert ist, war eine einmalige Sache. Ich ziehe ein weißes Tank-Top und eine blaue Shorts an, lege mich ins Bett und fange an zu lesen. Mittlerweile ist es 23:00und draußen ist es so dunkel wie in einer Geisterbahn. Ich blättere um, lese, und versuche an nichts anderes als die Worte zu denken. Ich kannte das dramatische Bild der Menschen für Kummer - ein 'gebrochenes Herz'... Ich hatte es immer für eine Übertreibung gehalten, ein gängiger Ausdruck für etwas, das eigentlich keinen körperlichen Aspekt hatte...Daher war ich nicht auf den Schmerz in meiner Brust vorbereitet. Auf die Übelkeit ja, auf den Kloß in meinem Hals auch, und ja, auch auf die Tränen, die mir in den Augen brannten.Aber was war das für ein Reißen direkt unter meinen Rippen? Es ergab keinen Sinn.Wütend klappe ich das Buch zu und schmeiße es vom Bett. Muss es immer um Liebe gehen? Ich stehe auf, schlüpfe in meine Sneakers und springe wie am Vortag aus dem Fenster.Heilige scheiße ist es kalt. Ich zittere. Mein Atem hinterlässt kleine weiße Wolken in der klaren Luft. Ich sehe nach oben und seufze. Hochgehen und Jacke holen wäre zu laut, also tapse ich leise zur Garage und hole mein Fahrrad. Ich schwinge mich auf den Sattel und fahre los; eine Hand am Lenker, in der anderen das Handy. Ich tippe die Adresse in Maps ein und merke mir den Weg. Ich fahre los und werde immer schneller. Spüre den kalten Wind in meinen Haaren, als ich an Feldern und Häusern vorbei rase. Denke an nichts. Links abbiegen, rechts,links und nochmal rechts. Und dann bin ich da. Ich stehe vor einem kleinen süßen Haus, in dem noch Licht brennt. Er ist noch wach. Oder seine Eltern. Stur gehe ich auf die Tür zu. Wenn ich schon mal hier bin, kann ich ihn ja auch besuchen. Und wenn seine Eltern aufmachen sollten, lasse ich mir irgendeine Ausrede einfallen.Klopf.Klopf. Klopf.
Meine Hände klingen unheimlich laut in der Stille. Schritte nähern sich und ein Junge öffnet die Tür. Nicht Jordan. Der hier sieht anders aus. Zwar auch unglaublich heiß aber...anders einfach. Vielleicht ja sein Bruder. Ich schlucke und fühle mich plötzlich ganz klein. Er zieht eine Augenbraue hoch und ich schrumpfe immer mehr in mir zusammen. "Ich,äh...",krächze ich und überlege noch was genau ich sagen soll, als er auftaucht. Jordan steht plötzlich hinter ihm und lächelt mich an. "Na, Prinzessin. Ich dachte schon du kommst gar nicht mehr.", sagt er grinsend und schiebt sich an dem anderen vorbei um mich in den Arm zu neben. Ich stoße ihn weg. "Sei froh, dass ich überhaupt gekommen bin.Mistkerl" Er lacht und nimmt trotz meines Widerstands meine Hand, um mich ins Haus zu ziehen. Sobald sie wieder frei war, boxe ich ihm gegen die Schulter. Hart. Und nicht aus Spaß. Er grinst nur. Der andere beobachtet uns mit hochgezogener Braue. Ich lasse den Blick durch dasWohnzimmer schweifen - eine gemütliche Couch, riesiger Flachbildschirm,Playstation und Xbox, zwei große Boxen rechts und links, ein weißer Tisch mit Chips und Cola drauf. Ich merke, wie Jordan seine Arme um meine Hüfte legt und seinen Kopf auf meinen legt. Ich rebelliere nicht. Er haucht mir etwas ins Ohr und ich folge ihm auf sein Zimmer. Ich liege auf seinem Bett, mein Kopf in seinem Schoß, und wir unterhalten uns. Kein bestimmtes Thema, einfach was uns in den Sinn kommt. Ich lausche seiner Stimme und sehe dabei in seine leuchtenden Augen. Atme seinen unwiderstehlichen Duftein, beiße mir auf die Unterlippe und höre weiter zu. In meinem Kopf lasse ich unseren Kuss Revue passieren: seine weichen, warmen Lippen. Wie sie sich auf meine drückten und mein ganzer Körper kribbelte. Seine Hand an meiner Hüfte,leicht unter meinem Shirt. Mein Herz pocht ein wenig schneller und mein Körper wird von einem wohligen Zittern umgeben. Wenn ich so im Nachhinein daran denke,war es doch irgendwie wunderschön. Meine Lider werden schwerer und ich schließe die Augen. Seine Stimme klingt nun wie ein Schlaflied."Horizon?Du bist müde, Prinzesschen, Schlaf etwas"
Ich nicke benommen und kuschle mich an ihn. Ich spüre noch wie er mich zudeckt und durch meine Haare streichelt.

Meine Füße tragen mich wie von selbst über die Wiese. Immer wieder bleibe ich mit meiner Jacke an Ästen hängen, bis ich sie schließlich wegwerfe. Keuchend bleibe ich plötzlich stehen. Ich muss mich festhalten um nicht um zu kippen. Mein Atem geht stockend und ich kriege immer weniger Luft. Panisch atme ich ein und huste. Ich versuche zu schreien doch kein Ton kommt raus. Ich klopfe mir auf die Brust und versuche Luft in meine Lunge zu lassen. Nichts. Mein Kopf wird nebelig. Ich klappe weg.Liege auf dem feuchten Waldboden und kämpfe um Luft. Bis plötzlich alles schwarz wird.

Ich strecke mich und schlage die Augen auf. Gähnend schiebe ich die Decke weg und stehe auf. Ich sehe mich im Zimmer um. Das ist nicht meins. Kein Holz, keine blauen Wände.Stattdessen ist es hier schwarz. Die Wände, die Bettdecke und der schlichte Schreibtisch - alles schwarz. An der einen Wand hängen Bilder, Notizzettel,Zeitungsausschnitte und Bändchen. Es gibt einen Fernseher und eine kleine Musikbox. Außerdem noch einen PC und viele Bücher die in einem ebenfalls schwarzenRegal ordentlich nebeneinander stehen. Langsam bekomme ich Panik, doch dann fällt es mir wieder ein. Ich bin bei Jordan. Dem mystischen Junge aus dem Wald.Leise öffne ich die Tür. Von Unten kann ich Geschirr hören. Mein Magen macht sich bemerkbar. Ich habe mordsmäßigenHunger. Ich setzte einen Schritt vor die Tür doch dann fällt mir auf, dass ich nur Unterwäsche trage. Scheiße. Wir haben doch hoffentlich nichts Unanständiges getan. Angestrengt erinnere ich mich an gestern Abend zurück. Nein, soweit ich weiß nicht. Zum Glück. Ich atme erleichtert aus. Ich sehe mich im Zimmer um, kann meine Sachen aber nicht finden. Immer noch leise schleiche ich die Treppe hinunter in die Küche. Ich hatte mir ein T-Shirt von Jordan genommen, welches mir bis zur Hälfte der Oberschenkel reicht. Grinsend schaue ich den Jungs zu,wie sie den Tisch decken - für drei Personen. Wie niedlich. Langsam fange ich echt an Jordan zu mögen. Im Gegensatz zu den Jungs denen ich sonst so auf den Straßen und im Krankenhaus begegnet bin, ist er total sympathisch. Er kümmert sich um mich. Und obwohl ihm offensichtlich was an mir liegt, akzeptiert er,dass ich nichts von ihm will. Noch nicht.Wer weiß wie sich die Dinge entwickeln. Wieder schießt mir der Kuss in den Kopf.
Ich spüre diese weichen Lippen auf meinerWange. Jordans Kuss hat mich aus meinen Träumen geriss
"Morgen Prinzessin",
Ich bin nicht in der Lange etwas zu sagen. Ich spüre wieder dieses kribbeln am ganzen Körper. Hitze schießt mir in die Wangen und weil ich nicht will, dass er sieht wie ich knallrot werde,sehe ich verlegen auf den Boden. Ich höre ihn leise lachen. Ich atme tief ein,schlucke. Das wird ein ganz normales Frühstück. Genauso normal wie bei Lucia und den anderen. Was sie jetzt wohl machen? Ein Blick auf die Uhr sagt mir,dass es neun Uhr ist. Ich stelle mir vor wie Melly die Treppe runter rennt undruft: "Mom!Horizon ist weg!" Mom würde schmunzeln und ihr antworten, dass ich mit Sicherheit bald wiederkomme. Melly wird besorgt hin und her laufen und auf einem Croissant rum kauen, während Dad die Zeitung liest und Mom misstrauisch anstarrt. Sie trinkt seelenruhig ihren Espresso und schaut lächelnd aus demFenster. Ja, genauso wird es sein.

"Nein, wirklich. Du musst nicht mitkommen. Ich weiß den Weg" "Bist du dir sicher?Tagsüber ist mehr Verkehr als Nachts un-" Ich grinse. "Ja,total viel Verkehr. Jetzt sind's fünf anstatt zwei Autos pro halbe Stunde. Ich glaube damit komme ich klar". Er seufzt und nickt schließlich. Also fahre ich los und winke ihm noch einmal.

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