Ich fahre so schnell, wie es mein Rad erlaubt. Die Straßen, Häuser und Bäume verziehen sich zu einer unscharfen Landschaft. Kühler Wind peitscht mir ins Gesicht und bläst die Haare nach hinten. Es ist kaum jemand unterwegs; gelegentlich sehe ich ein paar Leute mit ihren Hunden oder vollgepackt mit Einkaufstüten, aber sonst ist es erstaunlich leer für einen Freitagnachmittag. Ich fahre etwas langsamer, da ich den etwas längeren Weg Richtung Stadt nehme. Jetzt begegne ich schon mehr Menschen, aber niemand beachtet mich. Ich fahre weiter und überlege, ob ich nicht einen kleinen Abstecher in die Stadt machen soll, als mir auffällt, dass ein junger Mann mich anstarrt. Ich trete schneller und biege links ab. Heute lieber keine Stadt. Ich fahre gerade rechts in die Straße zu unserem Haus ein, als ich Rufe hinter mir wahrnehme: "Hey, warte mal!"
Ich überlege was ich tun sollte, und entscheide mich dafür anzuhalten. Vielleicht lässt er mich ja dann in Ruhe. Atemlos kommt er neben mir zum Stehen. Keuchend sieht er mich an. "Du bist es! Du...du bist es wirklich!", haucht er. Ich starre ihn verunsichert an. Ist der verrückt oder so? Ein breites Lächeln erscheint auf seinem Gesicht und er schließt mich in seine Arme. Erschrocken schnappe ich nach Luft. Im ersten Moment bin ich zu erschrocken um zu denken, doch dann stoße ich heftig von mir weg. "Wer sind sie und was wollen sie von mir?",stoße ich panisch hervor. Er lacht nur. Ich sehe ihn fassungslos an. Was ist daran lustig?. Er hört auf zu lachen und sieht mich immer noch lächelnd an. "Wir haben dich alle so vermisst. Das muss ich sofort den anderen erzählen. Wo bist du solange gewesen?" Gewesen? Ist er jemand den ich kannte? Vor dem Flugzeugabsturz? Es könnte möglich sein. Als er meinen verwirrten Blick sieht, schwindet sein Lächeln. "Du weißt doch noch wer ich bin, oder Horizon?" Ich schüttle zögernd den Kopf. Er kennt meinen Namen. Er kennt mich. Aber ich kenne ihn nicht. Zumindest nicht mehr. Sein Blick wird jetzt traurig, enttäuscht . Sein Lächeln ist gänzlich verschwunden, das glänzende, frohe Funkeln in seinen Augen erlischt. Seine Schultern sacken nach unten. Er sieht mich an. "Ich bin es, Hori. Noah. Noah Hathaway" Der Name sagt mir rein Garnichts. Aber das ist ja auch klar; wenn er jemand aus meinem früheren Leben ist, kann ich mich nicht mehr daran erinnern - alle meine Erinnerungen sind ausgelöscht. Er schluckt als ich nicht Antworte. Er öffnet den Mund, schließt ihn dann aber wieder. Ich sehe, dass er nicht weiß was er sagen soll. Nacht weiteren, stillen Minuten sagt er schließlich doch etwas: "Du bist es doch? Du bist doch Horizon, oder? Horizon Astlane. Du bist es, dass weiß ich doch" Ich überlegte. Horizon, ja. Astlane, nein. Ich bin Horizon Hensley. Also schüttle ich den Kopf. Auch wenn er mich scheinbar zu kennen glaubt: er ist mir unheimlich und ich will schnellst möglich weg. Ich steige wieder auf mein Rad und gerade als er den Mund öffnet, fahre ich so schnell ich kann los. Ich höre seine Rufe. Sie verklingen je weiter ich fahre; er folgt mir nicht.Ich sitze jetzt schon seit gefühlten zehn Stunden auf meinem Bett. Einen warmen Kakao auf dem Nachtischschrank, ein Zettel auf meinem Schoß, einem Keks in der einen Hand und einen Stift in der anderen. Als ich nach Hause kam, habe ich sofort Mum nach einem Noah Hathaway gefragt, doch sie sagte, dass sie keinen kennt. Danach bin ich auf mein Zimmer und habe erst einmal eine Weile nachgedacht und mich, vergeblich, versucht zu erinnern. Als das alles nichts brachte, habe ich mir meinen Laptop geschnappt und nach 'Horizon Hensley" , "Hensley" und "Noah Hathaway" gesucht. Bei Hensley hatte ich keinen Erfolg, bei Noah wiederrum habe ich ein wenig gefunden. Also hatte ich mich mit einem Block auf meinem Bett nieder gelassen und eine Liste zusammengestellt:
Noah Hathaway
Student (Alchemie), Harrison College
2o Jahre alt
Helfer in einem Tierheim
Scheint sich sicher zu sein mich zu kennen
Kennt meinen Vorname, aber anderer Nachname
Meint man hätte mich vermisst
Mehr habe ich noch nicht zusammen. Angestrengt überlege ich wie es weiter gehen könnte. Ich könnte ihn ausfindig machen und ihn zur Rede stellen oder die ganze Sache fallen lassen. Ich entscheide mich erstmal für letzteres. Ich muss mich nach den Ferien auf die Schule konzentrieren, da kann ich mich nicht mit unnötigen Dingen aufhalten. Ich habe zwar im Krankenhaus vieles nachgeholt - eigentlich so gut wie alles: Bruchrechnung, Prozent und Zins, Chemie, Physik, Spanisch, Französisch und Latein, und noch anderes. Das einzige was ich noch konnte war reden, lesen, schreiben und Grundrechnen - aber trotzdem war ich noch nicht auf dem kompletten Stand der anderen Sophomore. Sophomore sind die 10.Klässler an einer High-School. In der 9. Gilt man als Freshman. 11. Ist Junior und danach kommt Senior. Das hatte man mir beigebracht. Also verstaute ich den Block, trank den Kakao aus und aß alle Kekse, brachte alles in die Küche und setzte mich an meine Schul-Vorbereitungs Bücher. Ich wollte noch mehr lernen, damit ich später nicht als dumm dastehe. Ob mich jemand in der Schule kennt? Vermutlich nicht, da ich vorher auf eine andere Schule gegangen bin. Dad hat mir erklärt, dass sie es gemacht haben, damit ich nicht von Leuten aus meinem früheren Leben bedrängt werde. Irgendwie finde ich es ja schon gut. Ich habe Angst mich mit der Vergangenheit zu konfrontieren. Mein Ich, dass ich im Wald hervorgerufen habe, mein wahres Ich, ist verschwunden, als ich Noah getroffen habe. Sogar schon vorher, glaube ich. Einfach ausgelöscht.Puff. Jetzt ist mein verunsichertes, erinnerungsloses Ich zurückgekehrt. Das, welches sich nach dem Absturz entwickelt hat. Das Angst vor allem und jedem hat, sich nichts traut und hinter einer Maske versteckt, oder eben hinter Schulbüchern. Ich büffelte den ganzen Nachmittag. Irgendwann ruft mich Melly zum Abendessen und ich schlurfe die Treppen hinunter. Zum Glück stellte niemand Fragen, wo ich gewesen bin.
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Verlier dich nicht!
Science FictionHorizons Erinnerungen sind durch einen Flugzeugabsturz ausgelöscht. Das glaubt sie zumindest. Sie brauch lange um sich einzugewöhnen und sich selbst zu finden, doch es gibt viele Dinge die ihr das noch erschweren. Fremde Menschen auf der Straße spre...