Die Fahrt zum nächstgelegenen Spital wird in Zukunft auf jeden Fall auf meiner Liste der einem am längsten vorkommenden Zeitspannen stehen. Ich kann an nichts anders denken, als an den Unfall. Das Ereignis wiederholt sich immer wieder vor meinen geschlossenen Augen. Es ist schrecklich zu sehen wie er von der Straßenbahn umgefahren worden ist, seine ganzen Verletzungen zu sehen. Doch auch wenn ich meine Augen öffne, ist es nicht besser. Der Krankenwagen wackelt über meinem Kopf und die Jungs sitzen oder liegen eher auf Liegen neben mir. So weit ich es mitbekommen habe, kam die Feuerwehr kurz nach dem wir unfreiwillig eingestiegen waren. Mein Kopf ist allerdings zu benebelt, als dass ich verstehen könnte warum die Feuerwehr gekommen ist.
Jetzt starre ich an die Decke über mir und kann die Bilder immer noch nicht verdrängen. Es scheint als wären sie für immer und ewig in meine Netzhaut gebrannt. Ich versuche zu verarbeiten und zu realisieren, was vor nicht einmal fünfzehn Minuten passiert ist. Doch mein Gehirn will immer noch nicht wahrhaben, dass ich mich mit zwei meiner besten Freunden auf dem Weg ins Spital befinde. Lucas und Marcus beobachten mich mit glasigen Augen und hoffen, dass ich endlich wieder den Mund aufmachen würde. Für mich ist es nämlich überhaupt nicht typisch, wenn ich mal länger als drei Minuten still bin. Trotzdem bin ich nicht in der Lage irgendetwas zu sagen. Ich weiß, dass sie hoffen, dass ich etwas sage um die Lage zu bereden und gleichzeitig fühle ich mit ihnen ihre Angst, dass es, sobald es mal ausgesprochen ist, endgültig ist und nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Aber das ist Blödsinn, das weiß ich ebenso gut wie die zwei. Weil das hier, das würden wir nie wieder rückgängig machen können.
Die Ärzte und Sanitäter im Wagen unterhalten sich leise miteinander. Allerdings immer noch laut genug, dass wir einzelne Wörter heraus hören können: "...tragisch...Unfall..nicht schaffen... Jugend... besser aufpassen...leichtsinnig...hoffentlich..." Nach diesen kurzen Gesprächsfetzen beginne ich zu zittern und die Tränen fließen schneller als je zuvor. Auch Lucas rinnen nun Tränen über sein schmerzverzerrtes Gesicht. Marcus steht der Schreck förmlich ins Gesicht geschrieben.
Wie aus einer anderen Welt nehme ich wahr, wie der Krankenwagen langsamer wird, bis er schließlich ganz zum Stillstand kommt. Die Sanitäter geben uns weiter an Ärzte in der Notfallaufnahme. Wir beginnen zu protestieren, als sie uns weiter auf einen Schock oder ähnliches untersuchen wollen. Unsere einzige Sorge gilt Emanuel. Wo er gerade ist und wie es ihm geht. "Wo ist mein Bruder??!", schreit Marcus die Krankenschwestern an. Aber sie beruhigen ihn nur ein wenig und sagen, wir sollen die Untersuchung schnell über uns ergehen lassen um mehr Informationen zu bekommen. So sind wir still und sind nach knappen sechs Minuten fertig.
Wir stürmen zur Auskunft um zu erfahren wo Emanuel sich befindet und erhalten die Antwort er ist bereits in einem OP - Saal. Ich spüre Verzweiflung in mir hochsteigen und mir wird kotzübel. Als ich mich kurz umdrehe, sehe ich wie Marcus' und Emanuels Eltern, Theresa und Thomas, auf uns zugestürmt kommen. Marcus hat sie auch entdeckt und läuft ihnen entgegen. "Es tut mir so leid, es tut mir so leid, es ist so... Es tut mir so leid", beginnt er nun auch zu weinen. Ich erstarre als auch meine Eltern und dahinter Lucas' Eltern auftauchen. Meine Mutter nimmt mich in den Arm und redet auf mich ein: "Das wird alles wieder, Prinzessin. So schlimm kann es nicht sein." "Er ist in einer Operation und sie wissen nicht ob er es schaffen wird"; erwidere ich. Sie verstummt und streichelt mich einfach stumm. Mein Vater gesellt sich währenddessen zu Theresa und Thomas um sie zu beruhigen. Er arbeitet selbst als Arzt und kennt sich deshalb mit aufgeschreckten Eltern aus.
Und dann höre ich den Satz, vor dem ich schon die ganze Zeit Angst gehabt habe: "Wenn ihr doch nur besser aufgepasst hättet, würde er jetzt nicht operiert werden müssen"
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Nebeltage
Teen FictionHat sich dein Leben schon mal innerhalb einer einzigen Sekunde so verändert, dass es nie wieder so wie früher sein würde? Nein? Meines schon. Evelyn bekommt am eigenen Körper zu spüren, wie es ist den besten Freund zu verlieren und was dann mit Freu...