Auf dem Rücken im Grass liegend, lege ich meinen Kopf in den Nacken. Zuerst erblicke ich Füße, die deutlich einem Mann gehören. Anfangs zögernd, lasse ich meine Augen weiter hochwandern, bis ich in das Gesicht der älteren Hanbyeol-Kopie starre. Verärgert sieht er nicht aus, eher verwundert. Mit verschränkten Armen verzieht er den Mund und kommt mir einige Schritte näher, bis er sich auf einmal etwas runterbeugt. Schweigend mustert er mich. Überfordert mit der Situation liege ich immer noch im Grass und wir beide starren uns einfach stumm an. Nach einer gefühlten Ewigkeit fängt er ohne Grund an breit zu grinsen. Dabei sieht er etwas aus wie ein süßes Äffchen dank seinem Haarschnitt und den großen Ohren.
"Worüber freust du dich denn? Bist du etwa ein Perverser?", frage ich ihn unbedacht heraus und ziehe zusätzlich eine Augenbraue hoch. Wie ein Perverser sieht er nicht wirklich aus, aber ich wusste nicht, wie ich diese Stille aufheben soll.
"Ne, und du?", stellt er mir eine für mich eigenartige Gegenfrage. Noch mehr das Gesicht verziehend als so schon, stemme ich mich mit meinen Armen hoch.
"Wie dem auch sei, bevor du mich ankackst: Du solltest dich schämen das Grab deiner Cousine, Schwester, Freundin oder wer auch immer so vergammeln zu lassen."
Mich wie die Siegerin eines Kampfs fühlend, richte ich mich auf und drücke mich hoch. Danach klopfe ich meine Klamotten sauber und stelle mich dem Jungen gegenüber. Er schenkt mir einen verdutzten Blick.
"Wieso sollte ich dich ankacken? Hast du irgendetwas Schlimmes angestellt?"
"Ehm, du hast..." Ich will ihn erst darauf hinweisen, dass er mich gefragt hat, was ich mache, aber ich glaube, dass ich gecheckt habe, wie er tickt. "Ne, du?"
Leicht kopfschüttelnd beginnt er zu lachen. "Du bist mir eine, ich habe doch nur gefragt, was du da machst." Nach seinen Worten wird sein Lachen lauter und kräftiger. "Und sorry, dass das Grab so dreckig ist, aber putzen ist nicht meine Stärke."
Nun war ich diejenige, die die Arme verschränkt. Meine Zunge durch meinen Mund fahrend, nehme ich mir die Chance, ihm direkt ins Gesicht zu schauen. Vor einem Jahr wollte ich ja wissen, wie er von vorne aussieht. Da steht er also vor mir und ich muss zugeben, dass Hanbyeol und er sich schon ähnlich sehen, aber seitlich mehr als von vorne.
"Wann war denn das letzte Mal? Falls es ebenfalls ein Jahr her ist, kann es aber nicht sein, dass es danach so aussieht." Wieso ich ihn jetzt genau so anschnauze, kann ich mir selber nicht erklären.
Nachdenklich legt er seine Finger um sein Kinn und richtet seine Augen auf das Grab. "Boah, wann wurde das Grab das letzte Mal sauber gemacht? Keine Ahnung, kurz nach Hanas Tod, glaube ich."
Was? Ich drehe mich um, um das Todesdatum zu checken, denn ich habe in Erinnerung, dass das schon etwas her war. "Hallo? Das sind 8 Jahre!" Böse schauend, drehe ich mich zu ihm um.
Ein allwissendes Lächeln erscheint auf seinen Lippen. "Im Gegensatz dazu, komme ich jeden Tag her. Dich habe ich bis jetzt nur einmal auf der Beerdigung gesehen, vor einem Jahr und heute."
Sprachlos die Augen aufreißend, frage ich mich, woher er das weiß. Jeden Tag kommt er hier her? Entweder blöfft er oder es stimmt. Aber wer geht jeden Tag zum Friedhof? Wenn das wirklich so ist, muss er diese Hana ja richtig lieben. Erneut ertönt sein Gelächter.
"Das war doch nur ein Witz, nimm das nicht so ernst. Ich wollte dich nur etwas ärgern. Es ist ja nicht schlimm, dass du immer nur an seinem Todestag kommst, du bist dafür die einzige, die Hanbyeol besuchen kommt."
Wie gruselig, dass er Hanbyeols Todestag und seinen Namen kennt. Ich meine, so schwer ist das nicht, aber es hat gerade nicht einmal vom Grabstein abgelesen. Und dazu ist es noch ganz schön traurig, dass er weiß, dass nur ich Hanbyeol besuchen komme. Mir unwohl über die Lippen leckend, wende ich den Blick von ihm ab.
"Ist Hana deine Schwester?"
"Nein, sie ist meine Sandkastenfreundin gewesen."
Ich kann sehen, wie er den Kopf schief legt, während er mich ansieht. "Verstehe, und wieso kommst du jeden Tag her? Schaffst du das zeitlich immer?"
"Ich wohne hier in der Nähe."
Der Typ scheint ja recht offen zu sein. "Woran ist Hana denn gestorben?", frage ich ihn weiter aus.
"Beim Spielen, und Hanbyeol?", antwortet er mir immer monoton.
"Krebs.", stoße ich heraus, weil es sich beim Aussprechen wie ein Kloß im Hals anfühlt.
"Wie heißt du?"
Nun gut, wir beide sind relativ offen zueinander gewesen, dafür dass wir Fremde sind, allerdings kann ich mir nicht erklären, wieso er ausgerechnet meinen Namen wissen möchte. Ich dachte, dass, weil er Hanbyeol erwähnt hat, ich ihn ebenfalls ausfragen durfte. Für mich war es so ein Mitleidsgespräch, ein gezwungenes.
"Eh.. Kim Haneul?", zögere ich zu Beginn, stammele meinen Namen dann doch heraus.
"Ah!", kommt von ihm ein ganz begeisterter Ton.
Meinen Blick zurück auf ihn werfend, schüttele ich den Kopf leicht. Was ist das denn bitte für eine Reaktion?
"Wie cool ist das denn? Haneul (Himmel) und Hanbyeol (großer Stern). Ihr habt nicht zufällig noch eine Schwester namens Eunha (Galaxie)?"
"Meine Mama heißt Eunha."
Total aus dem Häuschen, klatscht er lachend in die Hände. "Das ist toll! Wie kreativ."
Sein Lachen ist so ansteckend, dass ich mitlachen muss. "Und wie heißt du?"
"Kim Taehyung, schön dich kennenzulernen, Kim Haneul."
Und so lernte ich Kim Taehyung kennen. Ein großer Junge mit blonden, verwuschelten Haaren, der beim Lachen wie ein Äffchen aussah, aber die dunkle Stimme eines Schauspielers hatte.
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Balloon
FanfictionAuf der Beerdigung ihres kleinen Bruders Hanbyeol, der an Krebs verstarb, kommt Haneul sich fehl am Platz vor. Ihrer Meinung nach sind die meisten Anwesenden nur Heuchler, da sie ihren Bruder noch nicht einmal wirklich kannten. Dabei merkt sie gar n...