Kapitel 8

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SAMTPFOTE WATETE mit angewidert gekräuselter Nase durch den kleinen Bach, um sich die Mäusegalle vom Pelz zu waschen. Die Zecke an Sandpelz' Hinterteil war hartnäckig gewesen und Samtpfote hatte mehrere Gallenmooskügelchen gebraucht, um sie endlich erledigen zu können. Sie fand es gar nicht mehr so schrecklich, sich um Sandpelz zu kümmern, denn er hatte immer klasse Geschichten parat. Als sie endlich ihre Waschaktion beendet hatte setzte sie sich auf den warmen Boden und leckte sich trocken. Dann hörte sie etwas zwischen den Büschen rascheln. Langsam schlich sie sich an und entdeckte ein fettes Kaninchen, welches an dem Bach kauerte und trank. Glücklicherweise trug der Wind den Duft des Kaninchens zu ihr, nicht zum Kaninchen. In der Kauerstellung kroch sie auf das Kaninchen zu und sprang dann mit einem lauten Knurren auf das ahnungslose Tier. Sie hielt es mit ihren Krallen fest und fuhr diese über seine Kehle. "Guter Fang!" Samtpfote drehte sich um und erblickte Streifenjunges und Tigerjunges. "Was sucht ihr hier? Solltet ihr nicht in der Kinderstube sein?" Tigerjunges schüttelte aufmüpfig den Kopf und brüstete: "Wir sind jetzt Schüler! Meine Mentorin ist Tupfenfell. Sie ist die beste Kriegerin auf der Welt!" - "Meine Mentorin ist Honigpelz! Ha! Ich werde vom zweiten Anführer ausgebildet!" - "Na und? Tupfenfell ist viel besser!" - "Gar nicht wahr!" schon stürzten sich die beiden aufeinander. Samtpfote beeilte sich, um ihrer Freundin Rosenjunges, die wahrscheinlich jetzt Rosenpfote heißt, zu gratulieren. Als sie in einem gemäßigten Tempo auf das Lager zuschritt, bemerkte sie schon das gewöhnliche rege Treiben des Clans. Rosenjunges starrte mit glänzenden Augen auf Grauschweif, der ihr etwas erzählte. Als Samtpfote sich etwas näherte, bemerkte sie in Rosenjunges' Augen ein beunruhigtes Glitzern. Grauschweif verabschiedete sich mit einem freundlichen Stups und ging eilig davon. "Hallo Rosenjunges!" Rosenjunges drehte sich zu Samtpfote und leckte ihrer Freundin kurz über den Kopf. "Ich heiße jetzt Rosenpfote. Grauschweif ist mein Mentor. Du hast alles verpasst!" Erschrocken blickte die blassgelbe Schülerin auf das hellgraue, verstrubbelte Fell Rosenpfotes. Dann strich Rosenpfote kurz mit der Pfote über ihren Kopf und murmelte dann: "Nein, es ist nicht deine Schuld. Die Sache ist nur, dass ich auch Heilerin werden möchte." - "Aber der Clan hat schon zwei Heilerinnen!", rief sie empört, "Sonst darf ich auch nicht mehr!" Sofort schloss sie den Mund und versuchte ihre Freundin auf andere Gedanken zu bringen. "So meinte ich das nicht." murmelte Samtpfote dann und leckte der grauen Kätzin liebevoll über die Ohren. "Es ist nur so, dass wir dich nicht als Kriegerin entbehren können. Und außerdem glaube ich, dass Kleinpfote ein Auge auf dich geworfen hat." Zwar war das vollkommen gelogen, aber sie musste Rosenpfote irgendwie davon abhalten, Heilerin zu werden, denn sonst würde Samtpfote keine Heilerausbildung bekommen. Die herzlose und egoistische Lüge versetzte Samtpfote einen Stich, denn sie hatte noch nie gelogen. Rosenpfote seufzte und sagte dann: "Du brauchst mich nicht anzulügen. Ich weiß, dass ein Clan so viele Krieger wie möglich braucht, und nicht so viele Heiler wie möglich. Zur Zeit haben wir auch keine Jungen. Aber so viele Schüler. Also werde ich zum besten des Clans den Traum, eine Heilerin zu werden, aufgeben, um eine Kriegerin zu werden." Samtpfote bewunderte die kleine Kätzin wegen ihrer Weisheit. So hatte sie selbst nicht gedacht. Rosenpfote leckte ihr einmal rasch über die Ohren und stolperte dann zum Bau der Schüler. Die gelbe Kätzin trug ihr Kaninchen zum Bau des Ältesten Sandpelz. Dieser schien zu schlummern, öffnete jedoch die Augen, als der Duft des Kaninchenfleischs ihn erreichte. Der gelb-braune Kater rappelte sich auf und blickte Samtpfote in die Augen. "Gut, dass du kommst.", krächzte er, "Ich sterbe fast vor Hunger." Samtpfote nickte höflich und legte das Kaninchen vor seine Pfoten. Sandpelz schob das Tier zu Samtpfote hinüber und brummte: "Iss du doch auch was." Die Schülerin biss ein kleines Stück ab, merkte dann jedoch, wie hungrig sie war, und biss noch ein Stück ab. Der Kater brummte belustigt und riss das Kaninchen mit seinen scharfen Krallen auseinander. "Hier." sagte er und stupste Samtpfote an. Die Kätzin hob den Kopf und murmelte dann: "Aber... Das entspricht doch nicht dem Gesetz der Krieger. Zuerst wird der Clan versorgt." Sandpelz miaute nur belustigt: "Der Clan ist versorgt. Und wenn dir ein Clan-Ältester erlaubt, mit ihm zu essen, dann ist das eine große Ehre." Samtpfote nickte peinlich berührt und aß ihren Anteil an Frischbeute auf, während sie immer wieder an Goldpfote denken musste. Hatte sie schon gegessen? "Ich... muss gehen, glaube ich.", sagte sie, "Vielleicht hat Goldpfote noch nicht gegessen." Der Älteste nickte und krächzte: "Ich bin stolz auf dich. Du wirst eine wirklich gute Heilerin werden." Samtpfote erstarrte. Es muss sich herumgesprochen haben, dass sie ihr Kriegerdasein aufgeben wollte, doch nach den Worten von Rosenpfote war sie sich gar nicht mehr so sicher, ob es sich auch wirklich für den Clan lohnte, eine Heilerin zu werden. Sie verabschiedete sich mit einer kleinen, unbeholfenen Verneigung und trottete dann zum Bau der Heiler. Dort lag Flockenpfote mit unterschlagenen Pfoten auf dem Boden und beobachtete die Kranken. "Wo ist Silbertüpfel?" fragte Samtpfote und legte sich neben die Heilerschülerin. "Sie sucht Schachtelhalm. Es ist schon fast aus. Ich soll hier die Verletzten bewachen." Samtpfote schaute sich um und sah nur Goldpfote und Schwarzauge. Die hellbraune Kätzin war nicht so stark verletzt und hatte nur einen einzigen tiefen Biss am Rücken. Goldpfote jedoch sah aus wie eine halbe SternenClan-Kriegerin, nur an der leichten Bewegung ihrer Flanken konnte man überhaupt erkennen, dass sie noch lebte. In dem Moment kam Silbertüpfel hereingetrottet und blickte die schwarze Schülerin mit den ungewöhnlich goldenen Pfoten traurig an. Samtpfote schlug das Herz bis zum Hals. Flockenpfote schien die Beunruhigung ihrer Mentorin bemerkt zu haben und blickte sie mit großen, fragenden Augen an. Die silberne Heilerin brach die Stille und sagte: "Ich habe Rotstern gerufen. Er... er wird die Kriegerzeremonie für sterbende Schüler durchführen." Samtpfotes Glieder wollten ihr nicht mehr gehorchen. Sie schwankte und hielt den Atem an. Er wird was? Die Schülerin konnte es kaum glauben. Wie konnte die Heilerin nur so schnell die Hoffnung aufgeben? Sie betrachtete noch einmal das schwarze Fellbündel. Es sah schwach aus und zerbrechlich. Flockenpfotes Augen waren ebenfalls glasig vor Trauer um ihre ehemals engste Freundin. Silbertüpfel entfernte den Schutzwall für den Heilerbau und ließ ein paar Katzen hereinkommen. Pfützenpelz, Grünherz und natürlich Graupelz stolperten in der Reihe hinter Rotstern her und starrten auf die Schülerin. Rotstern murmelte ein paar unverständliche Worte an Goldpfote und sagte dann mit schmerzender Stimme: "Diese Schülerin hat mehr Mut und Entschlossenheit bewiesen als viele andere Krieger. Leider kamen diese Eigenschaften vor ihrem Verstand, doch wir alle können etwas von ihr lernen. Manchmal bringt es nichts, zu grübeln und seinem Feind in die Augen zu starren, sondern manchmal muss man sich ins Geschehene stürzen, um seinen Clan zu beschützen." Der Anführer stoppte und rief dann: "Ich, Rotstern, Anführer des SeeClans, bitte meine Kriegerahnen auf diese Schülerin herabzuschauen. Sie hat das Gesetz der Krieger erlernt und im Dienste ihres Clans ihr Leben gegeben. Möge der SternenClan sie als Kriegerin zu sich nehmen." Er stockte wieder und flüsterte Goldpfote zu: "Ich hoffe, der Name wird dir gefallen." Dann fuhr er die Zeremonie fort: "Sie wird als Goldkralle bekannt sein und dem SternenClan als Kriegerin beitreten. Der gesamte Clan trauert um die fröhliche und selbstbewusste Kriegerin." Rotstern ließ Goldkralles Angehörige allein trauern und verließ die Heilerstube.

WARRIOR CATS Tödlicher BlickWo Geschichten leben. Entdecke jetzt