Silvesterkuss

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- 31.12. -

Silvester. Das Ende eines Jahres und gleichzeitig der Beginn eines neuen. Und jedes Jahr wird ein großes Tamtam daraus gemacht. Unnötig. Finde ich.

Ich war auf der Party von einem sehr guten Freund. Geplant war im kleinen Kreis, die Hälfte kannte ich dann doch irgendwie nicht, in einer Scheune. Nun gut, besser als mit der Familie Zuhause zu sitzen und wahrscheinlich auch besser, als mit anderen Gruppen in irgendeinen Club zu gehen. Es war ok. Meine besten Freunde waren alle nicht da: Entweder in Amerika, bei der Familie oder mit dem anderen Freundeskreis durch die Partykeller ziehen. Besser hätte es bestimmt sein können, schlechter aber auch.

Ich hatte Lust zu tanzen, zu trinken und einfach zu feiern. Wenn ich schon alleine ins neue Jahr kommen muss, wenigstens lachend und betrunken. Und das habe ich auch gut geschafft. Betrunken war ich allemal, und zwar so, wie schon lange nicht mehr. Vodka und Tequilla waren an diesem Abend meine  besten Freunde - jedenfalls für diese Nacht, am nächsten Morgen sah das schon anders aus - und um kurz vor Mitternacht, als alle anderen mit ihren frisch gefühlten Sektgläsern oder gerade, mit dem Handy, geöffneten Bierflaschen nach draußen gingen und ihre Raketen fertig machten, nahm ich mir die Vodkaflasche, meine Jacke und mein Handy, und stellte mich, mit etwas Abstand zu den anderen, nach draußen. Denn, so gerne ich sie auch hatte, nunja die, die ich kenne, war der Übergang zum neuen Jahr etwas, dass ich für mich haben wollte. Wenigstens einen guten Start. Oder so ähnlich.

"Fünf, vier drei, zwei, eins..Frohes Neues!", die hörte man am deutlichsten. Ich nahm einen Schluck aus der Vodkaflasche und sah auf die Gruppe, aus der einzelne Raketen empor stiegen und man Umarmungen jeglicher Art sah: Die zwischen besten Freunden, Freunden, mehr als Freunden oder auch einfach als nette Geste unter Fremden ausgetauscht wurde. Ein paar Freunde kamen zu mir, wünschten  mir ein "Frohes Neues", umarmten mich oder gaben mir einen Kuss auf die Wange. Fragen stellen, das tat keiner. Sie wussten wie mir zu Mute war. Ein weiterer Schluck aus der Vodkaflasche folgte. Sogar ein kleines Lächeln stahl sich auf meine Lippen, als ich die Freude der Jungs beim Zünden der Feuerwerkskörper sah. Sie freuten sich wie kleine Kinder, die ein Auto bekommen haben.

Nach ein weiteren paar Minuten, in denen ich das Geschehen um mich herum betrachtet habe, nahm ich mir mein Handy zu Hand, um ein paar Nachrichten zu beantworten. Ich las mir alle durch, auch wenn sie im Grunde alle das gleiche "Frohes Neues"-Gerede in sich hatten, von der Familie, von Bekanntschaften und von anderen Freunden. Ich war in Gedanken schon dabei, mein Handy zu sperren und es erneut in meine Tasche gleiten zu lassen, als mir seine Nachrichte ins Auge sprang.

Eine Nachricht von ihm. Das überrumpelte  mich dann doch. Ich starrte nach vorne, in die Dunkelheit hinein und nahm noch einen Schluck. Ich redete mir ein, ich solle mich nicht von einer einfachen Nachricht so aus dem Konzept bringen lassen. Also begann ich zu lesen:

"Hey Maus, auch dir wünsche ich einen guten Start ins neue Jahr, auch wenn du ein nicht ganz so großer Fan von diesem Tag bist. Ich denke heute an dich. So überstehst du es vielleicht besser. Ruf mich an, wenn etwas ist. Immer. Bis dann!"

Maus. Ich denke an dich. Man merkt, er hat getrunken. So wie ich und mein betrunkenes Ich, ließ sich einlullen und ich spürte das Kribbeln in meinem Körper. Die Wahrscheinlichkeit war höher, dass es vom Alkohol kam, als von seiner Wirkung, von seiner Nachricht an  mich. Trotzdem hallten die Wörter weiter in meinem Hirn herum. Ich nahm einen weiteren, tiefen Schluck aus der Flasche und verzog mein Gesicht. Auf einen Schlag war ich nüchtern. Ich ging kopfschüttelnd wieder in Richtung Scheune um mir etwas anderes zu trinken zu holen, meine Jacke samt Handy wegzulegen und zu tanzen. Und das tat ich. Ich tanzte mir die Seele aus dem Leib, trank weiter, ohne darauf zu achten, was ich eigentlich trank und vergaß. Die Uhrzeit, die Menschen um mich herum, meine schmerzenden Füße, ihn und mein schmerzendes Herz. Ich vergaß. Aber auch nicht.

Ich entschied mich, irgendwann, mich mal hinzusetzten. Auf dem Weg zu einer kleinen Gruppe von Leuten, die ich auch wirklich kannte, nahm ich mir eine Mische mit, die in meiner Hand gelandet ist. Durch Zufall natürlich. Ich setzte mich dazu, lachte, wenn die anderen lachten, nickte, wenn es die anderen taten und doch bekam ich absolut nichts mit. Zum einen wegen meines hohen Alkoholgehalts im Blut, zum anderen, weil meine Gedanken mal wieder nur um ihn kreisten.

"Wie spät ist es eigentlich?", lallte ich dazwischen, einige Blicke gingen zu mir, andere zu den Handys. Irgendwas mit halb drei verstand ich. Durch meine Frage wurden meine Gedanken etwas klarer. Ich stand auf, ging zu meiner Jacke und griff erneut zu meinem Handy. Eine neue Nachricht. Das Kribbeln in meinem Bauch verstärkte sich. Und es war tatsächlich eine von ihm. Ich atmete tief durch und entschied mich doch dagegen, sie zu lesen. Stattdessen schrieb ich meiner Mutter, dass sie mich  bitte abhole, so wie sie es versprochen hatte. Kurze Zeit später antwortete sie, sie sei in einer halben Stunde da. Ich schnappte mir also meine Jacke, welche ich gleich anzog, und meine Tasche und machte mich auf den Weg durch die Scheune, um mich zu verabschieden. Einige waren schon fort, andere auch dabei sich zu verabschieden, doch viele saßen vergnügt zusammen. Als ich dann fertig war, stand das Auto meiner Mutter bereits auf dem Hof. Ich stieg ein, sagte nichts, sondern lehnte meinen Kopf gegen die Scheibe und schloss meine Augen.

Zuhause angekommen, sagte ich, nunja ich lallte wohl mehr, dass ich gerne noch etwas frische Luft schnappen würde. Sie gab mir einen Hausschlüssel und sagte, ich solle auf mich aufpassen. Ich nickte, ging zur Straße und setzte mich erschöpft auf den Bordstein. Wie automatisch glitt meine Handy in meine Tasche und fischte mein Handy heraus. Erneut atmete ich tief ein und öffnete seine Nachricht. Meine Müdigkeit war wie weggeblasen. Ich sprang auf und brauchte erstmal einen Moment, um mein Gleichgewicht wiederzufinden. Plötzlich war ich mir nicht mehr sicher, ob ich seine Nachricht richtig verstanden habe. Ich las erneut:

"Maus. ich weiß, dass du glaubst ich sei betrunken ohne Ende. Aber ich war heute Fahrer.. Willst du nachher noch rüberkommen..?"

Ich brauchte nicht lang um zu überlegen. Ich lief die zwei Straßen, die unsere Häuser voneinander trennten hinunter, während ich meine Mutter anrufte und ihr Bescheid gab, dass ich noch zu ihm gehen würde. Bevor sie etwas erwidern konnte, legte ich schnell auf. Die Standpauke kann bis morgen warten. Kurz vor seiner Haustür verlangsamte ich mein Tempo und ein Gedanke schlich sich kreischend laut in meinen Kopf: Du wirst es bereuen. Das ganz sicher. Doch es war mir egal. Ich klopfte und brauchte auch nicht lange zu warten, bis mir die Tür geöffnet wurde. Ich machte einen Schritt ins Haus, er nahm meine Hand und endlich sah ich wieder in seine blauen Augen. Ich wollte ansetzten, etwas zu wispern doch soweit kam ich gar nicht, denn er flüsterte "Frohes Neues Maus.." und küsste mich mit einer hingabe, die ein kleines Feuerwerk in mir auslöste.








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