3. Kapitel

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Louis Carter schlenderte langsam die gewundenen Straßen der Stadt entlang, lies sich von der wogenden Menschenmasse in den Einkaufsstraßen mitziehen, und lauschte den herrlich unkomplizierten Gesprächen der Leute in seiner Umgebung. Es gab keinen Ort, an dem er sich sicherer fühlte, als in der Menge. Zumindest kurzweilig. Auch in seiner alten Stadt hatten sie ihn schneller ausfindig gemacht, als ihm lieb war.
Er wusste, in welcher prekären Lage er sich befand, und dennoch konnte er nicht anders, als sich wenigstens ein bisschen von seinem Schutz los zusagen.
Es war ihm, als würde er von einer mysteriösen Macht geradezu in eine der unbelebten Seitengassen mit den verwahrlosten Hinterhöfen gezogen werden. Louis strich sich die dunkelbraunen Locken aus der Stirn. Etwas stimmte nicht.
Der Junge sah sich um. Er stand inmitten eines Hinterhofs von einem der leerstehenden Gebäude in diesem Viertel. Umgeben von Backsteinmauern. An einer Seite befand sich ein provisorisch angebrachter Metallzaun mit einem großen Loch, durch welches Louis hindurchgeklettert war. Zwischen porösen Asphaltplatten auf dem Boden bahnte sich Unkraut einen Weg an die muffige Luft.
Er schüttelte wie zum Trotz den Kopf. Das war doch albern, warum trieb er sich überhaupt hier herum? Ein leises Kratzen ertönte. Louis fuhr herum. Aus der Dunkelheit der Schatten vor der Hauswand löste sich eine Gestalt. Ihre bloßen Konturen ließen den Jungen alle Muskeln anspannen.
"So trifft man sich wieder", zischte er, laut genug, damit es für sein Gegenüber hörbar war. Dieses hatte sich inzwischen näher zu ihm begeben.
"Na, na", säuselte es, "unsere letzte Begegnung verlief für dich doch sehr erfreulich... zumindest mehr, als für mich!"
Der Junge presste nervös die Kiefer aufeinander, ehe er fragte:
"Wissen die anderen, dass du hier bist, Ghanima?"
"Du erinnerst dich sogar an meinen Namen... das lässt mein Herz höher schlagen!"
"Du hast kein Herz."
Die Person hatte sich indessen vollends ins Licht begeben, sodass Louis ihre Mädchengestalt in Augenschein nehmen konnte.
Rein gar nichts hatte sich seit dem letzten Aufeinandertreffen an ihr geändert. Er blickte auf die gleiche fahle Haut mit den schimmernden Narben, in das gleiche hagere Gesicht, umrahmt von wallenden schwarzen Haaren. Sie blickte ihn mit den gleichen, großen Augen an, welche noch eine Nuance dunkler als ihre Frisur waren. Sie spreizte dieselben langen Finger, die sie beim letzten Mal mit unglaublicher Kraft um seinen Hals gelegt hatte.
"Schau mal, ich habe mir extra für dich eine Maniküre gegönnt." Ein diabolisches Grinsen breitete sich auf ihrem Gesicht aus, als sie daran dachte, seine Haut mit den spitzgefeilten Nägeln aufzuschlitzen.
"Ich habe dich etwas gefragt, und du schuldest mir eine Antwort", warf Louis ein. Sie betrachtete weiterhin ihre schlanken Hände.
"Mein Meister wird mich reich dafür entlohnen, wenn ich ihm dein Versteck verrate..."
Im Kopf des Jungen begann sich ein Film abzuspielen, er kalkulierte sämtliche eintretende Szenarien, wägte die Ereignisse und eigenen Möglichkeiten gegeneinander ab- und kam zu einer einzigen Lösung.
"Du weist, dass ich dich töten muss."
"Versuch es", entgegnete sie.
In Louis keimte die schreckliche Erkenntnis, dass er sich bis jetzt nur unter größten Anstrengungen überhaupt hatte gegen sie verteidigen können. Ghanima war die nicht zu unterschätzende Ausgeburt des Bösen. Ein Halbdämon, zwar mit eingeschränkten Mächten, aber dennoch von Zorn und dem Hunger nach Tod angetrieben.
Sie lachte- Viel zu tief für ein normales Mädchen.
"Kämpf' mit mir, Süßer."

Louis ballte die Hände zu Fäusten. Er konnte mit seinen Fähigkeiten zwar zweifelsohne einen Kampf bestreiten, hatte jedoch noch nie jemanden als erstes angegriffen. Wie sollte er Ghanima dazu bewegen, sich nicht einfach davon zu stehlen?
-Nein, das würde sie nicht tun.
Er blickte ihr in die pechschwarzen Augen. Augen, in denen sich das Böse manifestiert hatte, und nur darauf wartete, heraus zu kommen.
Louis trug es ebenfalls in sich. Es würde ihn langsam, aber sicher in ein Monster verwandeln. Warum dann nicht schon jetzt?
Er holte mit der Faust aus. Blitzschnell war Ghanima zur Seite ausgewichen.
"Von dir hatte ich mehr erwartet, mein Hübscher."
Louis drehte sich in ihre Richtung, als sie ihn auch schon packte und ihn mit einem heftigen Tritt zu Boden stieß. Er rang nach Luft. Das reichte.
"Schluss mit lustig", knurrte er, und richtete sich auf,  als wäre nichts geschehen. Er packte die Dämonin, um sie gegen die nächst beste Wand zu werfen. Der Junge war für einen Menschen überdurchschnittlich schnell regenerationsfähig, besaß bessere Reflexe und Ausdauer. Ebenbürtig war er seiner Gegnerin deshalb jedoch bei weitem nicht. Ghanima entwand sich seinem Griff, nur um sich fauchend und keifend erneut auf ihn zu stürzen. Sie zerriss sein Shirt und bohrte ihre Nägel tief in seine Brust. Der Junge schrie gequält auf. Beide fielen zu Boden.
Die Dämonin hockte auf ihm. In ihrem Gesicht stand der pure Wahn, ihre marmorne Haut war von dunklen Blutgefäßen durchzogen, die sich wie Flussarme über ihre Wangen wanden.
"Du darfst mich nicht umbringen", stieß Louis hervor.
"Es geht nicht um dich, mein Hübscher, sondern um das, was du besitzt."
Er packte sie an den langen Haaren und riss ihren Kopf herum. Etwas knackte. Der Junge nutzte den kurzen Moment ihrer Unachtsamkeit, um die Dämonin von sich zu stoßen. Panisch sah er sich in dem Hinterhof um. Mit blutigen Fingern ergriff er eine Glasflasche auf dem Boden, die irgendjemand hier zurückgelassen hatte. Er zerschlug die Flasche an der Backsteinmauer, so, dass er nur noch den Hals mit den scharfen Glaskanten in der Hand hielt.
Derweil setzte Ghanima, von Hass durchtrieben, zum Sprung an. Louis rammte ihr seine improvisierte Waffe in den Bauch. Die Dämonin zuckte. Dunkles, fast schwarzes Blut quoll aus der Wunde. Der Junge umklammerte die Scherbe fester und drehte sie. Ghanima spuckte ihm ins Gesicht. Der Speichel brannte auf seiner Haut.
"Du wagst es"- sie brach erstickt ab und sank auf dem blutgetränkten Asphalt zusammen.
Louis wich zurück. Hatte er sie getötet? Was passierte mit einem Halbdämon, nachdem man ihn ermeuchelt hatte?
Das einzige, was der Junge wusste, war, dass er nur bei Tageslicht in der Lage sein würde, weitere Angriffe zu überstehen. Dämonische Macht entfaltete ihr komplettes mörderisches Potenzial erst bei Dunkelheit.

Louis Carter wischte sein Blut an Ghanimas Jacke ab, sah an sich herunter, zu betrachten, was von seinem Shirt noch übrig war, und verließ den schäbigen Hinterhof.

*Hier ist das Kapitel wirklich zuende (ich weiß nicht, wie viele den ersten veröffentlichten Teil schon gelesen hatten) ;)



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