In dem Moment in dem Whisky mich durch unsanftes Rütteln meiner mageren Schulter brutal aus meinen Träumen riss, hatte ich diese bereits vergessen und die Konzentration die es gebraucht hätte, um sie in meinem Gedächtnis wieder heraufzubeschwören konnte ich nicht aufbringen, da Whisky gar nicht mehr aufhörte.
„Was?", murmelte ich nicht ganz so genervt wie ich vorhatte zu klingen, weil ich eben noch schläfrig war und das merkwürdige Bedürfnis hatte, sie einfach unter meinen Arm zu klemmen und weiterzuschlafen.
Ihr Bauch sah bequem aus. Jetzt nicht einmal im anzüglichen Sinne, sondern einfach nur bequem um darauf zu schlafen. Wie ein warmes Kissen aus Haut.
Ich blinzelte verwirrt.
„Warst du mal campen?", wollte sie in einer Lautstärke wissen, die mir durch den Schädel wirrte, als würde jemand mit einem Hammer gegen meinen Stirnlappen hämmern.
„Fick dich", erwiderte ich und schlug ihre Hand weg, mit der sie versuchte, mein linkes Auge zum Aufgehen zu bewegen. Mein Auge hatte keine Lust.
„Ne", meinte sie und ich verzog das Gesicht, als ich die leichte Alkoholfahne in ihrem Atem roch.
„Sag mal hast du getrunken?"
Ich zwang mich doch etwas wach zu sein, weil ich ihr eine ganz schöne Menge zutraute, wenn sie getrunken hatte.
Sie schmiss mir eine leere Bierdose an den Kopf. „Nein"
„Geh von mir runter", fuhr ich sie an und holte aus, um sie von meinem Schoß zu treten. Ich trat nicht besonders stark, war aber trotzdem erfolgreich. Wie in Zeitlupe rollte sie sich auf den Fahrersitz hinüber.
Ich stützte den Fuß gegen das Handschuhfach, sodass sie gar nicht erst auf die Idee kommen würde, an den Schlüssel gelangen zu wollen.
„Du schläfst erstmal nicht mehr auf der Rückbank."
Mit einem theatralischen Augenrollen schüttelte sie den Kopf und begann hektisch vor meinem Gesicht herumzuwirbelnd.
Ich gab die Hoffnung, wieder einzuschlafen auf und rückte mich zurecht, da ich mir ziemlich sicher war, mir sämtliche Muskel oberhalb der Hüfte verspannt zu haben.
„Warst du jetzt campen?"
„Kann sein"
„So richtig in der Wildnis?"
„Im Zoo.", gab ich zurück, „in der Mittsommernacht."
„Dann musst du kommen", forderte sie mich auf.
„Egal wohin, die Antwort ist definitiv nein."
Sie rollte erneut mit den Augen. „Du bist so ein Loser."
„Is' mir egal."
„Jetzt komm."
Widerwillig ließ ich mich aus dem Sitz hochziehen und ehe ich wusste, wie mir geschah fand ich mich stolpernd und etwas verwirrt zwischen dutzenden LKW's wieder. Keinen fahrenden, zum Glück.
Whisky schien schon hier gewesen zu sein, so zielstrebig wie sie mich zwischen den stehenden Riesen hin und her navigierte oder sie war zu alkoholisiert um sich einen Scheiß darum zu scheren, wohin wir gingen. Ich war von Beidem nicht gerade übermäßig begeistert, übergab mich aber trotzdem meinem Schicksal.
Und als wir schließlich am Rand eines verdammt unheimlich aussehenden Tannenwaldes standen fragte ich mich, ob das wirklich die richtige Entscheidung gewesen war.
„Was soll das jetzt?"
„Guck dich doch mal um", fuhr sie mich an.
Ich sah nach links, rechts, ich drehte mich sogar demonstrativ einmal um die eigene Achse und schüttelte dann mit hochgezogenen Augenbrauen den Kopf.
„Sterne", sagte sie mit einem aggressiven Ton, in dem ich mir das Wort Sterne nie hätte vorstellen können, packte mein Kinn mit Zeigefinger und Daumen und drückte meinen Kopf in den Nacken.
Ich hatte überhaupt keine Lust das zuzugeben, aber ich wusste sofort, was sie meinte.
Über uns prangte ein Sternenhimmel, unter dem sich jeder wie ein Poet fühlen konnte, irgendwie. Als hätte jemand eine unendlich lange Lichterkette über das tiefschwarze Band des Himmels gespannt, fast bekam man das Gefühl, echte Unterschiede in den brennenden Punkten über uns zu erkennen. Fast war es, als könnte man die Flammen lodern sehen.
Wer in einer großen Stadt lebt, dem ist Smog wahrscheinlich ein Begriff; der undurchsichtige, schwere Nebel, der aus den Auspuffen der Autos und den Schornsteinen der Fabriken steigt und sich zwischen uns - winzige Punkte - und die Milliarden von eindrucksvollen, über uns schwebenden Bällen aus Feuer legte, sodass man kaum eine Chance hatte, sie zu bewundern. Das komplette Konzept der Romantisierung von „Sterne gucken" hatte ich nie verstanden, denn am Nachthimmel über Portland ließen sich wenn man Glück hatte ein paar schwach leuchtende Flecken zwischen dunklen Wolken entdecken und das war weder besonders spektakulär, geschweige denn romantisch.
Das hier war ein ganz anderer Himmel, ein wenig als würde man die Welt durch Vincent Van Goghs Augen sehen.
Bunte, wirbelnde Farbe und funkelnde, hindurchstechende Sterne, wie leuchtende Diamanten. So hatte er es jedenfalls in einer Doctor Who-Folge gesagt und ich hatte keine Ahnung ob der echte Vincent genau so dachte, aber es war eine schöne Vorstellung, dass er es tat.
Jetzt verstand ich die menschliche Begeisterung für diese ganze Sache.
Aber alles was ich sagte war: „In Portland haben wir auch Sterne."
Sie winkte ab. „Das glaubst du doch wohl selber nicht."
Und sie hatte Recht.
„Ich dachte immer sowas wie ein Morgenstern wäre ein Mythos."
Ich blickte mit leicht zusammengekniffenen Augen empor und wieder lag sie Richtig, da war ein Morgenstern. Ein echter, enorm heller, scheiß Morgenstern.
Ich antwortete nichts darauf, beschloss aber, aufzuhören so zu tun, als würde ich extrem genervt sein und ließ mich stattdessen wortlos auf dem kalten Boden nieder.
Whisky nickte wissend, setzte sich mir gegenüber und legte einfach nur den Kopf in den Nacken. Ich blickte auf meine Finger, ließ sie über den unebenen Grund wandern und sah dann, auf, zu Whisky hinüber.
Auf ihre eigene Art war sie ja irgendwie schon erstaunlich. Ein erstaunlich unmögliches Mädchen, eine seltsame, miesgelaunte, selbstsüchtige Person. Aber erstaunlich.
Und auf irgendeine Weise wusste ich diese Erstaunlichkeit zu schätzen.
Tausende von Malen hatte ich dieselben Menschen gesehen, nur anders verpackt. Wie wenn MC Donalds einen neuen Burger rausbringt, der eigentlich doch nur irgendein Alter ist, mit einer anderen Soße oder extra Käse oder so.
Menschen in der U-Bahn, in der Schule, meine Eltern, Freunde. Verschiedene Versionen der gleichen Grundausstattung.
Und Whisky war wie das Vorläufermodell, das aufgrund von völligem Misserfolg eingestellt worden war. Und trotzdem gab es irgendwo Leute, die ganz wild auf sie waren, weil sie einzigartig war und irgendwie ganz anders.
Und irgendwie mochte ich sie.
Und irgendwie starrte ich deshalb ihren Hals unterhalb ihres Kiefers an, als wäre ich ein hungernder Vampir.
Schuldbewusst hob ich den Blick in den Himmel und so starrten wir stumm nebeneinander Löcher in die Luft und ich nahm hin und wieder war, wie ihr strähniges Haar sich leise im Wind bewegte und ich war mir sicher, dass sie bemerkte, wie ich meine Finger in winzigen Schritten über den Asphalt schleichen ließ und irgendwie war es gar nicht mehr so schlimm, dass ich keinen Schlaf bekam und dass ich hier war, statt zuhause.
Ich war kein spontaner Mensch, oder ein Abenteurer. Und als mir an diesem Abend klar wurde, dass ich dabei war mich Hals über Kopf in ein Abenteuer zu stürzen machte mein Herz einen kleinen Satz in meiner Brust.
Ob vor Freude oder vor Angst wusste ich nicht.
Ich suche übrigens zurzeit nach einem Betaleser für Whisky, also falls zufällig Jemand Zeit und Lust hat, sich alle paar Monate (okay nein, hoffentlich öfter) dieses Zeug hier durchzulesen und mich zusammenzuscheißen kann er sich ja mal melden.
(Anm. des Autors)
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Whisky
Teen FictionDank einer Reihe unglücklicher Missgeschicke findet sich Thomas mitten in der Nacht neben der forschen Holland, die von allen nur Whisky genannt wird, auf dem Beifahrersitz eines klapprigen Cadillac Seville wieder. Und um dem Ganzen noch die Krone...