Kapitel 01

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Aus meinen langen blonden Locken, die ich noch immer vermisste, wurde ein Langhaarbobb in einem Kastanienbraun. Überwiegend trug ich sie glatt. Das verruchte Make Up und der dunkle Lippenstift tarnten mein altes Ich. Aus anspruchslosen Ober- und Unterteilen, die ich überwiegend zu groß getragen hatte, sind Röhrenjeans, Lederjacke und schwarze Tops geworden und aus meinem Namen Victoire Steinfield wurde Victoria Gillis ...

Und so war es perfekt.

Es hatte nämlich begonnen, als ich neun Jahre alt war. Die Fiore, die wohl skrupelloseste Gang L.A.s, hatte meine Mutter auf offener Straße erschossen und meinen Dad und mich verschleppt. Es war ein so traumatisches Erlebnis gewesen, dass ich Monate darauf nicht ein einziges Wort gesagt hatte. Je länger mein Dad und ich aber schließlich bei den Fiore festsaßen, desto kälter ließ mich alles. Ganze sechs Jahre hatten sie es geschafft, mich festzuhalten, als mir mit fünfzehn endlich die Flucht gelungen war. Ich reiste sofort nach Belgien und wollte mein furchtbares Leben hinter mir lassen. Es gelang mir allerdings nicht. Hass und die Liebe zu meinem Vater, den sie noch immer gefangen hielten, hatten mich schließlich überzeugt zurückzukehren.

Als ein ganz anderer Mensch war ich drei Monate später also wieder in L.A.. Und ich hatte eine Entscheidung getroffen, die ich mittlerweile nicht mehr zu bereuen versuchte:

Ich wurde Gangmitglied der Sullivans. Gerade diese wurden von den Fiore verabscheut.

Anfangs hatte ich diese Entscheidung zu tiefst bereut, was einer fünfzehn Jährigen nicht zu verübeln war. Aber John, unser Gangleader, hatte Verständnis für meine Angst vor ihrem Leben gehabt. Je älter ich wurde, desto mehr hatte er mich in das Geschäft einbezogen. Jetzt war ich zwanzig und seit fast fünf Jahren bei den Sullivans ... und keiner von ihnen kannte meine Beweggründe. Niemand wusste, was genau meine Absicht war und was ich durchgemacht hatte. Sie kannten nur Victoria. Victoire gab es schließlich nicht mehr. Nicht einmal mein sehnlichster Wunsch war ihnen bekannt.

Und der war Rache.

***

"Vici?", schrie Brittany durch unsere Lagerhalle, die wir als Werkstatt und Fuhrpark nutzten. Ihre langen blonden Locken wippten beim Gehen. Etwas erinnerte sie mich an mein altes Ich, vergaß das aber schnell wieder.

"Fährst du heute beim Rennen mit?"

"Wo findet es statt?", fragte ich und warf meinen Putzlappen über die Schulter. Mein Auto hatte es dringend nötig gehabt.

"Naja, ich glaube bei den Klippen."

"Die Strecke liebe ich", sagte ich mit einem erzwungenen Lächeln und legte meine Stirn in Falten. "Heute fahre ich aber nicht, denke ich."

Ich warf meinen Putzlappen auf einen Stuhl und schaute Brittany entschuldigend an. Sie nickte fragend und ihre Augen verloren das Funkeln.

"Alex und Carlos wollen aber auch fahren. Du bist eine unserer besten Fahrer. Du kannst nicht nein sagen. Komm schon Vici."

Ich schüttelte meinen Kopf.

"Ich komme einfach nur mit, ja? Aber fahren: nein. Bin heute nicht so topfit."

"Okay", erklärte sie sich einverstanden und bohrte zum Glück nicht weiter nach. Wie sollte sie auch wissen, dass es heute genau elf Jahre her war? Elf Jahre, die meine Mum nun nicht mehr lebte und elf Jahre, die alles anders war ...

"Und ehm ...", begann ich zu meiner Ablenkung und schaute sie hibbelig an, "weißt du zufällig, ob Andrew auch da ist?"


FLASHBACK ANFANG

Mir lief der Schweiß die Stirn herunter, als mein Auto endlich zum Stehen kam. Mein Blick war voller Hass, als ich zitternd aus dem Auto stieg und deprimiert zuschaute, wie sie ihn feierten. Ich hatte das Verlangen auf den Boden zu spucken - was allerdings nicht meine Art war. Das hatte ich mir von Logan abgeguckt.

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