Kapitel 4: Lukas

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Ein großartiges Publikum begrüßte uns in der Kölner Live Music Hall - die Menge tobte schon bei Karate Andi, der bei dieser Tour unser Voract war. Als Trailerpark jedoch auf die Bühne kamen, eskalierten die knapp 1800 Besucher regelrecht. Basti schien allerdings nicht ganz bei der Sache zu sein. Er war noch gereizter als sonst und pöbelte regelmäßig das Publikum an. Oder bildete ich mir das bloß ein? Als Timi und ich »Trostpreis« performten, schaute er uns genervt hinter der Bühne zu und verdrehte ständig die Augen. So kannte ich Basti überhaupt nicht. Unterstützte er die Beziehung zwischen mir und Tim etwa nicht mehr? Hatte er keine Lust mehr auf diese ganze Heimlichtuerei? Oder hatte er einfach nur einen schlechten Tag erwischt? Dabei war er doch der Erste der uns gratulierte und über beide Ohren strahlte, als wir ihm von uns erzählten.

Nach dem Konzert tummelten wir uns, wie immer, beim Merchandise, gaben den Fans Autogramme und machten das ein oder andere Erinnerungsfoto. Ich unterhielt mich eine ganze Weile mit Bjet, als ein weiblicher Fan auf uns zukam.

»Alligatoah!«, schrie sie mir hysterisch entgegen.

Ich lächelte das blonde Mädchen an und fragte sie höflich, ob sie ein Autogramm haben wolle. Als ich mit einem weißen Edding meinen Namen auf ihr limitiertes Triebwerke T-Shirt schrieb, wurde ihre Atmung immer schneller und ungleichmäßiger. Ich fürchtete, dass sie gleich in Ohnmacht fällt.

»Kannst du Timi bescheid sagen? Ich will unbedingt ein Foto von euch beiden machen! Ihr seid mein absolutes Traumpaar!« Ich runzelte die Stirn und schluckte einmal kräftig bei dem Wort »Traumpaar«.

Jetzt bloß nichts Dummes sagen, dachte ich. Unbehaglich schaute ich in die Runde. Bjet hatte sich zwischenzeitlich zu Massimo gedreht und von alle dem gar nichts Mitbekommen - das hoffte ich jedenfalls. Ich starrte das Mädchen an und bekam meinen Blick kaum von ihr abgewendet. Mir war die ganze Sache einfach furchtbar unangenehm. Ständig öffnete und schloss ich meinen Mund wieder. Was sollte ich darauf sagen? Normalerweise war ich um keinerlei Antwort verlegen, es sei denn ich geriet in solch eine Situation. Ich wollte grade zu einem Satz ansetzen, den ich mir in meinem Kopf zurechtgelegt hatte, als sich Basti plötzlich einmischte:

»Ey, zieh Leine, Uschi! Timi ist Backstage und kommt da so schnell nicht raus. Der vögelt nämlich grade total stoned irgendein 15 jähriges Groupie« Er klang so unfreundlich wie immer.

Das blonde Mädchen schaute mich perplex an und drehte sich kommentarlos um. Mit hängenden Schultern trottete sie davon.

»Danke schön!«, rief ich Basti entgegen und lächelte ihn freundlich an.

»Jo, kein Ding. Ich weiß doch wie unangenehm dir solche Fans sind!« War da etwa plötzlich ein netter Unterton in Bastis Stimme? Das kann nicht sein, er wollte bestimmt nur seine schlechte Laune an einem Fan auslassen. Fassungslos schüttelte ich den Kopf. Diese seltsame Situation kam mir jedoch etwas vertraut vor.

Das was eben geschehen war erinnerte mich an meinen Auftritt beim Mini-Rock Festival, letztes Jahr, 2013.
Tim und ich sind uns zu diesem Zeitpunkt grade näher gekommen, besser gesagt waren wir das frisch verliebte Paar. Auch wenn unser gemeinsamer Auftritt bei »Trostpreis« schon immer sehr intim war, war es auf dem Festival etwas ganz Besonderes. Schon den ganzen Tag fieberte Tim mit mir gemeinsam diesem Auftritt entgegen. Er schien sogar aufgeregter zu sein als ich. So hatte ich ihn noch nie erlebt. Ständig war er in meiner Nähe. Sorgte dafür, dass ich die nötige Ruhe bei meinen Stimmübungen hatte und massierte mir zwischendurch immer wieder die Schultern. Ich bekam sogar einmal mit, wie er in unserem Videoblog, den Vortex aufnahm, über meine Füße philosophierte. Das war dann allerdings der Moment, in dem mir klar wurde, dass er definitiv drauf war um seine Nervosität zu verstecken. Ich hingegen war die Gelassenheit in Person, genoss jedoch seine ständige Nähe in vollen Zügen.

Als es soweit war und ich in Anzug und mit Rosenstrauß die Bühne betrat, sang er hinter der Bühne inbrünstig jede Zeile meiner Lieder mit. Basti erzählte mir das im Nachhinein. Mich machte die Tatsache furchtbar glücklich, dass ein Tim Weitkamp voller Stolz in jedes Lied einstimmte. Ich würde sogar soweit gehen und ihn als meinen größten Fan bezeichnen.
Kurz vor Ende meines Auftrittes, bei besagter Trostpreis-Performance, kam er zu mir auf die Bühne und stellte sich auf die rechte Monitorbox. Er schaute mir immer wieder tief in die Augen und mir wurde klar, dass ich mich keine 5 Minuten beherrschen kann. Ich versuchte, Tim ein wenig zu provozieren, indem ich mein Hemd aufknöpfte. Mein Plan schien zu funktionieren, denn ich sah aus den Augenwinkeln, wie er kaum den Blick von mir abwenden konnte. Je öfter ich zu ihm schaute umso mehr blendete ich die Masse vor uns aus. Als er es mir gleichtat und sich ebenfalls seines Hemdes entledigte, war meine Selbstbeherrschung ein für alle mal vorbei. Zunächst versuchte ich, ihn mit etwas Abstand zu beobachten. Doch als er mir zu verstehen gab, ich solle zu ihm auf die Monitorbox kommen, entschloss ich mich dazu, die Menschenmenge nur noch als einen Hintergrundchor wahrzunehmen. Eng umschlungen drückte ich meinen Unterleib an seinen und fuhr langsam mit meiner Hand über seinen Rücken. Als wiederum seine Hand mein Hinterteil berührte, zuckte ich kurz zusammen und spürte eine leichte Erektion bei ihm. Am liebsten hätte ich ihn in diesem Moment nie wieder losgelassen, doch diese innige Performance sollte seine Schatten nach sich ziehen.

Nach meinem Auftritt stand ich an meinem Merchandise-Stand und ließ den Tag mit Prinz Pi ein wenig Revue passieren. Auf einmal tauchten zwei Jungs auf, die angewidert in meine Richtung schauten. Kurz darauf stießen zwei Mädchen dazu und fingen an zu tuscheln. Eines der Mädchen machte eine abfällige Bemerkung, kicherte und schaute dabei wieder zu mir – ich kann und will mich gar nicht mehr daran erinnern, was sie genau gesagt hatte. Just in dem Moment stand Basti hinter der Gruppe, schnaufte sie wie ein irrer Boxer an und drohte den Jugendlichen damit, dass sie besser das Festival-Gelände verlassen sollten, wenn sie heute Nacht nicht in einem brennenden Zelt aufwachen wollten. Natürlich ließen die Kids sich diese Drohungen nicht gefallen und fingen an herum zu pöbeln. Ich wollte mich grade umdrehen und einfach gehen, als ich bemerkte wie Basti zum Schlag ausholte. Fassungslos starrte ich diesem wirren Szenario vor mir entgegen und konnte gar nicht glauben, was da eben passiert war. Einer der Jungs lag mit blutiger Nase am Boden, von Basti war jedoch weit und breit keine Spur. Im nächsten Moment kam ein wutentbrannter Security-Mann auf uns zu gerannt und wollte dem Jungen auf die Beine helfen, doch der wollte sich nicht helfen lassen. Als ich in dem Moment meinen Kopf hob, sah ich einen breit grinsenden Basti am Eingang des Zeltes stehen.

Meine Füße trugen mich automatisch zum Backstage-Bereich. Tatsächlich lag Tim, mit einem Joint in der Hand, auf der Couch und checkte seine Nachrichten bei Whatsapp. Ich sah ihm eine Weile dabei zu, ging zum Kühlschrank und öffnete mir ein Bier. Dieses stellte ich nach zwei Schlücken wieder ab um mich langsam von hinten an Tim heranzuschleichen. Natürlich hatte er mich schon bemerkt, doch das war mir egal. Ich legte meine Arme auf seinem Oberkörper ab und bemerkte wie er in sich hinein lächelte. Ich löste einen Arm von seinem Oberkörper und legte behutsam seinen Hut beiseite, dabei fuhr ich ihm durch die Haare. Tim reagierte darauf indem er meine Unterarme mit seinen Händen umschloss. Sanft zog er mich zu sich, woraufhin ich mich aus meiner unbequemen Position löste und mich neben ihn auf das Sofa setzte. Einen kurzen Moment lang schauten wir uns schweigend in die Augen. Er zog ein letztes Mal an seinem Joint und drückte ihn im Aschenbecher aus.

Die schönsten Momente mit Tim sind die, in denen wir uns einfach nur in die Augen schauen und keinen Mucks von uns geben müssen. In diesen Momenten habe ich einfach das Gefühl in dem verpeilten Kiffer meinen Seelen verwandten gefunden zu haben. Jemanden den ich bedingungslos lieben kann, auch wenn er vielleicht grundverschieden ist.

Langsam richtete er sich auf. Sein Blick fixierte mich immer noch, als seine Hand über meinen Nacken glitt. Ich erschauderte kurz bei dieser Berührung. Das war meine empfindlichste Stelle. Tim wusste diese gerne auszunutzen.

Er zog mich zu sich und gab mir einen leidenschaftlichen Kuss, in dem ich voll und ganz versinken wollte. Bis ich ein lautes und hysterisches Kreischen wahrnahm.

50 Fists of BastiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt