Quietschend öffnete der Bus seine Tür. Ich stieg aus, und klappte meinen Schirm bei dem sofort einsetzenden Regenschauer auf. Ich konnte den Wetterbericht im Radio auswendig, seit ich klein war.
Das Wasser prasselte wie in einem kleinen Rhythmus auf meinen Schirm. Das Tappen meiner Schuhsohlen auf dem nassen Boden gab den Takt dazu.
Als ich summend in meine Straße einbog, fiel mir sofort das offene Garagentor eines Hauses auf, vor dem sich einige Nachbarn, überdacht von einer Art Markise, aufhielten. Ich trat näher und las das verwischte Wort Garagenflohmarkt auf einem welligen Pappkarton, den man wohl erst zu spät vor dem Regen unter das Zelt gerettet hatte.
Das war passend. Ich mochte Flohmärkte.
Schon war mein Schirm zusammengeklappt, um die Garage zu betreten.
Zwischen altem Kinderspielzeug, Kartons voller Werkzeug oder CD's aus den Siebzigern mit dazu passenden Schlaghosen, fand ich eine Kiste mit zerfledderten Notenheften.
"Na meine Kleine? Dich hab ich aber lange nicht mehr gesehen!", sprach mich plötzlich eine weiche Stimme von hinten an. Sie gehörte zu Miss Stark, der rundlichen Single-Oma und Eigentümerin der Garage. Sie nahm meine Hand. "Wie heißt du denn gleich nochmal? Fibi? Flossi? Weißt du, mein Gedächtnis ist auch nicht mehr das, was es vor zwanzig Jahren mal war."
"Fiducia", half ich ihr auf die Sprünge.
"Das wäre mein nächster Vorschlag gewesen."
Ich wühlte in der Kiste mit den Partituren. Die Rentnerin schaute mir zu, ehe sie fortfuhr.
"Schau dich ruhig um, Kindchen. Ich kann mich ja so schlecht von den Sachen trennen, doch es macht mir die Situation leichter, wenn ich meine Schätze in guten Händen weis."
Ich nickte und zog eine schwarze Ledermappe zwischen all den Heften hervor. Meine Finger hinterließen Abdrücke auf der staubigen Außenseite.
Miss Stark hatte mir bereits wieder den Rücken zugekehrt und kramte in ihrer Bauchtasche nach Wechselgeld.
"Was ist das hier?", wollte ich wissen. Die Rentnerin drehte sich zu mir um. Als sie den schwarzen Ledereinband musterte, verzog sich ihr Gesicht und offenbarte einen Ausdruck der Erschütterung. Als hätte sie etwas längst Vergangenes erneut eingeholt.
"Du kannst es behalten."
Ihre Stimme klang mit einem Mal fordernd und verängstigt zugleich. Ich musste reichlich konfus ausgesehen haben, da sie hinzufügte, es sei ein altes Fundstück, eine verstaubte Partitur, die ich in der Hand hielt.
"Aber wenn es so lange ihnen gehört hat, wollen sie es doch bestimmt bezahlt haben."
Miss Stark schüttelte den Kopf und zerrte mich grob zwischen den Regalen hindurch ins Freie. "Du bekommst es umsonst. Nimm es mit, wirklich... Bitte." Sie flehte mich beinahe manisch an. Einige Nachbarn blickten uns verdutzt entgegen.
Die Rentnerin starrte auf die Mappe.
"Verschwinde endlich", zischte sie. Ich war mir nicht sicher, ob Miss Stark mich oder die Partitur gemeint hatte.Verzweifelt versuchte ich den Schlüssel im Schloss umzudrehen. Beim Kampf mit der Haustür zog ich erfahrungsgemäß immer den Kürzeren, weshalb ich mir einen Weg durch das nasse Gras im Garten zu unserer Terasse bahnte. Ich klopfte gegen das Fenster, in der Hoffnung, mein Bruder sei schon da. Meine Füße froren und Regenwasser tropfte von meinen Haaren in meinen Kragen. Ich sah meinen Bruder aus der Küche kommen, mit einer Schachtel Zigaretten in der Hand.
"Ist die Klingel schon wieder kaputt?"
Er ließ mich herein und trat selber nach Draußen, um sich eine Zigarette anzuzünden.
"Ich dachte, Mom hat die Dinger weg geworfen." Ich wedelte mit der schwarzen Ledermappe in meiner Hand, um den Qualm vom Hereinströmen abzuhalten. Mein Bruder zuckte gleichgültig mit den Schultern. Seit er unsere Mutter heimlich beim rauchen im Bad erwischt hatte, hatte er es sich wohl zur Mission gemacht, die Glimmstängel für sie zu eliminieren.
Ich schlurfte die Treppe hoch, und warf meinen Rucksack in eine Zimmerecke. Die Mappe immer noch in der Hand haltend, ließ ich mich auf mein ungemachtes Bett fallen. Regentropfen hatten den Staub abgewaschen. Ich schlug die Lederhülle auf und nahm vorsichtig das erste Blatt heraus. Das dezent vergilbte Papier war mit ordentlichen Noten in dunkelroter Tinte beschrieben. Ich überflog die Zeilen. A-Moll, einstimmig, keine Wiederholungen.
Es schien nicht gerade komplex zu sein. Gab es einen Text dazu? Warum wollte Miss Stark die Partitur so dringend loswerden?
Ein seltsames Gefühl überkam mich, als ich die Noten wieder weg packte. Etwas Undefinierbares in mir wollte, dass ich die Melodie spielte. Was sicherlich auch passiert wäre, hätte meine Mutter nicht mein Klavier verkauft, damit ich mich mehr auf die Schule konzentrierte.
Morgen würde ich mich nach Schulschluss einfach in den Musiksaal der Schule schleichen, und den Flügel dort austesten.* Dafür, dass ich so lange nicht upgedatet habe, ist das Kapitel ein bisschen unspektakulär ^_^ Sry
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Dunkle Melodie
FantasyEin altes Lied, Vor Jahren verfasst, Greift um sich wie Feuer, Sobald du es einmal gesungen hast. Gar unscheinbar Ist's niedergeschrieben, Doch weggesperrt Ist's niemals geblieben. Verflucht war'n die Hände, Die alles erfanden, Und Flüche auch Ih...