Kapitel 1

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"Nein, bitte ich will noch nicht sterben!"

Entnervt zog ich meine linke Augenbraue nach oben. "Sterben? Ronny, du bist schon tot." Mein Daumen zeigte auf die Leiche hinter mir. Zugegeben, kein schöner Anblick. Aber das sind Unfallopfer die mit fast 200 Sachen mit einer Mauer Bekanntschaft gemacht haben, selten.

"Ich möchte dich nur abholen."

"Bist du ein Engel?"

Seltsam, es sind fast immer die gleichen Fragen, die mir gestellt werden. Aber ernsthaft, welche Vorstellung haben die Menschen von Engeln? Ich ließ meinen Blick über meine schwarzen Biker Boots, die passende schwarze Lederhose sowie das schwarze Tanktop schweifen. Im Rücken spürte ich mein wunderschönes Katana. Dann schüttelte ich einmal meine langen, roten Haare und fragte: "Sehe ich so aus? Wie du dich vielleicht erinnerst, hast du vor ein paar Tagen einen Vertrag unterschrieben. Lottogewinn gegen Seele, Pakt für die Ewigkeit und so weiter und so fort."

Gelangweilt lehnte ich mich mit dem Rücken an die Mauer und betrachtete meine Fingernägel. Es gab nur zwei Möglichkeiten. Er würde anfangen zu flehen und zu betteln, oder er würde versuchen ab zu hauen. Beides nicht mal ein Schulterzucken wert.

"Nein! Bitte, lass mich gehen! Ich will nicht in die Hölle!" Eigentlich war es von Anfang an klar, ein kleiner Feigling. Im Leben nichts erreicht und immer geschleimt. Dank dem Teufelspakt eine Menge Geld gewonnen und mit dem schicken neuen Sportwagen, dem Leben ein Ende gesetzt. Ironie des Schicksals. Besser gesagt, der Humor meines Vaters.

Das ist meistens so, die Menschen gehen einen Pakt mit ihm ein, verhandeln aber nur halbherzig, weil sie vor lauter Gier die negativen Seiten nicht sehen. Selbstverständlich gibt es auch gut ausgehandelte Verträge. Meist sind das Anwälte oder andere zwielichtige Gestalten. Verträge die ein frühes Ableben ausschließen oder die ein Einmischen des Teufels die Lebenszeit betreffend völlig ausklammern. Aber viele sind einfach zu naiv dafür. So auch der arme Tropf, der jetzt vor mir stand, die Schultern hängen ließ und um seine Seele bettelte.

"Tut mir leid, nichts zu machen. Kommst du freiwillig mit, oder wollen wir es uns unnötig schwer machen?" Seine Schultern sackten noch ein Stück weiter nach unten und der schwere Seufzer zeigte mir, dass er resigniert hatte. Immerhin ein Punkt für ihn, so schafften wir es noch vor den Sanitätern und anderen Menschen weg zu kommen. Manchmal ist es etwas schwierig zu erklären, warum der eigentlich Tote neben seiner Leiche steht und mit einem redet beziehungsweise,  aus welchen Gründen man ein Katana auf dem Rücken trägt. Dies ist einer der Punkte, warum ich mein Schwert in einer Sporttasche mit mir rumtrage und erst kurz vor dem Einsatz auf den Rücken schnalle. Aber auch das führte schon zu interessanten Diskussionen und schrägen Sprüchen seitens der Menschen, die dies mitbekommen haben. Allerdings ist für mein Job die Anonymität einer Großstadt ein Vorteil: Bewaffnete werden meistens aus Angst ignoriert. Nichts sehen, nichts hören, nichts wissen! Sollte jedoch alles gründlich schief laufen, was auch bei mir mal passiert, gibt es zum Glück noch andere Mittel und Wege die Menschen vergessen zu lassen, was sie gesehen haben. Leider habe ich diese Gabe nicht und muss einen Cleaner beschwören. Die Cleaner erinnern ein bisschen an die Men in Black mit ihrem Blitzdingens. Nur, daß sie eher Men in White heißen sollten in ihren schneeweißen Roben, aber zumindest haben sie die gleichen coolen Sonnenbrillen. Um das Gedächtnis eines Menschen zu beeinflussen benötigen sie keine technischen Hilfsmittel, dies geschieht durch einfaches Handauflegen. Nicht unbedingt billig dieser Weg, den für jeden Einsatz fordern die Cleaner einen Gefallen, aber immer noch besser als die Menschen aus ihrer Unwissenheit zu reißen.

"Hallo Evelyn! Hier ist der Neue für Romeo."

"Hi Eve, das ging aber schnell! Lass mich raten: Eine kleine Niete ohne Kampfgeist?" Mit einem Zwinkern in den Augen begrüßte mich die Empfangsdame der Hölle, mitten in New York in einem der höchsten Wolkenkratzer, zwischen Anwaltskanzleien, Notar- und Immobilienbüros. Eines der hier befindlichen Büros beherbergt einen Eingang zur Unterwelt.

"Romeo lässt anfragen, ob du ihn selber nach unten bringen kannst, er ist noch mit dem letzten Neuzugang beschäftigt."

"Ja, ja beschäftigt. So kann man das auch nennen. Der letzte Neuzugang ist nicht zufällig die Blondine von letzter Woche?" schnaubend packte ich die gefangene Seele an der Schulter und schob ihn in Richtung Höllentor.

Leise zischend ging hinter den Wandpaneelen eine verborgene Tür auf, durch die ich uns beide schob.

"Herzlich Willkommen im Höllenexpress. Bitte nehmen Sie Platz und genießen sie die Fahrt."

Ja auch in der Hölle ist der Fortschritt angekommen, der Transport erfolgt über Kapseln die von innen sehr an ein Flugzeug erinnern. Eine Privatmaschine, mit Ledersessel und Minibar. Charon ist schon eine Weile in Rente und es gibt angenehmere Methoden als auf einem Schiff den Styx zu überqueren. Allerdings gibt es auch unangenehmere Wege, diese werden oftmals für Seelen benutzt, die nicht freiwillig mit kommen oder eben solche, die im Leben richtiger Abschaum waren.

Der angenehme Weg sieht übrigens auf beiden Seiten so aus. Nur, dass wir hier eben nach unten fahren in den Tartaros und die andere Seite begibt sich nach oben ins Elysion. Ebenso wurde von meinem Vater das ägyptische Totengericht in den Ruhestand geschickt. Fast alle Mythen und Erzählungen die sich um den Weg in die Hölle drehen, haben ein Stück Wahrheit in sich. Früher, viel früher gab es auch den viel erwähnten Schwefel und das Höllenfeuer. Alles Geschichte. Ich kann es ja verstehen, ich wollte auch nicht die Ewigkeit in ein und dem selben Umfeld verbringen und wie viele Jahre kann man denn den Schwefelgestank aushalten? Irgendwann ist einfach mal Schluss!

"Nächster Halt: Unterwelt, Abschnitt Süd. Bitte beachten sie die Verhaltensregeln. Wir wünschen ihnen eine schöne Ewigkeit."

Zwischenzeitlich hatte sich Ronny etwas beruhigt und starrte staunend um sich. Zögerlich folgte er mir aus der Kapsel.

Wir betraten ein Zimmer, dass an eine Bibliothek erinnerte. Ein dicker Teppich dämpfte unsere Schritte, an drei Wänden befanden sich hohe Regale voll mit Büchern. An der vierten Wand, an dem auch die Tür der Kapsel auf wundersame Weise wieder verschwunden war, nahm ein großes Fenster den meisten Platz ein. Es bot einen Ausblick auf einen großen Garten, mit grünem Rasen, bunten Blumen und einem Teich. Wobei Fenster das falsche Wort war. Es handelte sich um eine Plasmawand, die jegliche gewünschte Aussicht projizieren konnte.

"Welche Verhaltensregeln soll ich beachten?" fragte Ronny, während er aus dem Fenster starrte. "Und was passiert, wenn ich das nicht tue?"

"Das wird dir dein Meister alles in den nächsten Tagen einbläuen. Noch stehst du unter Welpenschutz."

"Meister? Der Teufel?"

"Weil der auch die Zeit hat sich um jede kleine Seele selber zu kümmern. Nein, Romeo wird dein Meister. Naja, es hätte dich schlechter treffen können."

"Solch nette Worte aus deinem Mund, Eve? Ich fühle mich geschmeichelt. Möchtest du mich heute Nacht nicht in meinem Schlafzimmer besuchen?" ertönte ein wohlklingender Bariton, mit leichter Belustigung neben mir.

"Oh Romeo geh zu deiner Julia und schnulze die voll!" entgegnete ich entnervt. "Oder nimm deinen neuen Schützling mit in dein Bett. Vielleicht kannst du ja noch etwas von ihm lernen." Breit grinsend schuppste ich Ronny in seine Richtung. "Ich wünsche euch beiden viel Spaß und tut nichts was ich nicht auch tun würde!"

"Warte, der Chef will noch mit dir reden. Warst du wieder unartig?"

Tief seufzend drehte ich mich um und ließ die beiden mit einer eindeutigen Geste stehen.

Die Tochter des TeufelsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt