Kapitel 6

2.4K 258 67
                                    

Es stellte sich heraus, dass Whisky sich richtig erinnert hatte – ich fand ihre Kreditkarte in einer kleinen, abgegrabbelten Hülle, zusammen mit ein paar Kaugummis und einem Feuerzeug.

„Du rauchst?", fragte ich unwillkürlich, etwas überrascht. Ich meine, so abwegig war das nicht in ihrem Alter, aber trotzdem hatte ich sie irgendwie nicht für eine Raucherin gehalten.

„Nein, ich sammele Duftkerzen."

„Ernsthaft jetzt?"

„Ja"

Ich hatte keine Ahnung ob das noch Ironie war, deshalb legte ich das Feuerzeug einfach wieder zurück in die Hülle, stecke mir die Karte in die Hosentasche, schnallte mich ab und klettere über die Sitzbank zurück nach vorne.

„Und?", wollte Whisky wissen ohne mich eines Blickes zu würdigen.

Ich zog die Karte aus der Tasche und wedelte sie kurz durch ihr Sichtfeld.

Sie gab mir mit einem kurzen Nicken zu erkennen, dass sie es registriert hatte, also steckte ich die Karte wieder ein.

„Wie viel ist da so drauf?"

Entschlossen schob sie die Augenbrauen zusammen. „Definitiv mehr als ich für diese verdammte Reise bezahlen werde."

Ich nickte und dann kehrte wieder Stille ein, aber diesmal war sie nicht so aggressiv. Whisky konzentrierte sich auf das Fahren – und das sehr gewissenhaft, was mich beruhigte – während ich mich endlich traute, einfach nur meinen Gedanken nachzuhängen ohne dass ich mich durchgängig schuldig fühlte oder so, als müsste ich etwas sagen.

Und weil ich nicht schon wieder an Hester und meine Eltern denken wollte, weil ich dann jedes Mal ernsthaft in Betracht zog, bitterlich zu weinen und ich hatte Angst, dass ich es diesmal wirklich tun würde.

Stattdessen versuchte ich, an Kalifornien zu denken. Ich mochte Kalifornien. Obwohl ich nie dort gewesen war. Das war eben so, jeder liebte Kalifornien und das besonders, wenn man quasi nebenan wohnte, in einer der bekanntesten Städte Ohios.

Portland war mein alltägliches Leben, immer gleich und ein wenig deprimierend um ehrlich zu sein, während Kalifornien dieser eine Traum war, für den man ernsthaft in Betracht zog, weiterzuschlafen und einen Tag zu schwänzen.

Das waren gute Aussichten. Zumindest versuchte ich mir das einzureden, als die Straße auf der wir fuhren immer weniger wie eine Hauptstraße aussah und sich schließlich schleichend in eine Landstraße verwandelte, die mitten durch einen Wald führte, sodass man kaum den Himmel sehen konnte, durch das dichte Blätterdach.

Irgendwann als es begann zu dämmern bemerkte ich, dass ich keine Ahnung hatte, wie spät es war. Ich könnte auf mein Handy gucken, aber der Akku hatte rapide abgenommen und außerdem wollte ich es nicht riskieren, eine Nachricht meiner Eltern zu lesen. Ich war mir sicher, dass ich eine Millionen entgangene Anrufe hatte, tausende SMS. Und meine bisherige Methode mit diesem Thema umzugehen hatte sich bisher bewährt – einfach abwarten und so tun, als hätte ich andere Sorgen.

„Sag mal", begann Whisky nach einer Weile, „glaubst du der Typ hat uns angezeigt?"

„Ist die Frage ernstgemeint?", gab ich missmutig zurück.

Sie überlegte kurz. „Glaubst du wir sind im Fernsehen? Mit Passbild und so?"

Ich zog eine Augenbraue hoch.

Sie zuckte die Schultern. „Ich mein ja nur, wann hast du zuletzt ‚nen Fernseher gesehen?"

„Wir haben einen verdammten Oldtimer geklaut, dafür interessiert sich die Polizei nur in Maßen."

„Alles klar, Arschloch." Mit einem letzten Augenrollen rückte sie ein wenig von mir ab und ich merkte, wie sie den Wagen kaum spürbar beschleunigte.

Allerdings dauerte es dann gerade solange, dass ich fast in irgendeinen verrückten Traum abgetaucht wäre, dass sie auf den nächsten Rastplatz bog und den Motor abstellte. Die plötzliche Stille machte mich wieder wach.

Ich richtete mich im Sitz auf und streckte den Rücken durch, was ich sofort bereute, da dieser ein mehr als weniger besorgniserregendes Geräusch von sich gab.

Dann sah ich mich kurz um. Whisky hatte den Motor offensichtlich gestoppt und verstaute den Schlüssel im Handschuhfach.

„Was zur Hölle tust du da?", wollte ich wissen, wobei ich mich vergewisserte, dass die Fliege, die immer noch um meinen Kragen gebunden war noch saß.

Whisky riskierte einen herablassenden Blick, dann lehnte sie sich zurück, legte ihre Füße auf dem Amaturenbrett ab und ließ mich wissen: „Ich parke."

„Wieso?"

„Wir schlafen hier"

„Oh, ganz fabelhafte Idee." Ich rollte sarkastisch mit den Augen, was allerdings immer ein bisschen komisch aussah, wenn man das mit Absicht machte, „und morgen wache ich auf, weil die Handschellen sich mir in die Schulterblätter drücken."

Mit einem musternden Blick beugte sie sich etwas vor und beäugte meinen Oberkörper.

„Dafür sitzen deine Schulterblätter viel zu hoch", stellte sie schließlich fachmännisch fest, „oder hast du Handgelenke aus Gummi?"

„Das geht locker", sagte ich, hauptsächlich um ihr nicht rechtgeben zu müssen und beugte mich ebenfalls ein Stück nach vorne um zu demonstrieren, dass ich wohl mit meinen Händen meine Schulterblätter berühren könnte.

Whisky beobachtete meinen zugegebenermaßen etwas traurigen Versuch eine Weile, dann griff sie beherzt zu und riss mein Handgelenk etwas nach oben, was einen stechenden Schmerz durch meine Unterarme schickte.

Ruckartig zog ich meine Hände hinter meinem Rücken hervor und rieb die Gelenke gegeneinander.

„Spinnst du?"

„Nein, aber du wenn du immer noch meinst du könntest deine verdammten Handgelenke an deine Schulterblätter halten."

„Ich bin nicht mal sicher, ob ich meine verdammten Handgelenke noch irgendwo hinhalten kann.", beschwerte ich mich, immer noch damit beschäftig, meine Hände zu inspizieren.

Sie zuckte mit den Schultern. „Jedenfalls werden wir jetzt hier übernachten weil ich sonst nämlich auf der Autobahn einschlafe und du nicht in der Lage bist, ein Auto zu fahren."

Und das war ein Argument, denn wenn ich eines weniger wollte, als beim Schlafen in einem geklauten Wagen neben einer launischen Whisky von Polizisten verhaftet zu werden, dann war es mir neben Whisky auf der Autobahn das Genick zu brechen.

Also nickte ich nur missmutig.

„Ich schlaf hinten", erklärte Whisky dann und ehe ich mich beschweren oder auf einen Kompromiss bestehen konnte war sie über die Lehne ihres Sitzes geklettert.

Also blieb mir nichts anderes übrig als meinen Sitz so gut wie möglich nach hinten zu kippen, eine alte Decke mit dubiosen Flecken, die ich unter meinem Sitz fand unter meinen Kopf zu klemmen und die traurige Tatsache, dass ich extrem dürr war dazu zu nutzen, mich möglichst so auf der geringen Fläche die ich hatte einzurollen, dass ich bequem lag.

Es gelang mir nicht, dafür war ich aber extrem müde und die Mischung aus meinen ständig zufallenden Augen und den Gedanken, die ich versuchte zu verdrängen half mir schließlich dabei, in einen unruhigen Schlaf abzurutschen.



WhiskyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt