31. Der Zauber des Nachthimmels

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Der Tag verging wie im Flug. Als ich das nächste Mal aus dem Fenster schaute, war es bereits dunkel.
Ich hatte ewig darauf warten müssen, dass Harry endlich mit dem Weinen aufhörte, denn immer, wenn er einmal fast aufgehört hatte, fing er gleich darauf wieder an richtig herzzerreißend zu heulen. Es war schrecklich.
Nun saß ich neben ihm, lächelte ihn aufmunternd an, während er sich seine Augen rieb und immer wieder versuche, ein kleines Lächeln zustande zu bekommen.

"Weißt du, ich geh mal kurz raus. Ich glaub etwas frische Luft wäre gerade g-ganz gut", stotterte er und stand hektisch auf, beinahe, als wolle er wegrennen. Und als ich ihm dann bis in den Garten folgte, verstand ich auch, warum. Er weinte schon wieder. Er weinte generell sehr oft, hatte ich das Gefühl.

"Weißt du", begann er und ich konnte richtig spüren, wie er sich dazu zwang, langsam und deutlich zu sprechen, obwohl er am liebsten in die Luft gehen würde, "es ist genau vor einem Jahr passiert. Heute vor einem Jahr. Ich war mit Gemma zu Hause, ich habe Essen gekocht für die ganze Familie und sie hat sich einen Film angeguckt. Wir.. ."
Ich stoppte Harry erstmal und führte meinen Arm an seinen Rücken, lief mit ihm ein wenig weiter in den Garten hinein, wo wir weiter abseits von der Klinik waren.

"Komm setzt dich erstmal. Dann erzählst du okay?"

Zum Glück hatte ich eine Art Jacke angezogen, die ich jetzt auf das Grad legte und darauf ausbreitete. Darauf setzen wir uns erstmalige ich beobachtete den dunklen Nachthimmel, während ich der weichen und tiefen Stimme Harrys lauschte, der ich hätte Stunden zuhören können, egal, was er erzählen würde.

"Wir sind eine religiöse Familie gewesen und wir wollten, wie wir es immer gemacht haben, den Reformationstag feiern. Ok, feiern ist auch zu stark hergeholt, aber wir haben immer zusammen gegessen an diesem Tag. Aber dann...Gemma und ich haben uns dann so gegen fünf an den Tisch gesetzt und gewartet. Meine Eltern wollten um diese Uhrzeit da sein. Doch wir haben gewartet und gewartet und niemand kam."

Während Harrys Augen sich wieder mit Tränen füllten, streichelte ich habt vorsichtig durch seine Haare.

"Zuerst haben wir uns nichts dabei gedacht, wir dachten, sie würden vielleicht im Stau stehen oder so und ein bisschen später kommen.
Man wir haben die ganze Zeit beim Warten Witze gemacht!"

Tränen kullerten aus seinen Augen, er könnte dies nicht mehr verhindert, selbst, als er seinen Blick zum Himmel richtete und die Augen schloss, flossen die Tränen aus seinen Augenwinkeln.

"Nach anderthalb Stunden waren sie immer noch nicht Da und ich habe angefangen mir richtig Sorgen zu machen. Ich habe Gemma damit angesteckt und plötzlich haben wir über alles nachgedacht, was hätte passiert sein können. Das war alles so gruselig und schlimm, es war schon längst dunkel draußen und immer wieder hat man draußen Gestalten gesehen, die Halloween liefen, man ich dachte immer, ich wäre nicht so ein Angsthase, an dem Tag hat ach aber wohl das Gegenteil bewiesen. "

Harry lachte trocken und zog ein gequältes Lächeln.

"Irgendwann hat dann das Telefon geklingelt. Ich habe mich gar nicht mehr getraut, ranzugehen. Aber als das Telefon dann noch mindestens drei Mal geklingelt hat ist Gemma rangegangen.
Ich...ich wusste sofort, irgendwas stimmt gewaltig nicht. Und dann, dann kam die schlimme Nachricht. Du", er wischte sich schnell die vielen Tränen weg und drehte seinen Kopf verlegen weg, "du weißt den Rest. Oder du weißt ihn grob, du musst ja nicht jedes Detail wissen. Aber...ich hoffe du verstehst jetzt, warum ich so fertig bin.
Ich war bis zu diesem Tag, heute vor einem Jahr, ein glücklicher Mensch. Ich war ein Junge, auf den meine Eltern größtenteils stolz waren. Und jetzt..", er schluchzte wie verrückt, richtig laut, und ich fasste ihn nur noch an der Schulter und zog ihn an mich, küsste sogar sanft seine Kopfhaut.

Bevor die Sonne untergehtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt