4. Versetzungsgefährdet

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Seit ich denken kann, bin ich meinen Eltern egal. Es war ihnen egal, wenn ich Probleme mit Freunden hatte, wenn ich mich vor lauter Liebeskummer nur unter meiner Bettdecke verkrochen habe. Es war ihnen egal, wie lange ich Fernsehen geschaut habe, wie lange ich abends wach war, was ich für Kleider trug. Ein lang bewährtes System von ihnen war, mir alles zu schenken, was ich wollte, damit ich den Mund hielt und zufrieden war. Anfangs mag das funktionell recht wirksam gewesen sein, doch irgendwann, wenn man alles hat, was das Herz begehrt, beginnt man sich nach den echten Wichtigkeiten des Lebens zu sehnen. Und das war die eine Sache, von der Elliott und Susan Lancester nichts, wirklich rein gar nichts, verstanden. Ich möchte heute nicht behaupten, sie wären in gewissem Maße nicht fürsorglich gewesen, denn das waren sie in bestimmten Aspekten des Lebens wirklich. Vor allem, wenn es um die Publicity ging.

Lange vor meiner Geburt gründeten meine Eltern eine Firma, die sich vor allem der hochwertigen Produktion von Uhren und Sonnenbrillen widmet. Ihr Name „Lloyd & Lancester" dürfte wohl den meisten ein Begriff sein, zumindest denen, die etwas von Qualität und Stil verstehen.

Lloyd und Lancester macht jährlich Umsätze in Milliardenhöhe, Umsätze, welche sich damals schon enorm auf meine Erziehung auswirkten. Diese Umsätze hatten zur Folge, dass meine Eltern kaum Zeit für ihre einzige Tochter hatten, dieses Phänomen kennen wohl die meisten Kinder reicher Geschäftsleute.

Das hat sich bis heute nicht geändert, doch wo es mich früher traurig gemacht hat, lässt es mich heute kalt.

Oder zumindest lauwarm.

Angesichts der Tatsache, dass ich meine Eltern den kompletten Sommer nur wenige Stunden zu Gesicht bekommen habe, verwundert es mich heute aber umso mehr, als mir im Park des Internats mein Vater über den Weg läuft.

Ich mag nicht viel über meinen Vater wissen, doch ich erkenne ihn schon von Weitem, als er mir da entgegenkommt, den Anzug zugeknöpft, das Hemd und die Krawatte akkurat und die Haare kurz und ordentlich. Elliott Lancester ist ein eleganter Mann, gutaussehend, würde so manch einer sagen, ohne Zweifel mag er auf die ältere Frauenwelt sogar attraktiv wirken.

Ich erkenne ihn sofort an seinem Gang, an dem entschlossenen Ausdruck in seinen Augen, obgleich mir seine Stimme, als er mich begrüßt, fremd klingt. Ich habe sie Wochen nicht gehört.

Wir umarmen uns nicht, als wir einander gegenüber stehen, denn er bietet sich nicht an und ich auch nicht.

„Dad, was machst du denn hier?", frage ich stattdessen überrascht, „Dich habe ich hier überhaupt nicht erwartet!"

„Ich wollte meine Tochter besuchen, was denn sonst?", sagt er, als wäre das offensichtlich. Als wäre das nicht erst das zweite Mal seit Anbeginn der Zeit, dass er einen Fuß in mein neues Zuhause gesetzt hat.

„Oh, du meinst die Tochter, die du in Marbella einfach stehen gelassen hast, ohne ihr Bescheid zu sagen?", frage ich, „Meinst du diese Tochter?"

Ich versuche meinen Gesichtsausdruck neutral wirken zu lassen und zu vergessen, wie alleingelassen und gedemütigt ich mich damals in Spanien gefühlt habe. Dennoch liegt der Vorwurf deutlich in meiner Stimme, die jetzt gar nicht mehr desinteressiert klingt, wie ich es mir all die Tage seitdem vorgenommen habe.

„Es tut mir leid, Liebes, aber es war ein dringender Notfall, den ich leider nicht unbeachtet lassen konnte."

"Einen Notfall in der Firma?" ,frage ich und setze mich langsam in Bewegung, "War es etwas Ernstes?"

"Allerdings" ,sagt mein Vater und in seinen Augen sehe ich, dass er für einen Moment seinen Gedanken folgt.
Es wäre höflich gewesen, nachzuhaken, um was es sich bei dem Vorfall handelte, aber ich bin nicht in der Stimmung für Süßholzraspeln. Vor allem nicht, wenn es sich um Elliott Lancester handelt.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Apr 23, 2017 ⏰

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