In dem meine Gefühle Achterbahn fahren

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Lektion 24: „Dummheit und Stolz wachsen aus demselben Holz"


Claire,

meine liebe, beste Claire. Es tut mir so unendlich leid, dass ich in letzter Zeit ständig nur so negativ war und die ganze Zeit nur über mich selbst rede, aber die Wahrheit ist, dass ich es hier einfach nicht mehr aushalte. Ich will Nachhause, Claire. Ich will zurück nach London, wo die Dinge wenigstens noch einen Sinn hatten. Wo alles irgendwie so viel einfacher war.

Ich hatte dich, ich hatte die Schule, ich hatte meine gewohnte Umgebung und meinen geregelten Alltag.

Aber hier- hier ist es, als würde einem die Decke auf den Kopf fallen. Ich komme einfach nicht mehr mit.

Ich habe das Gefühl, mich zu verändern. Ich verliere die Darcy, die ich früher war. Es gibt Tage, an denen ich mich nicht einmal mehr wiedererkenne. Ich weiß nicht, was ich hier eigentlich mache- irgendwann werde ich noch komplett verrückt. Ich vermisse dich so sehr.

Bitte ruf mich an, wenn du Zeit hast, ja? Ich brauche dich jetzt. Ich kann es kaum schreiben, geschweige denn laut aussprechen, aber mein Dad betrügt vielleicht meine Mum. Kannst du das glauben? Mum und Dad. Sie waren schon immer anders, als die Eltern der anderen Kinder. Vielleicht, weil sie einen Dreck auf Konventionelles gegeben haben, keine Ahnung. Vielleicht auch nur, weil sie ständig gestritten haben. Manchmal dachte ich, es würde sie ihre ganze Energie kosten. Energie, die sie stattdessen vielleicht lieber auf Lee und mich hätten verschwenden sollen. Manchmal habe ich mich gefragt, wieso sie es denn ständig wieder miteinander versuchen, wenn es doch immer neue Konflikte zwischen ihnen gibt. Ob es nicht besser und einfacher wäre und uns allen eine Menge Ärger und ermüdende Diskussionen ersparen würde, wenn sie es seinlassen würden.

Als ich älter wurde, kam ich dann zu dem Ergebnis, dass es wohl eine Herausforderung für sie sein musste, die sie irgendwie auf eine seltsame Weise liebten. Dass sie es liebten, nicht zu wissen, wie der Tag ausgehen würde. Ob sie nun zusammen einschlafen würden, oder getrennt- einer im Bett und der andere auf dem Sofa.

Manchmal glaube ich, dass sie all diese Energie in ihrem Leben nur darauf verschwendet haben, sich zu zoffen und einander zu lieben. Vielleicht war das alles, was sie jemals konnten. Mehr, als sich um Elternabende, Kindergeburtstage und den ganzen Kram zu kümmern. Vielleicht waren sie das Allerwichtigste im Leben des jeweils anderen. Vielleicht war es immer das, was ich so sehr gehasst habe.

Aber jetzt... Ich kann einfach nicht glauben, dass es damit nun vorbei sein soll.

Ich habe mir immer Ruhe gewünscht, Claire. Ich hätte als Kind alles dafür gegeben, wenigstens einmal eine Nacht durchschlafen zu können, ohne Angst vor dem Geschrei meiner Eltern zu haben. Ohne mich fürchten zu müssen, dass einer von ihnen vielleicht nicht mehr dasein würde, wenn ich aufwache. Ja, manchmal dachte ich, es wäre besser, wenn sie endlich damit aufhören würden.

Aber das stimmt so nicht. Heute habe ich endlich gecheckt, dass ich das brauche. Claire, ihr ewiger Streit ist alles, was ich kenne und was ich gewohnt bin. Es bedeutet auf eine verdrehte Weise Vertrautheit für mich. Heutzutage geleiten mich ihre lauten Stimmen in den Schlaf- einfacher, als wenn sie schweigen würden. Ihr Temperament, das bedeutet für mich Zuhause. Und ich glaube, ich könnte es nicht ertragen, in friedlicher Stille in den Schlaf zu finden, ohne zu wissen, dass sie einander irgendwo auf dieser Welt die Köpfe einschlagen...


Meine Finger jagen in einem Affenzahn über die Tastatur, um sich irgendwie abzuregen, und legen nur kurze Pausen ein, um mir die heißen Tränen von den Wangen zu wischen. Erst sind es nur leise, kleine Rinnsale, die über meine Wangen kullern, doch schon bald schwellen sie zu unsteten Schluchzern an, die trocken über meine Lippen kommen. Ich schäme mich fast schon dafür, dass ich mich im Augenblick so sehr nach meiner besten Freundin sehne. Mehr noch, als sonst. Mehr, als wenn alles in Ordnung ist. Es ist schwer zuzugeben, aber in den letzten Wochen habe ich sie gar nicht so sehr vermisst, habe sie sogar irgendwie vernachlässigt.

Teasing is a Sign of HatredWo Geschichten leben. Entdecke jetzt