Kapitel 14

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Vyris saß auf dem Ast neben mir und lehnte sich keuchend an den Stamm. Er zog langsam die Pfeile aus seiner Kleidung, einige hatten ihn nur gestreift, andere steckten durch die Kleidung in seinem Fleisch. Doch er konnte sie schnell entfernen und tief eingedrungen waren sie auch nicht. Ich war zu erschöpft um irgendetwas zu tun, so zog Vyris auch die wenigen Pfeile aus meiner Kleidung und brach sie durch, so dass sie nicht wiederverwendet werden konnten falls sie jemand fand. Pfeile waren leider eine sehr gute Waffe gegen Diebe, die meistens auf Nahkampf trainiert waren. „Was machen wir jetzt?" fragte Vyris flüsternd. Ich zuckte mit den Schultern. „Ich weiß etwa wo wir sind, der Hain ist groß, aber wenn wir nach Osten gehen, dann kommen wir an mein altes Zuhause. Wir könnten dort eine kleine Pause einlegen und uns etwas Verpflegung holen, bevor wir den Weg zur Salzwassergrotte antreten." sagte ich leise zu ihm. Er lächelte und nickte. „Ich freue mich darauf deine Schwester kennen zu lernen." sagte er. Ich hatte ganz vergessen, dass er fast alles über mich wusste, da er ja Gedanken lesen konnte und dies auch schon bei mir angewendet hatte. Er kannte so mit wahrscheinlich meine ganze Lebensgeschichte.

Wir lauschten eine Weile in den Wald hinein, dann kletterten wir den Stamm hinunter und liefen in die Richtung die ich für richtig hielt. Nichts regte sich im Hain, das war seltsam. Meistens konnte man immerhin einige Vögel zwitschern hören oder die Eichhörnchen die Nüsse für den Winter sammelten, aber der Hain war still, komplett still. Und das gab mir ein ungutes Gefühl. Langsam kam der Weg in Sicht und auch dort herrschte Stille, man konnte jeden einzelnen unserer Schritte hören, auch wenn wir leise waren und auf jedes kleine Geräusch achteten. Immer wieder sahen wir uns um ob wir nicht ein Gewand des Ordens der Schützen zwischen den Zweigen entdecken konnten, doch wir sahen rein gar nichts. Das Ungute Gefühl verstärkte sich und als wir an der Hütte ankamen, wusste ich genau warum – denn dort wo die Hütte gestanden hatte erkannte ich nur noch Trümmer. Die Wände waren eingetreten, das Dach heruntergestürzt, der Hebel zum öffnen der Falltür war abgerissen worden und die Tür, durch die ich schon so oft gelaufen war, lag in zwei große Stücke geteilt auf dem Boden. Ich dachte immer, dass ich sie eines Tages versehentlich kaputt machen würde, doch ich war zu geschockt um an solche Banalitäten zu denken. Ich war starr, mein Körper bewegte sich kein Stück und selbst mein Herz setze für einige Sekunden aus. „Hazel!!" schoss es mir durch den Kopf und durch den Adrenalinschub den ich durch die Angst um meine Schwester bekommen hatte, krallte ich meine Hände in die Falltür und öffnete sie ohne den Hebel zu brauchen. Eigentlich war sie sehr schwer und nicht mal Travis hatte sie hochheben können, obwohl er der Stärkste Mann der ganzen Gilde gewesen war. Doch warum auch immer, ich hatte es geschafft und sprang in das Loch. Mir war es egal, dass ich ziemlich unsanft landete und auch die Leiter hätte nehmen können, aber ich rannte durch die Räume der Höhle. Mein Zuhause war komplett zerstört, Scherben, Splitter und zerrissener Stoff lag auf dem Boden herum, Möbel waren nicht mehr zu erkennen und der Geruch von Wunden, Fleisch und Blut lag in der Luft. Aber es war niemand zu sehen. Ich achtete nicht darauf, ich musste Hazel finden und so sprang ich über alles das sich mir in den Weg stellte. Als ich in die Waffenkammer kam, offenbarte mich ein Szenario, was ich mir nicht mal in meinen Alpträumen ausgemalt hatte: Leichen lagen auf dem Boden, bedeckt von Schwertern die von den Halterungen gefallen waren, Leichen waren mit Pfeilen an der Wand festgenagelt, Pfeilen des Ordens der Schützen und das schlimmste, Hazel lag auf dem Boden. Ihr kindliches Gesicht war verzerrt wie ich sie nie sehen wollte und ihr Haar war blutdurchtränkt. Ich hielt dem Ganzen nicht mehr stand und sackte auf dem Boden neben ihr zusammen. Hazel war tot. Meine geliebte Schwester war tot. Durch meinen Kopf schossen tausende Gedanken, ich war Schuld an ihrem Tod, ich hätte bei ihr bleiben sollen, sie beschützen sollen und auf sie Acht geben sollen. Doch ich war dem angeblichen Schicksal gefolgt und hatte sie zurückgelassen, ich hatte nur auf mich geachtet und sie im Stich gelassen. Sie war noch so jung, viel zu jung um zu sterben. Ihr Haar, das ebenfalls so schwarz war wie meines glänzte im Schein der Fackel und das Blut verstärkte diesen Effekt noch dazu. Ihre grünlichen Augen waren aufgerissen und starrten in die Leere, erst jetzt entdeckte ich, dass sie keine Leinenkleidung trug wie sie es sonst tat, sondern in einer schillernden, jedoch auch mit Blut befleckten, Silberrüstung steckte. Mein kleines Mädchen in einer Rüstung, das hätte ich mir nie erträumt. Ich hatte ihr zwar versucht das Kämpfen beizubringen, aber entweder hatte ich es nicht übers Herz gebracht einem so kleinen und schwachen Mädchen eine Waffe zu geben oder sie hatte es selbst nicht geschafft. Sie konnte nicht damit umgehen oder hatte es jedenfalls nie wirklich geschafft, sie lies sich zu leicht ablenken und konnte die schwere Waffe nicht in ihren kleinen Händen halten. Dort wo die Rüstung endete, unter ihrem Hals, ragte das Hinterteil eines Pfeiles heraus, der sich direkt durch ihre Luftröhre gebohrt hatte. Weitere Pfeile Steckten in ihrer Rüstung und mehrere lagen auf dem Boden um sie herum verteilt. Ich saß neben ihr auf dem Boden, die Arme um meine Schwester gelegt. „Das darf nicht wahr sein..." flüsterte ich immer wieder. Ich hoffte, dass alles nur ein schlechter Traum war und ich gleich aufwachen würde und Hazel mit Zyas Gebäck an meinem Bett stand und mich anlächelte, wie sie es immer tat, wenn sie mich beim schlafen beobachtet hatte. Ich wollte aufwachen, meinetwegen auch in der Salzwassergrotte bei Vyris, Alison und Jackmyr. Aber ich tat es nicht, egal wie oft ich es mir wünschte. Das war kein Traum, kein Gedankenspiel, das war die Realität und ich wusste nicht wie lange ich es noch verkraften würde so zu leben.

Raven - Tochter des SchicksalsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt