Kapitel 13

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Goldkralle erwachte blinzelnd auf und blickte durch den Eingang des Schülerbaus. Es war der Morgen vor der Großen Versammlung. Sie hoffte sehr, dass Rotstern ihr erlaubte, mitzugehen, denn sie konnte viel von ihren Gegnern lernen, um sie im Ernstfall außer Gefecht zu setzten. Ich denke jetzt schon wieder nur ans Kämpfen und Gewinnen, genauso wie meine Mutter. Seufzend erhob sie sich auf die Beine und ließ den Blick über den Clan schweifen. Die Katzen wirkten nervös und aufgeregt, so, wie sie es immer vor der Großen Versammlung waren. Das wusste Goldkralle aus ihrer Jungenzeit, denn da war selbst ihre Ziehmutter Grünherz aufgeregt, obwohl sie ja eigentlich bei ihren Jungen in der Stube bleiben musste. Quietschend kam Samtpfote in den Bau gehüpft und hielt sofort inne, als sie bemerkte, dass Kleinpfote immernoch schlief. "Rotstern hat gesagt, ich darf zur Großen Versammlung gehen!" Samtpfotes fröhlicher Ton war kaum zu überhören und weckte Kleinpfote. "Schön für dich." brummte der weiße Kater und, rollte sich von ihr weg und schlief wieder ein. "Hast du auch gefragt, ob ich mitkommen kann?" fragte Goldkralle hoffnungsvoll, doch Samtpfote schüttelte den Kopf. "Nein, aber ich glaube, er will dir etwas mitteilen. Ich habe gehört, wie er mit Honigpelz geflüstert hat und dabei deinen Namen nannte. Rotstern hat..." Der Kriegerin lief ein Schauer über den Rücken als sie diese Worte hörte, den Grund wusste sie nicht. Sie schlug sich mit der goldenen Pfote ein paar mal auf die Ohren und wandte sich dann wieder Samtpfote zu. "...weil es zu viele Krieger wären. Goldkralle, hast du mir überhaupt zugehört?" Goldkralle nickte freundlich, doch Samtpfote schnaubte und kehrte ihr den Rücken zu, als sie ärgerlich aus dem Bau stolzierte. Die Kriegerin musste grinsen und glitt langsam aus dem Bau. Sie wollte mit Rotstern sprechen, dringend! "Rotstern, Rotstern!" rief Goldkralle, als der graue Kater überrascht ihr den Blick zuwendete. Goldkralle rannte auf ihn zu und normalerweise wäre sie ihrem geliebten Anführer über den Haufen gerannt. Doch irgendetwas hielt sie zurück und sie schaffte es, in einer Fuchslänge Abstand inne zu halten. "Hallo, Goldkralle. Ich möchte dich gleich in meinem Bau sprechen. Warte kurz." Merkwürdig, dachte Goldkralle. Aus seinem Bau kam ein schriller Schrei: "Das geht nicht! Das kannst du nicht tun!" Es war Honigpelz' Stimme. Die goldene Kätzin rannte aus dem Bau und fauchte, Rotstern kam aus dem Bau getorkelt, schien seiner Gefährtin aber nicht folgen zu wollen. Goldkralle bemerkte einen tiefen Kratzer an seiner Flanke, aus dem unaufhörlich Blut rinn. "Ähm, vielleicht sollten wir später..." hob sie an, doch Rotstern legte seinen Schwanz über ihren Mund und deutete ihr, zu folgen. Zwar zeugte seine Körpersprache von höchstem Stolz, dennoch konnte Goldkralle die Trauer in seinen Bernsteinaugen sehen, aber auch Wut. Leise kroch er in den Anführerbau und setzte sich vor sein Moosbett. "Also Goldpfote, ich hatte letztens einen Traum, und irgedwie habe ich das Gefühl, du solltest es wissen. Also, ich war auf einer Wiese, die Sonne schien und ließ ihre goldenen Strahlen über den See scheinen. Plötzlich jedoch wucherte Feuer über dem See und ließ das gesamte Wasser verdunsten, nur ein paar Salzkristalle glitzerten am Grund. Dort, wo unser See war, schneite es und der Schnee füllte den See wieder auf." Rotstern verstummte kurz, dann führte er seine Rede fort: "Ich bin mir nicht ganz sicher, was es bedeuten soll, aber ich kann es ahnen." Er stoppte noch einmal, er schloss die Augen und als er sie wieder öffnete, war ein merkwürdiges Leuchten zu sehen. "Hör gut zu, Goldkralle, diese Worte die ich jetzt sage, könnten meinen Tod bedeuten. Ich sage sie, um dich zu beschützen, und mit dir den gesamten Clan." Goldkralle hielt den Atem an, sie wollte ihm sagen, zu schweigen, aber ihre Ehrfurcht hielt sie zurück. "Hast du in letzter Zeit von einer weißen Katze geträumt, eine Kätzin mit langem Fell und bunten Augen?" Goldkralle nickte, und irgendwie machte sich in ihrem Bauch ein Schuldgefühl breit, denn sie hätte ihrem Anführer dies schon längst sagen sollen. "Diese Kätzin ist gefährlich. Sehr sogar. Sie kann Katzen ganz leicht beeinflussen, nur durch ihren Blick und ihre Schönheit. Aber vor allem hat sie eine Fähigkeit, die ich noch nie bei einer anderen Katze erlebt habe oder erzählt bekommen habe: Sie kann, Dinge, die nicht wirklich da sind, sichtbar machen. Besser gesagt, sie kann dich glauben machen, dass hier zum Beispiel ein Dachs ist, der dich fressen möchte." Goldkralle neigte den Kopf und kniff die Augen zusammen, angestrengt versuchte sie die Worte zu ordnen. Der getupfte Anführer schnaubte belustigt und sagte dann: "Ich weiß, ich kann nicht gut erklären, aber schau:" Er zeigte mit seiner Vorderpfote auf den Moosballen. "Stell dir vor, das wäre ein Dachs. Wenn er dich anfallen würde und seine Zähne in deine Pfote rammen würde, würdest du den Schmerz stechend durch deinen Körper spüren. Genau das kann diese Kätzin. Sie kann dich glauben machen, dieser Moosballen wäre ein Dachs, und du würdest auch seine Zähne spüren und seinen Atem riechen, obwohl alle anderen nichts sehen würden und nur dir beim Todeskampf zusehen müssen. Der Glaube ist stark, Goldkralle. Er kann dir Leben geben aber auch den Tod. Was ich jetzt eigentlich sagen möchte ist: Du bist ihre Tochter. Und das bedeutet, nur du hast ebenfalls diese Fähigkeit. Etwas wird auf uns zukommen, Goldkralle, etwas, was uns für immer auslöschen könnte. Und ich glaube, nein, ich weiß dass nur du uns davor beschützen kannst. Du musst diese Fähigkeit lernen, Goldkralle, du musst. Und auch nur du kannst diese Fähigkeit lernen, weil es in deinem Blut ist. Es ist deine Bestimmung." Die Kätzin konnte nur auf das rot-getupfte Fell starren, und schüttelte den Kopf, um die Worte nocheinmal zu ordnen. Aber jetzt gab nichts mehr einen Sinn, sogar noch weniger Sinn als zuvor. Draußen hörte sie Honigpelz nach Rotstern rufen und sah durch die Farnwedel am Eingang die zweite Anführerin auf den Bau zurennen. Als sie den Kopf durch den Eingang steckte, rollten ihre Augen von Goldkralle zu Rotstern und dann wieder zu Goldkralle. "Nein. Du hast es ihr nicht gesagt, du kannst es nicht gesagt haben." Rotstern aber nickte nur, seine Trauer spiegelte sich nun auch in seinem hängendem Schweif und den hängenden Ohren. Plötzlich brach Honigpelz zusammen, schrie, biss in die Erde und weinte wie ein Junges, dass von einem Dachs angegriffen wurde. Sie schlug ihre Krallen in den Boden, sodass einige sogar abbrachen, und kreischte: "Wie kannst du mir das antun, Rotstern, wie nur? Wie kannst du das unseren Jungen antun?" Goldkralle war sich dem Ausmaß des Streits bewusst und zog sich langsam zurück. Ihr Kopf brummte und sie war überwältigt von Trauer. Doch anderseits musste sie sich überlegen, was die Prophezeiung bedeutete und wie sie diese Fähigkeit lernen konnte. Plötzlich schien es ihr, als säße die Last des gesamten SternenClans auf ihren Schultern.

WARRIOR CATS Tödlicher BlickWo Geschichten leben. Entdecke jetzt